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Der Wolf wird von jeher gefürchtet - und verehrt. | Wölfe sind im Grunde ungefährlich - wenn sie richtig behandelt werden.
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Ernstbrunn/Wien. Rotkäppchen, die sieben Geißlein und auch die drei Schweinchen haben Angst vor dem bösen Wolf. In Fabeln wird er meist als blutrünstiger Isegrim bezeichnet. Der Mensch hat ein zwiegespaltenes Verhältnis zum Wolf: Einerseits dient er ihm als Projektionsfläche für dunkle Fantasien, andererseits wird er in Mythen verehrt. Hätten etwa Romulus und Remus ohne die Wölfin, die sich ihrer annahm, überlebt? Auch Namen wie Wolfgang, Wolfram oder Wolfhard zeigen die Wertschätzung des Tieres.
Ursprünglich zählte der Wolf zu den am weitesten verbreiteten Tierarten. Doch die Verfolgung durch den Menschen führte dazu, dass seine Art fast gänzlich ausgerottet wurde. In Österreich gilt er seit rund 100 Jahren als ausgestorben. "2009 und 2010 gab es Hinweise auf jeweils sechs bis sieben Individuen", sagt Christian Pichler vom World Wide Fund for Nature. Man könne dies anhand von genetischen Analysen von Bissverletzungen an gerissenen Schafen feststellen. Heuer sei hierzulande allerdings erst ein einziger Vertreter der Art gezählt worden.
Die Wölfe kommen aus den Alpen, den Karpaten oder aus Slowenien nach Österreich. "Geografisch gesehen sind wir von Wölfen umzingelt. Sie benutzen Österreich als Durchzugsgebiet. Meist sind Jungtiere auf der Suche nach einem Territorium", so Pichler. Das Land biete einen geeigneten Lebensraum, vor allem käme es aufgrund der geografischen Lage zu einer genetischen Vermischung der drei Arten aus den verschiedenen Herkunftsgebieten. Was durchaus zu begrüßen sei.
Das Wolf Science Center (WSC) im Wildpark in Ernstbrunn im niederösterreichischen Weinviertel will zur Akzeptanz der Wölfe beitragen. In dem mit 50.000 Euro jährlich vom Wissenschaftsministerium unterstützen Zentrum (ein Viertel der WSC-Mittel) betreibt man experimentelle Wissenschaft. "Erforscht wird, was Wölfe und Hunde geistig draufhaben und wie sie sich kooperativ organisieren", sagt Forschungsleiter Kurt Kotrschal. Der Kern seiner wissenschaftlichen Fragen ist die uralte Beziehung zwischen Wolf und Mensch. "Letztlich sind Wölfe ein Spiegel für bestimmte Aspekte der Conditio humana und die biologische Basis der Kooperationsbereitschaft des Menschen."
Der Verhaltensbiologe hat das Zentrum mit zwei Kolleginnen im Jahr 2008 gegründet. Mittlerweile leben dort elf Wölfe in zwei je 8000 Quadratmeter großen Gehegen. Oberstes Prinzip bei der Arbeit mit Wölfen ist ihre "freiwillige Mitarbeit". Das heißt: Die Wölfe dürfen alles. Es wird ihnen nichts weggenommen und nichts verboten. "Unsere Wölfe sind die am schlechtesten erzogenen, aber die besttrainierten", erklärt Kotrschal.
Zur Gewöhnung sind die Jungtiere in den ersten sechs Monaten ihres Lebens 24 Stunden täglich mit den Menschen zusammen. Im Unterschied zu gehaltenen Hunden müssen sie jedoch keine Vorschriften befolgen. Was wie Anarchie klingt, ist notwendig: Denn will man Wölfe drillen, wehren sie sich. "Während ein Hund soziale Fehler des Menschen verzeiht, rächt sich der Wolf sofort. Und er ist nachtragend. Wir aber brauchen Tiere, die vertrauen. Sonst geben sie den Druck zurück."
Rangordnung bei der Jagd
Die Forscher testen etwa die Lern- und Konzentrationsfähigkeit der Wölfe. Die Tiere können dabei auch selbständig Aufgaben erfüllen, indem sie zur Beantwortung von Fragen mit der Nase auf einen Touchscreen stupsen. Für richtige Antworten gibt es ein Leckerli. Was die Bereitschaft zur Übung zusätzlich erhöhen dürfte. "Die Wölfe sind richtige Computerfreaks", sagt Kotrschal.
Am WSC wird zudem das weltgrößte Laufband gebaut, die Kosten liegen bei 100.000 Euro. Dann kann man etwa den Herzschlag messen. Oder die Forscher lassen Gruppen gemeinsam laufen, damit sie Rangordnungen unter den Wölfen beobachten können: Jagt jeder einzeln hinter einem Reh hinterher oder tun sie sich zusammen? Damit jedoch der Lebensraum des Wolfs in Österreich gesichert ist, bedarf es noch weiterer Maßnahmen. Laut Christian Pichler müsste etwa der Staat Bauern für gerissenes Vieh entschädigen oder für die Errichtung von elektrischen Zäunen aufkommen. "Das würde auch zur Akzeptanz des Wolfes beitragen, denn: Der Wolf ist ungefährlich."