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Wohnen, Spesen und Gewaltschutz: Hohes Haus als Wahlkampfbühne

Von Karl Ettinger und Martina Madner

Politik

Bei der letzten Sitzung des Nationalrats bemühten sich alle Parteien, noch einmal die Werbetrommel zu rühren.


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Selbst vor dem Ausweichquartier des Nationalrats in der Hofburg herrschte am letzten Sitzungstag vor der Wahl Gedränge. "Ruft den Klimanotstand aus!", skandierten Klimaaktivisten. Darüber hinaus waren auch Vertreterinnen des Frauenvolksbegehrens und von Gewaltschutzeinrichtungen gekommen: Ein symbolisches Gewaltschutzpaket "erschlug" mit Kunstblut beschmierte Frauen in weißem Gewand. "Gewaltschutzgesetz überarbeiten statt Frauen schwer gefährden", "Mehr Verurteilungen statt höherem Strafmaß" und "Zusammenarbeit mit Expertinnen statt Populismus" war da als Protest gegen das von ÖVP und FPÖ später im Nationalrat heftig umstrittene Gewaltschutzpaket auf Plakaten zu lesen.

Das Hohe Haus war an diesem Mittwoch aber auch schon davor ganz Wahlkampfbühne. Die bisherigen türkis-blauen Koalitionspartner waren bemüht, schon länger vorgesehene Vorhaben wie das Gewaltschutzpaket und auch die Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung, letzteres gemeinsam mit den Neos, rechtzeitig vor dem Wahlsonntag zu beschließen. Für SPÖ, Neos und Jetzt boten die Enthüllungen über die Spesenabrechnungen von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die willkommene Gelegenheit für kräftige Seitenhiebe auf die FPÖ.
Schon zu Beginn zeigte sich bei der Aktuellen Stunde, für die die SPÖ das Thema "Leistbares Wohnen" gewählt hatte, dass es an diesem Tag im Nationalrat auch um ein Schaulaufen der Parteien wenige Tage vor der Wahl ging. Denn Beschlüsse zum Thema Wochen wurden dazu nicht gefasst. Es ging darum, dass jede Partei die eigene Positionierung nochmals deutlich machte.

Harte Bandagen zwischen Rot und Blau

Daher sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner unmissverständlich: "Heute werden wir ein für alle Mal klären, welche Parteien das leistbare Wohnen fördern wollen." Der ÖVP warf sie einen "Meinungsschwenk" vor, weil diese jetzt doch nicht für die Abschaffung der Maklergebühren für die Mieter sei.

In Anspielung auf die Spesenkonten für Strache stichelte sie, die FPÖ sei offenbar nur für einen Mieter da. Die Retourkutsche von Dagmar Belakowitsch (FPÖ) war ein Angriff wegen der "exorbitant gestiegenen" Kosten für Mieter in Wiener Gemeindebauten. "Wir wollen keinen Schnellschuss", antwortete ÖVP-Mandatar Johann Singer auf Rendi-Wagner. Die Umsetzung werde in der nächsten Legislaturperiode erfolgen. In einem waren sich ÖVP, FPÖ und Neos einig: Die Vorschläge der SPÖ für leistbares Wohnen würden so nicht funktionieren. Das gelte für Mietzinsobergrenzen, weil dies die Wohnbautätigkeit bremse. Auch die Abschaffung der Umsatzsteuer auf Mieten sei kontraproduktiv, weil dann auch der Vorsteuerabzug entfalle.

Die FPÖ nützte anschließend eine "Europastunde", um einen effektiven EU-Außengrenzschutz und vor allem das Thema Asyl nochmals zur Sprache zu bringen. "Ich habe kein Problem, das Wort Festung Europa in den Mund zu nehmen", donnerte Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) ins Plenum. Um Österreichs Grenze zu schützen, brauche es starkes Personal und den Mut der FPÖ.

ÖVP-Europasprecher Reinhold Lopatka warb mit Hinweis darauf, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für einen starken EU-Außengrenzschutz sei, für den eigenen Spitzenkandidaten: "Genau das hat Sebastian Kurz schon vor Jahren gefordert."

SPÖ, Neos und Liste Jetzt waren allerdings ganz anderer Ansicht. Die SPÖ vermisste bei der "bisherigen Ibiza-Koalition" Rückführungsabkommen für jene, die kein Asyl erhalten. Andreas Schieder, seit den vergangenen Europawahlen EU-Abgeordneter für die SPÖ – diese dürfen auch in der Europastunde reden –, fasste es mit Seitenhieb auf die FPÖ so zusammen: "Was bleibt von der schwarz-blauen Asylpolitik über? Außer Spesen nichts gewesen."

