)
Warum hat die Kritik des aktuellen Antisemitismus kaum einen Platz in den Ritualen des Erinnerns zum 70. Jahrestag des Novemberpogroms am 9. November?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Einst war der Hinweis, man solle nicht jedes Gemetzel in der Weltgeschichte als Holocaust und nicht jedes autoritäre Regime als faschistisch bezeichnen, ein berechtigter Einwand gegen die von Linken wie Rechten betriebene Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen. Doch heute sind die Warnungen vor einer Instrumentalisierung der Shoah zu Floskeln geworden, welche die Verharmlosung aktueller Gefahren befördern. Das wird hinsichtlich des Iran besonders deutlich: Das iranische Regime, mit dem die OMV den Abschluss eines Milliardengeschäfts plant, propagiert seit der islamischen Revolution von 1979 die Zerstörung Israels und sorgt regelmäßig für die Neuauflage des antisemitischen Klassikers "Die Protokolle der Weisen von Zion".
Wie reagiert Österreich?
Ali Khamenei, der oberste geistliche Führer des Iran, nannte Israel ein "Krebsgeschwür" und sieht die "Lösung für das Nahost-Problem" in der "Zerstörung und Vernichtung des jüdischen Staates." Der als moderat geltende Ex-Präsident Rafsanjani erklärte den Kampf gegen Israel zur Pflicht aller Moslems, und der reformorientierte Ex-Präsident Khatami verteidigte den französischen Holocaust-Leugner Garaudy und nannte Israel "eine alte, nicht heilbare Wunde im Körper des Islam, die dämonisches, stinkendes und ansteckendes Blut besitzt."
Präsident Ahmadinejad nennt den jüdischen Staat einen "stinkenden Corpus", zweifelt die Shoah an und organisiert Konferenzen mit Holocaust-Leugnern. Die Rede, in der er die Vernichtung Israels forderte, bei der es sich ja angeblich um einen Übersetzungsfehler handeln soll, hat er selbst in englischer Übersetzung auf seiner Homepage publiziert.
Wie wird in Österreich auf solche Äußerungen reagiert? Am 9. November ist der 70. Jahrestag des Novemberpogroms, und Vertreter fast aller politischen Richtungen werden versuchen, sich im Warnen und Mahnen, im Erinnern und Gedenken zu übertreffen. Doch warum hat die Kritik des aktuellen Antisemitismus kaum einen Platz in diesen Ritualen des Erinnerns? Insbesondere dann, wenn der Antisemitismus nicht von eingeborenen Nazis, sondern von Protagonisten aus dem islamischen Raum in die Welt posaunt wird? Sollte die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus nicht notwendigerweise die Kritik der aktuellen iranischen Politik und ihrer europäischen Förderer inkludieren, wenn sie mehr sein will als hohles Phrasendreschen?
Die Welt hat schon einmal zugesehen, wie sich Antisemitismus derart radikalisieren konnte, dass er zur Ermordung von Millionen Menschen führte und zugleich den Untergang der Protagonisten des Antisemitismus mit einkalkulierte. Ist man sich der Möglichkeit einer Wiederholung der Katastrophe nicht bewusst, so hat man nicht begriffen, dass Antisemiten die Ankündigung ihrer Verbrechen ernst meinen, so irrsinnig oder selbstmörderisch diese auch erscheinen mögen.
Auf Tote beschränkt
Wird das beim Erinnern an die Opfer des nationalsozialistischen Antisemitismus absichtsvoll verdrängt, legt das den Schluss nahe, dass Gedenken sich heute in Österreich und Deutschland auf die Erinnerung an die toten Juden beschränkt, während man den lebenden im jüdischen Staat die Solidarität verweigert.
Stephan Grigat diskutiert am 11. November im Jüdischen Museum Wien über den Iran und die österreichische Vergangenheitspolitik. Informationen unter: www.stop-thebomb.net

)
)
)