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Wohlklang im Eigenbau

Von Manuel Chemineau

Reflexionen
Man muss bereit sein, sein Zimmer in eine Werkstatt zu verwandeln . . .
© Chemineau

Auch ein elektrotechnischer Laie kann hochwertige High-Tech-Lautsprecher herstellen. Das Internet bietet dazu wertvolle Hilfen an, man muss nur imstande sein, sie zu nutzen. Ein Erfahrungsbericht.


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Wenn man sich als Musikliebhaber endgültig damit abgefunden hat, dass man niemals Musiker wird, so entschließt man sich eines Tages vielleicht, zumindest ein guter Musikhörer zu werden. In Folge dessen verzichtet man auf den Kauf eines schönen Klaviers und macht sich auf die Suche nach den besten Möglichkeiten der Musikreproduktion.

Was etwa von Sergiu Celibidache als "Musikkonserve" abgetan und als untauglich für das ästhetische Erleben empfunden wird, wird von anderen, etwa von Glenn Gould, der die Arbeitsmöglichkeit im Tonstudio liebte, als eigene Kunstform geschätzt.

Um zu Hause in den Genuss der Musikkonserven zu kommen, im Lieblingsfauteuil sitzend, mit derselben Aufmerksamkeit und Intensität wie beim Lesen eines guten Buches, muss man adäquates Reproduktionsmaterial auftreiben: außergewöhnliche Lautsprecherboxen, Verstärker, Vorverstärker, Plattenspieler, CD-Player und DAC (Digital-Analog-Converter, auf Deutsch Wandler) - so wie ein Musiker nach einem Fazioli- oder Steinway-Viertelflügel fürs Wohnzimmer sucht.

Erste Versuche

Die Fachpresse im Hi-Fi-Bereich, die sich als langer Arm des Marketings versteht, bietet einen ersten Überblick über die in Frage kommenden unerschwinglichen (somit eigentlich nicht in Frage kommenden) Objekte der Begierde. Das Einfachste, um eine vorhandene, eher mittelmäßige Anlage aufzuwerten, könnte zum Beispiel ein Kabelwechsel sein, so heißt es hier. Von ein paar hundert Euro bis hin zu dem Preis eines gebrauchten Kleinwagens reicht die Preisspanne dieses vermeintlichen Wundermittels, das sich nach einer kurzen Testphase jedoch als genauso illusorisch erwies wie der Glaube, ein neuer Sessel würde den Klang des Klaviers drastisch beeinflussen.

Was also tun? Aus den 70er Jahren waren mir noch die Möglichkeiten von Bausätzen für den Selbstbau in Erinnerung, ich wusste daher, dass es theoretisch möglich sein musste, diese Hightech-Geräte selber zu produzieren. Mit dem Lötkolben in der Hand, voller Tatendrang und einer etwas verfrühten Selbstsicherheit schritt ich ans Werk.

Am Anfang des Jahrtausends, als das Internet eine größere Verbreitung und Nutzbarkeit erfuhr, bin ich, auf der Suche nach Selbstbau- bzw. Nachbauprojekten, auf die performative amerikanische Ausdrucksweise "DIY" gestoßen: Do It Yourself. Neben einigen wenigen kommerziellen Angeboten (wie den Bausätzen des deutschen Lautsprecherherstellers Visaton) tobte damals in den Gefilden des Netzes der sogenannte "Angriff der Klone": Findige Elektronikfreaks boten mehr oder weniger legal exakte Kopien von bewährten Schaltungen aus dem sogenannten High-End-Bereich an, beziehungsweise teilten sie mit anderen. Auf den persönlichen Einsatz begrenzt, das heißt ohne kommerzielle Nutzung, wurde dies toleriert, allerdings hielten sich - Ebay ist Zeuge - viele chinesische Copycats nicht an den Deal, was die anfängliche Großzügigkeit in Folge etwas bremste.

