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Papst Franziskus gerät immer wieder unter Beschuss von Fundamentalisten - sei es aus der rechten, sei es aus der linken Ecke. Den einen ist sein Pontifikat viel zu offen für Neues und für Kritik, den anderen gehen seine Maßnahmen nicht weit genug. Besonders deutlich zu beobachten ist das beim kirchlichen Super-GAU-Thema, dem sexuellen Missbrauch. Schon als er im Februar Bischöfe aus aller Welt nach Rom zu einer Kinderschutz-Konferenz einberief, gab es Schelte: Konservativen Fundamentalisten war das Thema weit überbewertet, ihren progressiven Antagonisten waren die Ergebnisse zu wenig konkret.
Jetzt wiederholt sich das ganze traurige Schauspiel: Kaum hatte Franziskus am Donnerstag seinen Erlass mit neuen Regeln im Umgang mit Missbrauch veröffentlicht - "Vos estis lux mundi" ("Ihr seid das Licht der Welt") lautet der Titel des Motu Proprio -, gab es auch schon Widerspruch. Der Preis für die schnellste Missinterpretation gebührt diesmal wohl der deutschen Justizministerin Katarina Barley. Kaum war das päpstliche Schreiben draußen, beurteilte es die derzeit europawahlkämpfende Sozialdemokratin skeptisch: "Sexueller Missbrauch von Kindern ist von Strafgerichten zu beurteilen", dozierte sie, und weiter: "Die schrecklichen Missbrauchstaten sind keine interne Angelegenheit der katholischen Kirche."
Da hat Frau Barley sicher recht - aber genauso sicher hat sie das Franziskus-Papier nicht gelesen oder nicht verstanden. Denn selbstverständlich schließt es die staatliche Zuständigkeit nicht aus. Nur kann sich darum nicht das Kirchenoberhaupt kümmern.
Was in seiner Macht steht, hat Franziskus getan: Er hat zunächst einmal alle Kleriker und Ordensleute verpflichtet, den kirchlichen Behörden "unverzüglich alle ihnen bekannt gewordenen Berichte über Missbrauch zu melden". Zu den von Franziskus vorgeschriebenen Neuerungen gehört auch die Verpflichtung, dass alle Bistümer der Welt bis Juni 2020 über stabile und der Öffentlichkeit leicht zugängliche Verfahren verfügen müssen, um sexuellen Missbrauch anzeigen zu können. Betroffene wie Justiz müssen also leicht Zugang zu den Verfahren haben - mehr Transparenz geht schwerlich. Aber ja, natürlich: Handeln muss die Öffentlichkeit - respektive der Rechtsstaat - dann schon selbst.
Der emeritierte Papst BenediktXVI. hat in einem seiner Jesus-Bücher einmal den Wunsch geäußert, die Leser mögen Kritik üben, ihm aber jenes Maß an Wohlwollen entgegenbringen, ohne das ein gegenseitiges Verständnis unmöglich sei. Ein solches Mindestmaß an Wohlwollen hat auch Papst Franziskus bei seiner Behandlung des - gewiss hochsensiblen und hochemotionalen - Themas Missbrauch verdient.