Suche nach Mehrheiten noch während der Sitzung

Neos-EU-Mandatarin Claudia Gamon warf den Freiheitlichen angesichts der Turbulenzen um die Spesen vor: "Ablenken, ablenken, ablenken." Beim Flüchtlingsthema brauche es europäische Zusammenarbeit, betonte sie. Peter Pilz von der Liste Jetzt rechnete danach vor, Österreich gebe für die "Hungerhilfe vor Ort" genauso viel aus wie für Gehälter von Kickl, FPÖ-Obmann Norbert Hofer und Strache.

29 Punkte standen auf der Tagesordnung der letzten Sitzung vor der Wahl. In einigen Fällen war die Mehrheitssuche während der Sitzung noch im Gang. Den Österreichern ist Bargeld wichtig. Daher wollten ÖVP und FPÖ vor der Wahl Bargeld in der Verfassung verankern. Die SPÖ wollte das auch, brachte aber einen Abänderungsantrag ein, man wolle Steuerhinterzieher nicht schützen. Letztlich kommt Bargeld nicht in die Verfassung. Kein Antrag erhielt die nötige Mehrheit.

Anders bei der Schuldenbremse: Die schaffte die dafür notwendige Zwei-Drittel-Hürde im Nationalrat. Sie könnte letztlich aber trotzdem nicht in die Verfassung kommen, die SPÖ hat im Bundesrat die Möglichkeit sie zu blockieren, nicht unwahrscheinlich - da die Schuldenbremse in der Verfassung von den Sozialdemokraten genauso wie von Jetzt entschieden abgelehnt wird.

Klare Unterschiede beim Gewaltschutz

Dann ging es um das Thema Gewaltschutz: ÖVP und FPÖ hatten das Paket noch in Regierungsverantwortung gemeinsam ausverhandelt, im Parlament dann auch gemeinsam verteidigt: "Unser Ziel ist es, Menschen vor Gewalt zu schützen. Vor allem Frauen und Kinder sollen in Österreich keine Angst haben müssen", sagte ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker. "Wir durchbrechen die Schweigespirale", sagte FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan über die Meldepflichten, die künftig vorgesehen sind.

Konkret umfasst das Paket mehrere Teile: Es reicht von einer Verlängerung der Verjährungsfristen für minderjährige Gewaltopfer über die Ausweitung des Betretungsverbots, das künftig auch automatisch Annäherungen des Täters an das Opfer verbietet, bis hin zu den im vergangenen Jahr abgeschafften Fallkonferenzen, die ÖVP und FPÖ nun wieder per Gesetz einführen. Alles Punkte, die auch von den Abgeordneten der SPÖ, Neos und Jetzt begrüßt werden.

Heftig kritisiert wurden – wie schon im Begutachtungsverfahren, damals von Richtern, Anwälten, Frauenvereinen und Opferschutzorganisationen – die Verschärfungen im Strafrecht und die Anzeigepflichten für jene, die in Gesundheitsberufen mit Gewaltopfern konfrontiert sind.

Beschluss trotz ministerieller Kritik

Für Alfred Noll, Abgeordneter von Jetzt, ist das Paket ein "bloßer Wahlkampf-Gag ohne tatsächlichen Nutzen", für SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim gar ein "Schmarren". Sachlicher dessen Parteikollegin Gabriele Heinisch-Hosek: "Höhere Strafen verhindern erfahrungsgemäß keine Gewalt. Die Anzeigepflicht könnte Frauen sogar davor abhalten, sich medizinisch versorgen zu lassen." Und Neos-Mandatarin Irmgard Griss nannte das Gesetz eine "Mogelpackung" mit dem "Stammtischpolitik in Reinkultur" betrieben werde. Das Gesetz werde "wahrscheinlich keine einzige Gewalttat verhindern."

Aber nicht nur das: Auch Justizminister Clemens Jabloner machte klar, dass er nicht nur Positives am Gesetz sieht, sondern ihm auch "Sorgen bereitet". Er fragte sich, ob es "wirklich Ziel sein kann, grundlegende Einwände vom Tisch zu fegen?", hatte auch wenig Verständnis dafür, dass ÖVP und FPÖ "einer ohnehin bereits belasteten Justiz weitere Mühe auferlegen". Die Änderungen im Jugendstrafrecht, dass junge Erwachsene von 18 bis 21 Jahren mit Erwachsenen gleich gestellt werden, hält Jabloner aber für einen "zivilisatorischen Rückschritt", außerdem für "überzogen, weshalb sie wohl überlegt, tief diskutiert und am Ende unterlassen werden sollten".

Das war aber nicht der Fall: Das Gewaltschutzpaket passierte Mittwoch Abend den Nationalrat mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ trotz aller Proteste im und vor dem Hohen Haus.

Mehrheiten gab es auch für Reformen im Kindesunterhaltsrecht, mehr Personal bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft und das Ausrufen des Klimanotstands.