Wenn man also bereit war, einen Lötkolben anzuwerfen, sein Arbeitszimmer in ein Atelier zu verwandeln und seine Regale mit übers Internet gekauften Widerständen, Kondensatoren, Chips, Kabeln, Transistoren oder Ringkerntrafos (von Insidern zärtlich donuts genannt) zu füllen, wenn man bereit war, die Platinen in der eigenen Küche zu ätzen, dann boten sich einige Internetforen, wo hilfreiche Zeitgenossen bereit waren, Grünschnäbeln wie mir unter die Arme zu greifen.

Schnell schon, am Anfang dieser Reise durch die Selbstbau- szene, auf der Suche nach einer weniger chaotischen und etwas systematischeren Form des Lernens, stieß ich auf die Seite von Nelson Pass und seiner Firma Pass Labs, die in Kalifornien ansässig ist (www.passdiy.com).

Der sympathische, heute bald 70-jährige Nelson Pass ist schon seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Anbieter und Entwickler von High-End Geräten (also sehr sehr guten, aber auch sehr teuren Musikwiedergabegeräten).

Seine Kreativität schöpft er aus der intimen Kenntnis des Verhaltens von elektronischen Phänomenen und den Komponenten in ihrer gegenseitigen Beeinflussung. Damit setzt er Schaltungskonzepte um, die ästhetischen Kriterien folgen, wie etwa Symmetrie oder Einfachheit. Ein Beispiel dieser Suche nach Reinheit, die zu einer unglaublich klaren Transparenz und liquiden Klangwidergabe führt, drückt sich in dem konsequenten Verzicht auf Gegenkopplung aus. Vereinfacht gesagt, ist die Gegenkopplung eine Möglichkeit, im Signalweg entstandene Fehler oder Unreinheiten quasi zeitgleich zu korrigieren, was jedoch Spuren in Form von Verzerrungen hinterlässt. Besser ist, diese Fehler gar nicht erst entstehen zu lassen. Die in ihrem Purismus ausgeklügelten Schaltungen von Nelson Pass schaffen genau das, er erweist sich so als wahrer Künstler der Elektronik.

So einfach wie möglich

Auf seiner DIY-Seite veröffentlicht Nelson Pass großzügigerweise einfache, leicht produzierbare Schaltungen auf höchstem Niveau, bei denen er bis an die Grenzen des Purismus geht. Dabei zitiert der ausgebildete Physiker gerne Einstein: "Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher." Die Produkte dieser Reihe wurden ZEN genannt. Begleitend dazu verfasst er Texte, die sowohl didaktisch klar strukturiert sind, als auch geistvoll und stilistisch brillant, und die so die Lektüre der ansonsten eher trockenen technischen Literatur zu einem Genuss machen.

Parallel dazu ist Pass tagtäglich aktiv im größten Elektronik-Selbstbauforum (www.diyaudio.com), das einen Teilbereich seinen Schöpfungen widmet (www.diyaudio.com/passlabs). Hier kann man mit dem Entwickler selbst - von uns Forumsteilnehmern liebevoll "Papa" genannt - in Dialog treten. Großzügig stellt er den Klonern kommerzielle Schaltungen frei zur Verfügung, was es einem ermöglicht, mit etwas Geschick und Kenntnis den Nachbau von im Handel hochpreisigen und hochqualitativen Produkten (z.B. den Geräten der ALEPH-Reihe) zu wagen.

Mit der Zeit erwies sich diese Community für mich als ein Ort der Begegnung, fachlich wie menschlich. Das tägliche Zusammentreffen mit den anderen Teilnehmern schuf eine Familiarität, nicht nur mit der Materie, sondern auch untereinander. Trotz teilweise holprigem Englisch und kulturellen Differenzen, trotz Einschränkung des Themas auf die Elektronik, hoben sich von der breiten Masse der Mitglieder einige Persönlichkeiten ab, die sich nicht nur durch technische Expertise, sondern auch durch Sprachwitz, Humor oder sogar literarisches Talent auszeichneten.

