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Wolfgang Kos, der Direktor des Wien Museums, erklärt, wie er sich eine zeitgemäße Museumskultur vorstellt, spricht über den Karlsplatz als interessanten Standort und erinnert sich an seine alte Liebe, die Popmusik.
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Wiener Zeitung:Herr Direktor Kos, Sie planen für das Frühjahr 2008 eine Karlsplatzausstellung. Früher haben Sie gesagt, der Karlsplatz sei nicht mehr zu retten. Sehen Sie das heute anders?Wolfgang Kos: Der Karlsplatz ist ein schwieriges Terrain, aber das sind oft die interessantesten. Es geht darum, jenen Ort in Wien zu thematisieren, wo sich die meisten Wege der Menschen kreuzen. Das ist ein Kraftpunkt, und zwar seit 2000 Jahren. Die Ausstellung wird "Am Puls der Stadt" heißen. Viele sagen: Karlsplatz, ach, dort will ich gar nicht hin! Wir als Museum müssen uns hier behaupten. Dieser Platz ist auch einer der vergebenen Möglichkeiten. Die Besten sind hier gescheitert - selbst Otto Wagner mit seinem Stadtmuseum, in dem wir uns heute sehr wohl fühlen würden.
Also doch ein nicht zu rettender Platz?
Der Platz ist dann nicht zu retten, wenn man ihn zu einem Wald werden lässt. Ich habe mich im Rahmen der Neugestaltung des Karlsplatzes dafür eingesetzt, dass die Büsche geschnitten werden. Jetzt ist wieder Weitblick möglich.
Mit "Kinetismus", "Schiele und Rössler", "Marie-Luise von Motesiczky" haben Sie auch erfolgreiche Kunstausstellungen gezeigt. Wollen Sie das fortsetzen?
Selbstverständlich. Kunst ist für uns immer ein Thema, weil das Museum eine zumindest partiell hochkarätige Kunstsammlung hat. "Schiele und Rössler" war letztlich auch eine Ausstellung über die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen eine Karriere wie die Schieles entstehen konnte. Trotzdem sind monografische Ausstellungen dieser Art die Ausnahme in unserem Programm.
In Wiener Kunstmuseen wird über verschwimmende Profilgrenzen gestritten, jeder macht alles. Gilt das auch für das Wien Museum?
Unser Glück ist, dass wir von Haus aus alles machen müssen. Darum müssen wir besonders gut überlegen, was wir machen. Dieses panoramatische Erscheinungsbild ergibt sich aus den Sammlungen. Jede Ausstellung, egal zu welchem Spezialthema, ist letztlich eine Auseinandersetzung mit den Veränderungen des Lebens der Menschen in Wien. Wir wollen offene Angebote machen. Und haben das Glück, dass es - auch auf Bundesebene - keine historischen Museen gibt, die sich mit Stadtgeschichte befassen. Deshalb ist das Profilsuchen nicht so verkrampft. Es ergibt sich eher von selbst. Egal, was wir historisch bearbeiten, es sollte immer auch Heutiges reflektieren. Unser Slogan "Neues aus der Vergangenheit" gefällt mir immer besser. Ihre Ausstellungen unterscheiden sich auch deshalb von anderen, weil sie gegen die glatte Ikonisierung gerichtet sind und kritisches Potenzial zulassen. Wie weit kann man gehen, ohne das Publikum zu verschrecken?
Man kann überraschend weit gehen.
Das Publikum ist also mündiger, als man glaubt?
Vor allem ist es sehr offen, wenn eine Vertrauensbasis besteht. Ich habe eher Probleme gehabt, eine Brücke zum avancierteren Museumspublikum zu schlagen. Das Museum lag nicht am Parcours der Snobs unter den Ausstellungsgehern. Es klingt platt, aber wenn man das Gefühl hat, darüber informiert zu werden, wie die Menschen hier früher gelebt haben, gibt es plötzlich einen Sog an Identifikation und ein erhöhtes Interesse an Themen, die einen als Stadtbewohner betreffen. Das spürt man als Museumsleiter. Manchmal gelingt das schlechter, manchmal besser, wie etwa bei der "Sinalco-Epoche". Dort fanden die Menschen ihre eigene Welt wieder - bis hin zur eigenen Sentimentalität.
Ist der Wiener ein besonderer Nostalgiker?
Es geht bei Ausstellungen wie "Die Sinalco-Epoche" nicht um Nostalgie, sondern um etwas, was ich "Heimat der Dinge" nennen würde. Etwa um subjektive Gefühle und Assoziationen, die ein Cocktailglas auslöst.
