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Wohin geht Israel?

Von Rainer Mayerhofer

Politik

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Hätte man in der israelischen Wahlnacht beim Fernseher den Ton abgedreht und nur aus den Mienen der beiden Kandidaten das Wahlergebnis ablesen wollen, man hätte glauben können, der lächelnde, scheidende Ministerpräsident Ehud Barak wäre der Sieger und nicht der ernste Ariel Sharon, der einen der größten Wahlsiege der israelischen Geschichte eingefahren hat.

Ariel Sharon, dem in seiner langen Karriere auch die Beinamen Falke, Bulldozer und noch Schlimmeres gegeben wurden, ist einen Tag vor dem 18. Jahrestag, da er vom Posten des Verteidigungsministers wegen seiner indirekten Verantwortlichkeit für die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Shatila zurücktreten musste, mit der überwältigenden Mehrheit von 62,5 Prozent zum 11. Ministerpräsidenten Israels gewählt worden. Vor wenigen Wochen hatte er wegen seiner Vergangenheit noch als unwählbar gegolten. Heute steht er vor der nicht beneidenswerten Aufgabe, in der unübersichtlich zersplitterten Parteienlandschaft - in der israelischen Knesset sind nicht weniger als 19 Parteien und politische Minigruppen vertreten - verlässliche Koalitionspartner zu finden. Das allein wäre schon eine schier unmögliche Aufgabe.

Er soll aber auch mit den Palästinensern, die nicht zuletzt wegen seines provokanten Besuches auf dem Jerusalemer Tempelberg im September seit Monaten mit Israel im Kleinkrieg stehen, zu einer Übereinkunft gelangen, die seinem Vorgänger Ehud Barak verwehrt blieb. Barak, der vor nicht ganz zwei Jahren mit dem Ziel antrat, die Verhandlungen mit Arafat zu einem Abschluss zu bringen, ist an dieser Aufgabe gescheitert, obwohl er zu weitgehenden Kompromissen bereit war. Sharon wird den Palästinensern viel weniger Zugeständnisse machen. Das hat er wiederholt betont. Und als Verteidigungsminister unter dem ersten Likud-Regierungschef Menachem Begin hat er 1982 mit dem Einmarsch im Libanon, der erst im Vorjahr unter Barak nach 18 blutigen Jahren zu Ende ging, seine kompromisslose Haltung gezeigt.

Die ersten internationalen, vor allem aber die palästinensischen Reaktionen auf seine triumphale Wahl sind vorsichtig abwartend. Man hofft, dass der Falke im Alter milder geworden ist. Schließlich hatte seinerzeit ja auch Begin trotz seiner terroristischen Tätigkeit in jungen Jahren den Nahost-Friedensprozess mit der Übereinkunft mit Ägypten eingeleitet.

Die überwältigende Mehrheit, mit der Sharon am Dienstag in das Amt des Ministerpräsidenten gewählt wurde, ist kein Auftrag, eine gewaltsame Lösung für das Nahostproblem zu finden. In den letzten Jahren haben Umfragen nämlich immer auch gezeigt, dass die große Mehrheit der Israelis den Frieden sucht. Sharon wird eine gefährliche Gratwanderung machen müssen. Die einzige Alternative zum Friedensschluss mit den Palästinensern bedeutet Krieg, den vielleicht Extremisten in beiden Lagern gutheißen würden, nicht aber die Mehrheit der Bevölkerung.

"Wir haben eine Schlacht verloren, aber wir werden den Krieg gewinnen", hatte Ehud Barak am Wahlabend in der Sprache der Militärs gemeint. Der Krieg, der zu gewinnen ist, ist aber der Frieden und eine Übereinkunft mit den palästinensischen Nachbarn. Es ist zu hoffen, dass Sharon, der selbst fünf Kriege miterlebte, mit viel Pragmatismus zu einer Lösung auch dieses Problems finden wird, ohne neue Schlachten zu schlagen.