Da ist der Niederländer Jacco Vermeulen mit seinem unerbittlichen Schalk und seiner surrealistischen Sprachgewandtheit, da sind die langen hochliterarischen Beiträge eines Grey Rollins, der sich als amerikanischer Science-Fiction-Autor entpuppte. Da ist der aus einer serbischen Kleinstadt agierende, stets von einem Thread zum anderen springende und helfende Aleksandar Prodanovic aka Zen Mod. Dieser so hochbegabte wie verrückte Serbe, der die Hilfsbereitschaft, den Humor und den antikommerziellen Geist des Forums unter dem Motto "Life is good" verkörpert, hat als Avatar ein Bild von Pipi Langstrumpf gewählt - Selbstironie, die zum Ablegen der Arroganz auffordert.

Oder der kongeniale französische Wissenschafter, mein persönlicher Guru, François T., den ich später in einem französischen Forum wieder getroffen habe. Auch er beherrscht Sprache und Ausdruck wie selten jemand, selbst in den Geisteswissenschaften. Da Sprachgewandtheit im Hi-Fi-Forum nicht das eigentliche Thema ist, treten diese Talente zu Tage, ohne die anderen erdrücken zu wollen - da man davon ausgehen kann, dass die meisten Teilnehmer damit ohnehin nichts am Hut haben. Für mich aber war dies ein Faszinationsmoment. Im Lauf der Zeit bildeten sich Freundschaften nach Serbien, Dänemark, Holland, Portugal und Frankreich. Alle haben, abgesehen von ihrem nerdigen Charakterzug eines gemeinsam: die Liebe zur Musik, also zur Kunst.

Internet-Stammtisch

Manchmal, mitten in einem Thread, in dem es etwa um einen neuen Vinyl-Vorverstärker geht, bläst ein Sturm von ungezügeltem Witz durch die Runde - von Moderatoren als Off-Topic verpönt - und verwandelt das Forum in eine Art Stammtisch, der weitere Teilnehmer anzieht, die nur vorbeischauen, weil es so amüsant ist, wie etwa auch der deutsche Journalist Holger Barske feststellt. Für diese Art von Umgang wurde später ein Thread eingerichtet unter dem Namen "The Pass Pub: The High-End Off Topic Thread", in dem über Gott und die Welt, Freundschaften und Persönliches geplaudert wird und man sich unter Freunden trifft.

Am Rande: Frauen findet man in dieser Welt selten bis gar nicht, obwohl ihnen die Türen offenstehen würden. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass das schade ist, denn es verstärkt das Gefühl, dass es genderspezifische Interessen gibt. Da Frauen nicht teilnehmen, bleibt es eine reine Männerwelt; und weil es eine Männerwelt ist, nehmen Frauen nicht teil: ein sich selbst erhaltender Teufelskreis, der nicht zu durchbrechen ist.

Wenn ich mir heute meine Anfängerfragen von damals vergegenwärtige, die meinen Wissensstand an der Nulllinie orten, steigt mir Schamesröte ins Gesicht. Andererseits verdeutlicht es mir, welcher Weg in diesen Jahren durch das unsystematische, chaotische aber auch lustvolle Lernen zurückgelegt wurde. Ein Weg, der es ermöglicht hat, dass, wenn ich heute in meinem Fauteuil sitze und Musik höre, das Quartett hautnah in meinem Wohnzimmer zu stehen scheint, dass die Luft zwischen den Musikern zirkuliert, wenn die Fortissimi, von rabenschwarzen Bässen untermauert, brachial ertönen und die Pianissimi filigran durch zarte Höhen schweben.

Manuel Chemineau, geboren in Paris, lebt in Wien. Kulturhistoriker, Literaturwissenschafter und Übersetzer, unterrichtet an der Universität Wien.