Nach welchen Kriterien gehen Sie bei der Themenwahl vor? Zurzeit wird eine Sommerausstellung über düstere Elendsdarstellungen gezeigt.
Aber nicht deshalb, weils heiß ist, sondern weil es ein wichtiges Thema ist. Ich wollte mit "Ganz unten" endlich eine Ausstellung mit einem internationalen Städtevergleich machen. Und die Ausstellung ist nicht düster, sondern ziemlich erhellend.
Ihre Themen sind weit gespannt - von der Mode bis zum Wirtshaus. Wo sind Ihre Grenzen?
Das Museum darf nur das tun, was es kann, wobei sich ein klarer, möglichst schmaler Blick auf ein Thema empfiehlt. "Ganz unten" etwa behandelt ein breites Thema, hat aber ein sehr präzises Konzept. Ausstellungen wie "Im Wirtshaus" sind gefährlich, denn da kann man viel dranhängen. "Alt Wien" war paradigmatisch - eine Ausstellung, die sich um die Frage drehte: "Warum ist Wien so rückbezüglich?"
Hat die Fülle der Exponate in der "Alt Wien"-Ausstellung das Museum und das Publikum nicht ein wenig überfordert?
Das Publikum war, glaube ich, am wenigsten überfordert, wir haben hohe Aufenthaltszeiten registriert. Das ist nicht automatisch ein Qualitätszeichen, aber in diesem Fall war es gut so. Ich setze auf den mündigen Besucher, der entscheidet, auf welche Ausstellungsdetails er sich einlässt. "Alt Wien" war eine heftige Anstrengung für das Museum und alle Mitarbeiter. Mir war wichtig, rasch nach meinem Amtsantritt eine große Ausstellung zu machen, die von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wenn Sie als Direktor in ein Museum kommen, wo Sie kompetente Mitarbeiter vorfinden, deren Arbeitsstile Sie noch nicht kennen, ist es gut, gemeinsam eine große Expedition zu machen: im Sinne von "auf den Berg müss ma jetzt hinauf". Manche haben das als belebend empfunden, manche eher als anstrengend.
Sie haben einmal gesagt, dass man das Ausstellungsmachen mit dem Radiomachen vergleichen kann . . .
Das ist überraschenderweise wirklich so.
. . . und dass es Journalisten oft leichter fällt zu kuratieren als Wissenschaftern.
Die Umsetzungsweisen sind natürlich nicht vergleichbar. Aber einen Weg durch ein Thema zu finden, einen sinnvollen Ablauf im vorgegebenen Raum und in festgelegter Zeit - das ähnelt doch sehr der Arbeit beim Radio. Beim Radio habe ich auch gelernt, dass man Zwischenschritte braucht, um ein Thema zu entwickeln. Das sind dramaturgische Kniffe. Sonst schalten die Leute ab.
Ist es da wie dort besser, Generalist zu sein als Spezialist?
Ich glaube, ja. Aber man muss zumindest echte Spezialisten im Team haben. Ich selbst versuche immer auf der Seite des Publikums zu stehen, wenn ich Leitfragen für eine Ausstellung entwickle.
Ihre Ausstellungen sind wohl auch wegen auffälliger Plakate und guten Marketings erfolgreich. Wie wichtig ist ein wenig "Pop" im Museum?
Bildung braucht auch Verführung. Gerade, weil das Museum langsam ist, träge wie ein Öltanker, braucht es Signale, die aussenden, dass wir uns in derselben Welt befinden wie die Waren- und Medienangebote. Warum sollte der Titel einer Ausstellung weniger gut überlegt sein als der Name eines neuen After-Shaves?
Sind die Museumsbesucher jetzt jünger als früher?
Ja, und nicht nur das. Sie sind zum Glück auch ein bisschen mehr geworden.
Sie haben einen kleinen Sohn - inspiriert er Sie zu kinderfreundlichen Ausstellungen?
Mein Sohn ist sehr früh in Kunstausstellungen mitgegangen, und ich habe bald gemerkt, dass bei Ausstellungen eine Übersetzung ins "Kindliche" gar nichts bringt. Das Kind will das Wesentliche verstehen. Bei "Alt Wien" war mein Sohn zweieinhalb und hat ein Thema für sich gefunden. Er hat gesagt: "Papa, früher gab's keine Autos". Ich hätte nicht gewusst, wie ich ihm erklären sollte, dass es ein "Früher" gibt.
Woher stammen Ihre Inspirationen: von Star-Kuratoren wie Harald Szeemann oder Bazon Brock?
