Mit der Hoffnung auf einen Wahlsieg von Erdogans Herausforderer Kilicdaroglu ist jene auf einen Neustart verknüpft.
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Am Sonntag findet die Präsidentenstichwahl in der Türkei statt. Schon jetzt ist klar: Die bisherige Wirtschaftspolitik des wahrscheinlichen Siegers, Präsident Recep Tayyip Erdogan, steht mehr denn je auf dem Prüfstand. Die jüngste Zeit war durch eine schwindelerregend hohe Inflation, den Rückgang der Devisenreserven und einen Währungscrash gekennzeichnet.
Erdogan und seine regierende AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) kamen im Jahr 2002 an die Macht, nachdem das wirtschaftliche Missmanagement der Vorgängerregierung eine massive Krise ausgelöst hatte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) war eingeschritten, im Gegenzug hatten die scheidenden Amtsinhaber Reformen wie eine unabhängige Zentralbank, Banken- und Finanzaufsichtsbehörden, Maßnahmen zum Abbau der öffentlichen Defizite und Schulden sowie angemessene Regeln für das öffentliche Beschaffungswesen einführen müssen.
Die AKP hielt zunächst an diesem Kurs fest, sodass die Inflation innerhalb von drei Jahren von mehr 50 Prozent auf einen einstelligen Wert zurückging. Gleichzeitig kamen wieder verstärkt ausländische Investoren ins Land, wovon die Wirtschaft mit einem Wachstum von rund 7 Prozent enorm profitierte, und Ungleichheiten in der Bevölkerung wurden erheblich verringert.
Rückzug der Auslandsinvestoren
Der politische und wirtschaftliche Wendepunkt kam im Jahr 2013, als sich Demonstrationen in Istanbul gegen Bautätigkeiten im Gezi-Park schnell zu einer landesweiten Bewegung gegen den wachsenden Autoritarismus der Regierung entwickelten. Das Regime setzte die Bereitschaftspolizei ein und nahm hunderte Demonstranten fest. Dieses harte Durchgreifen wurde zu einem bestimmenden Merkmal der Regierung Erdogans.
Etwa zur gleichen Zeit zogen sich internationale Anleger zurück. Der Anteil ausländischer Anleihen an türkischen Staatsanleihen ist von 25 Prozent im Mai 2013 auf unter 1 Prozent im Jahr 2023 gesunken. In ähnlicher Weise haben Investoren mehr als 7 Milliarden US-Dollar aus dem türkischen Aktienmarkt abgezogen. Die Skepsis der Anleger verschärfte sich nach einem Referendum im Jahr 2017, das eine Exekutivpräsidentschaft schuf, die Erdogan enorme politische und wirtschaftliche Befugnisse verlieh.
Die nunmehr nicht mehr unabhängige Zentralbank der Türkei ist ein typisches Beispiel dafür. Als der Teuerungsdruck im Jahr 2021 weltweit zunahm, senkte sie im Gegensatz zu fast jeder anderen Zentralbank die Zinssätze stark von 19 Prozent auf heute 8,5 Prozent, woraufhin die Jahresinflation auf mehr als 70 Prozent hochschnellte. Das Beharren auf niedrigen Zinsen zur Förderung des Wachstums hat auch die türkische Lira stark geschwächt. Sie ist in den vergangenen fünf Jahren gegenüber dem US-Dollar um rund 80 Prozent gefallen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Importe der Türkei viel höher sind als die Exporte, was zu einem Leistungsbilanzdefizit von 6 Prozent des BIP führt.
Mit der Hoffnung der Opposition auf einen Sieg von Erdogans Herausforderer Kemal Kilicdaroglu ist jene auf einen Neustart verknüpft: An erster Stelle würde wohl die Anhebung der Zinssätze stehen, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen und damit das Vertrauen ausländischer Investoren wiederherzustellen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und gleichzeitig den Druck auf die Lira zu verringern. Die Zinssätze müssten aber auf bis zu 30 Prozent steigen, um die Inflation zu brechen, was wahrscheinlich eine schwere Rezession auslösen würde.
Keine Kursänderung unter Erdogan
Auf der anderen Seite lässt das Wahlprogramm der AKP keine großen Änderungen in der Wirtschaftspolitik erwarten. Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass Erdogan seine Haltung zu niedrigen Zinsen ändern würde. Die Lira dürfte weiter abstürzen. Die AKP hat sich zu sehr auf den Aufbau verlassen, um Wachstum zu erzielen, was auf Kosten der Landwirtschaft ging. Das Land, das sich einst selbst mit Lebensmitteln versorgte, wurde zu einem wichtigen Importeur. Auch Bildung und Beschaffung haben unter endlosen Reformen gelitten. Um in der Türkei erfolgreich zu sein, muss man Zugang zur Elite der Regierungspartei haben.
Politisch steht Erdogan seit Jahren unter internationaler Kritik, weil sich die Rechtsstaatlichkeit, die Pressefreiheit und die bürgerlichen Freiheiten unter seiner Regierung erheblich verschlechtert haben. Trotz all der Probleme ist die Türkei mit ihren mehr als 80 Millionen Einwohnern aber ein wichtiger Teil der internationalen Gemeinschaft, nicht nur als Mitglied der Nato und der G20, sondern auch als Knotenpunkt des Handels zwischen Asien und Europa. Mit seiner jungen Bevölkerung und einer sehr dynamischen Unternehmenskultur hat das Land immer noch enormes Potenzial. Nicht zuletzt hat auch das beachtliche Abschneiden der Opposition im ersten Durchgang der Präsidentenwahl gezeigt, dass es eine starke Zivilgesellschaft gibt, die sich angesichts der Repressionen nicht einschüchtern lässt.