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Wohlstandstouristen schätzen Diktatoren

Von Engelbert Washietl

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Nicht nur Supermächte stützen sich auf berechenbare Machthaber und schauen weg, wenn es um Menschenrechte geht.


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Seit der Revolution in Ägypten flackern zeitweilig moralische Skrupel auf. Wieso zeigte die US-amerikanische Führung keine Begeisterung für die Freiheitsdemonstranten auf Kairos Tahrir-Platz, solange sie nicht wusste, ob Präsident Hosni Mubarak stürzt oder nicht? Die Ölfirmen - man sieht es gerade jetzt am Beispiel Libyens - haben ebenfalls ihre spezifische Moralkurve: Auch ein irrer Machthaber ist ein Freund, wenn er Öl zu verlässlichen Preisen fördern lässt. Und ein Staat wie Italien, der tatsächlich fürchten muss, von einem Flüchtlingsheer überrollt zu werden, handelt ebenso. Dank dem Diktator, der Verträge über Ausreisestopps macht und mit landesüblichen Mitteln - also drakonisch - dafür sorgt, dass sie funktionieren.

Am unteren Ende der Skala bewegen sich die Touristen, also du und ich. Und so über den Kamm geschoren sind wir um nichts moralischer als die oben. Reiseziele mit exotischem Flair sind für Pauschalreisende auch dann komfortabel, wenn sich dort schon 40 Jahre lang demokratiepolitisch nichts bewegt hat.

Man sieht ja, wohin das führt, wenn es plötzlich nicht mehr so ist: Chaos auf den Airports, Demonstrationszüge auf Straßen und Plätzen, nicht einmal das ergatterte Taxi kommt durch. Und dazu die Ungewissheit, was alles passieren könnte. Passiert ist bisher, soweit die Nachrichten stimmen, keinem Touristen etwas, aber nicht grundlos verbreitet das österreichische Außenministerium Sicherheitswarnungen.

Aber noch repräsentativer scheinen die Pauschaltouristen in Sharm el-Sheikh und anderen beliebten Urlaubsresorts gewesen zu sein, die einfach ausharrten, entweder weil ihr 14-Tage-Arrangement noch nicht beendet war, oder weil sie sowieso nichts vom Freiheitsdrama in den Städten mitbekamen.

Die hinter dem Massenfremdenverkehr steckende Organisations- und Kooperationskraft wirkt Wunder. Die großen Touristikgesellschaften buchen mit den großen, zumeist mit der Staatsmacht verlinkten Flug-, Tourismus- und Hotelunternehmen der Zielländer langfristige Kontingente. Dann läuft alles Jahre hindurch so gut und spielt sich ein, dass der Idealzustand selbst das eigene Ende um ein paar Tage oder Wochen recht gut überleben kann.

Denn die Touristen, die schon bisher auf ihren Nilkreuzfahrten wenig vom Elend der Massen und dem Zorn der unter Druck gehaltenen Menschen gemerkt hatten, bekommen auch nicht gleich mit, dass ein Präsidentenpalast brennt. Im Fünfsternehotel bleiben die Gäste unter sich, was sie ja auch so wollen, werden in Komfort-Bussen zu den Highlights und retour geführt, die bodenständige Dienerschaft ist freundlich und lebt davon, und für den Rest des Frohmuts sorgt die Geheimpolizei. Sie arbeitet effizient und lautlos.

Und jetzt wird alles anders? Nicht für die Tourismusindustrie. Vielleicht werden Libyen und Tunesien vorübergehend aus der Liste besonders begehrter Zielländer gestrichen, aber auf mittlere Sicht kommt alles wieder ins Lot. Wo die Demokratie ausbricht, werden dennoch die von einst vertrauten Vertragspartner zur Verfügung stehen. Es melden sich die Köche, Kellner und Putzkolonnen von früher. Der Tourismus funktioniert unabhängig vom Wertekanon.

Die unangenehmen Unterbrechungen, die immer wieder vorkommen, wenn irgendwo eine neue Zeit anbricht, kann er verkraften und sogleich verarbeiten. Für den Neustart winken Tiefspreisangebote.

Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".