Eigenwillige Ausstellungsmacher wie Szeemann oder Generalisten wie Brock haben mich natürlich beeindruckt und ermutigt. Szeemann arbeitete zum Beispiel nach der Methode der subjektiven Assoziation. Er erklärte mir seine Ausstellung "Austria im Rosennetz" als fiktive Wegführung durch die Räume, lange bevor die Ausstellung konkret wurde. Als er im 20er Haus in Wien an der Großausstellung "Der Hang zum Gesamtkunstwerk" arbeitete, saß er zwischen seinen Hängeregistraturen und Notizblättern am Fußboden, wie ein Kind in der Sandkiste. Ich habe ihn damals für die "Musicbox" interviewt. Dieses Bild blieb hängen.
Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit Ausstellungsarchitekten wie Luigi Blau?
Es ist wichtig, dass wir uns weiterhin den Luxus von guten Gestaltern leisten. Immer weniger Museen machen das - es soll in Österreich sogar Direktoren geben, die selber die Wände einfärben. Die Generation von Luigi Blau kann Raumabläufe optimieren, behutsame Wegführungen schaffen, hat viel Liebe zum Objekt und sucht dessen bestmögliche Präsentation. Diesen Feinblick haben zum Glück aber auch viele der jüngeren Teams, mit denen wir arbeiten.
Planen Sie die permanente Ausstellung im Museum mit Hilfe von Architekten zu verändern?
Bis jetzt ging es mir um eine erfolgreiche Neupositionierung durch prägnante Sonderausstellungen. Die vorhandene Dauerschau hat kaum Besucher - egal, ob Türkenbelagerung, Originalfiguren von St. Stephan oder sogar Klimts "Emilie Flöge". Sie ist offenbar abgespielt. Daran sind nicht die opulenten Objekte, sondern ihre Aneinanderreihung ohne hinreichende Erläuterung des politisch-kulturhistorischen Kontexts schuld. Ein neues Konzept ist überfällig. Neue Narrationen verlangen auch nach ungewöhnlichen Gestaltungsideen. Wir werden sicher mit Spitzenleuten zusammenarbeiten.
Waren die Interventionen, also die Objekte erläuternden Texte und Bilder von Künstlern und Wissenschaftern, nicht hilfreich?
Diese Interventionen sind museologische Arbeitsbehelfe, die Dauerausstellung braucht aber einen heutigen Standard, für den jedoch der Raum fehlt - 2200 Quadratmeter sind zu wenig, egal, ob die Stadtgeschichte chronologisch oder nach Themen aufbereitet wird. Das 20. Jahrhundert sollte in zeitgemäßen kulturhistorischen Museen rund fünfzig Prozent der Fläche einnehmen, weil sich die Menschen für diese Epoche besonders interessieren. Im Wien Museum kommt das 20. Jahrhundert aus Platzgründen in der Dauerausstellung kaum vor.
Auch die politisch brisanten Themen des 19. Jahrhunderts fehlen. Es ist zum Beispiel skandalös, Karl Lueger, den ersten "Medienbürgermeister Wiens", derzeit nur durch einen Intarsiensessel von Otto Wagner präsentieren zu können. Luegers Persönlichkeit und Wirken müssen dringend gründlich abgehandelt werden können, etwa mit den Schwerpunkten Populismus, Antisemitismus und Stadtmodernisierung. Ich muss also fast bei Null anfangen, weil man um 1960 - als das Haus eröffnet wurde - anders konzipiert hat.
Wie viel Ausstellungsraum würden Sie brauchen?
4000 Quadratmeter sind heutzutage unteres Standardmaß. Drei Architekturbüros erstellen derzeit für uns Machbarkeitsstudien zu eventuellen An-, Auf- oder Zubauten. Erst nach einer substanziellen Flächenerweiterung kann eine Neuaufstellung mit hohem Anspruch beginnen.
Wie konzipiert man sie heute?
Indem man Politik, Alltag, Kunst und Fragen der Stadtentwicklung miteinander verknüpft. Die Sammlungen des Wien Museums ermöglichen aufgrund ihrer Vielfalt diesen interdisziplinären Zugang. Die Museen der Zukunft sind sicher keine Schulbücher mehr. Als ich zum Direktor berufen wurde, lautete die Reformvorgabe, das damalige Historische Museum zu einem "Museum des 21. Jahrhunderts" zu machen. Wir kennen das Ziel, vor uns liegt aber noch ein Investitionsschub, den die Stadt Wien mittragen muss, weil er unsere Mittel weit übersteigt.
Sie müssen ja auch das "Heute" sammeln. Wo fängt man da an, und wo hört man auf?
