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Alt-Kanzler Franz Vranitzky und Ex-EU-Kommissar Franz Fischler diskutierten "Rezepte" gegen die FPÖ. Eine blaue Regierungsbeteiligung sehen beide kritisch.
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Wien. "Es müsste sich einfach jemand einmal die Mühe machen, die einfachen Formeln der FPÖ zu entlarven und aktiv mit der Bevölkerung darüber zu diskutieren", erklärte der Präsident des Europäischen Forums Alpbach und ehemalige EU-Kommissar und ÖVP-Politiker Franz Fischler am Mittwochabend. Anlass war eine Podiumsdiskussion zum Thema "Wer, wo, mit wem? Hat Rot-Schwarz Zukunft? Sind die Blauen noch zu stoppen?" von der PR-Agentur Unique Relations des ehemaligen SPÖ-Politikers Josef Kalina im Wiener Ringturm.
In dieselbe Kerbe schlägt Alt-Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ): Wien sei ein Zuwanderungsland, wo nicht selten qualifizierte Einwanderer auf weniger qualifizierte Wiener treffen würden. Und selbst wenn diese Zuwanderer die Staatsbürgerschaft bekommen, seien sie immer noch "die Ausländer", die anderen den Jobs wegnähmen. "So entstehen unglaubliche Spannungsfelder - und eben dort, wo nicht immer nach Aristoteles diskutiert wird, funktionieren die einfachen Formeln der FPÖ", meint Vranitzky. "Dabei ist ja die heiße Luft, die die FPÖ absondert, schnell ausgelassen, wenn man sich damit im Gespräch mit der Bevölkerung auseinandersetzt - man muss es nur tun", ergänzt Fischler.
Bestätigt sehen sich die beiden Herren durch zwei Daten von Unique und Ifes, in denen eine Korrelation zwischen der Angst vor Wohlstandsverlusten und der Wahl der FPÖ in Wien hergestellt wird: Je größer die Abstiegsängste, desto höher der Anteil an freiheitlichen Wählern - und das ist vorwiegend in den Flächenbezirken der Fall (siehe Grafik).
Dabei zeigen wiederum andere aktuelle Ifes-Zahlen - bezogen auf Nationalratswahlen -, dass nicht alle, die FPÖ wählen, auch wollen, dass die FPÖ in die Regierung kommt. Demnach wünschen sich 32 Prozent eine SPÖ-ÖVP-Koalition. 28 Prozent eine rot-grüne Koalition, 23 Prozent eine schwarz-grüne Koalition, 21 Prozent Schwarz-Blau. 19 Prozent plädieren für Rot-Blau.
"Die große Koalition hat unser Land geprägt und das sieht man auch an diesen Zahlen, aber die Regierungsparteien machen es sich heute schwer, bei den Wählern zu punkten, weil sie sich nicht einmal bei kleinen Randthemen einig sind", so Vranitzky. Als Beispiel nennt er das Thema Gratis-Zahnspange, "das man als Regierung eigentlich in einer überschaubaren Zeit zu regeln hat". Es sei nämlich dem Wähler gegenüber wenig vertrauensbildend, wenn sich so etwas monatelang hinziehe - "vor allem in einer Zeit, wo Effizienz so gefragt ist".
Das Argument, dass es in der Steiermark aber auch nicht funktioniert hat, obwohl SPÖ und ÖVP ein Herz und eine Seele waren, ließ der ehemalige Bundeskanzler in einem nachfolgendem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" übrigens nicht gelten. "Da wurden Faymann und Mitterlehner abgewählt - und nicht Voves und Schützenhöfer", so Vranitzky.
"Social-Media-Kanälein den Griff bekommen"
Dass die FPÖ immer stärker wird, führen sowohl Vranitzky als auch Fischler unter anderem auf die Wirksamkeit der Social-Media-Kanäle zurück. "Social Media hat vieles verändert, hier findet sich der Bodensatz der Gesellschaft", meinte Fischler. "Und mich wundert es, dass man einfach nur zuschaut und nicht versucht, hier die Oberherrschaft zu bekommen - da ist der wunde Punkt zurzeit." Es werde nötig sein, dass sich alle Parteien sich auf die derzeit dominierenden Kommunikationsmöglichkeiten einstellen. "Sie müssen mit großer Geschwindigkeit" lernen, die Meinungsbildung über Social Media zu beherrschen - da führt kein Weg daran vorbei, sind sich ausgerechnet die zwei "Alt-Politiker" einig. Außerdem sollten laut den beiden - entgegen der Meinung vieler Spin-Doktoren - wieder Inhalte eine größere Rolle spielen, "und die Courage der Politiker, wieder klare Positionen zu beziehen." Vor allem aber dürfe man nicht versuchen, "blauer zu sein, damit die Blauen wieder zurückkommen, so wie in Linz", ergänzt Vranitzky.
Er und Fischler hatten auch eine Erklärung dafür, dass Deutschland eigentlich das einzige Land in Europa ist, das kein großes Problem mit dem rechten Rand hat: In Deutschland habe man nämlich bereits vor Jahrzehnten die traditionellen ständischen Parteistrukturen aufgegeben und sich auf Inhalte konzentriert, weil man sich so viel schneller neue Wählerschichten erschließen könne. "Bei uns gibt es dagegen noch die Nachkriegsstrukturen. Die ÖVP etwa setzt sich aus Bünden zusammen, deren Mitglieder immer weniger werden, das macht schwerfällig und unflexibel", meint Fischler. Und auch die Rolle des Bundesrats sei sehr unterschiedlich. In Österreich habe die Länderkammer so gut wie keine Entscheidungsgewalt.
"Aus dem Parlament ist ein Abnickverein geworden"
"Und aus unserem Parlament ist ein Abnickverein geworden", so Fischler. "Und entscheiden tun mittlerweile die Landeshauptleute über die Parteien und nicht mehr über ein demokratisches Verfahren", kritisierte wiederum Vranitzky. Zu seiner Zeit sei die Landeshauptleutekonferenz noch ein "Diskutierverein" gewesen. Heute seien die Landeshauptleute zu "Oberlobbyisten für die Interessen der Länder" mutiert.