Man kann ja nie alles sammeln, sondern muss auswählen. Ich nenne das die notwendige "radikale Selektion" - wir entwickeln gemeinsam mit den Kuratoren eine Sammlungsstrategie, erstellen positive und negative Kriterien. Eine Gefahr ist, dass man sich mit Objekten blockiert. Auch bei Schenkungen muss man sich vor Riesenkonvoluten hüten, die kaum bearbeitbar sind. Sachen, die nichts kosten, sind oft die teuersten.
Ihre Musikinteressen haben Sie mit "Go Jonny go", der Ausstellung über die Elektrogitarre, in die Kunsthalle ausgelagert. Sind Sie solcherart zu Ihrer alten Liebe, der Popmusik, zurückgekehrt?
So war das vielleicht gedacht. Aber die Ausstellung fiel 2003 ins Jahr meines Beginns im Museum, es war also eher stressig. Heute bin ich, was die Popmusik angeht, ein reiner Konsument geworden, lese keine Fachmedien mehr und verlasse mich beim CD-Kauf auf gute Empfehlungen.
Ihre Lust, Radio zu machen, ist aber ungebrochen?
Momentan geht es sich nicht aus, es gibt aber zarte Anfragen. Wenn es die Arbeit im Museum erlaubt, könnte ich ab und zu wieder Sendereihen machen.
Sie verfolgen sicherlich auch die mehr oder weniger gelungene ORF-Reform?
Auf Ö1 bin ich stolzer denn je, das Medium Fernsehen halte ich für eines der schwierigsten, denn es gibt kein verbindliches Programm mehr. Ö1 hat Stammhörer, das Fernsehen läuft ohne stabile Wände, im Niemandsland. Warum vertraut man dem Publikum so wenig? Im Kino gibt es doch auch wieder gute Dokumentationen, egal, ob politisch oder kulturell - es muss nicht immer wieder eine Stunde lang das Paarungsverhalten der Eisbären abgehandelt werden. Sehr gute Gespräche mit faszinierenden Menschen - da bleiben die Zuschauer dran.
In gewisser Weise ist das Museum ein "Abstieg" für mich: Ich habe in Ö3 begonnen, wo halb Österreich zugehört hat, auch mit Ö1 haben wir bis zu 40.000 Leute pro Diagonal-Sendung erreicht. Im Museum freut man sich, wenn pro Monat 10.000 Besucher kommen. Eines ist aber seit der Ö3-Musicbox immer gleich geblieben, nämlich mein Optimismus, Menschen auch für Themen gewinnen zu können, für die sie sich nicht von vornherein interessieren.Wolfgang Kos , geboren 1949, hat sich als Historiker, Journalist und Ausstellungskurator einen Namen gemacht, bevor er im Jahr 2003 zum Direktor der Museen der Stadt Wien (Wien Museum) ernannt wurde.Kos ist in Mödling geboren, hat in Wien das Studium der Geschichte und Politologie absolviert und mit der Promotion abgeschlossen. Von 1968 bis 2003 war er als Radiojournalist und als leitender Redakteur beim ORF tätig: Bekannt wurde er als Mitarbeiter und später als Leiter der "Ö3-Musicbox" (Jugendredaktion), doch leitete er zwischen 1972 und 1994 auch das "Ö3-Popmuseum". 1994 wechselte er dann als Redakteur zum Kultursender Ö1, wo er u.a. für die Reihe "Diagonal - Radio für Zeitgenossen" verantwortlich zeichnete. Zu seinen Aufgaben beim ORF gehörten auch die Konzeption neuer Sendereihen und die Koordination von Spezialsendungen.Wolfgang Kos war immer wissenschaftlich tätig, unter anderem als Lehrbeauftragter an der Universität Wien, wo er Zeitgeschichte und visuelle Kultur unterrichtete. Seit 1995 ist er Mitglied des Kunstrats der EVN (Aufbau einer Sammlung für zeitgenössische Kunst), und seit 2004 im Wiener Beirat für Kunst im öffentlichen Raum. Überdies ist er als Autor, Vortragender, Programm-Mitarbeiter der Wiener Festwochen, Planer von Tagungen, Ausstellungskurator und Konsulent in den Bereichen Kultur, Kunst, Museologie und Stadtplanung tätig. Von seinen zahlreichen Buchveröffentlichungen seien hier nur genannt: "Über den Semmering. Geschichte einer künstlichen Landschaft" (1984, Diss.), "Eigenheim Österreich. Politik, Kultur und Alltag nach 1945" (1995), "Schreibtisch mit Aussicht. Schriftsteller auf Sommerfrische" (1995, Hrsg.), "Inventur 45/55. Österreichische Politik und Kultur" (1996, Hrsg.).