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"Wollen keine Ghettos errichten"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Hanna Gronkiewicz-Waltz bei der Stimmabgabe zu den polnischen Kommunalwahlen vergangenen Herbst.

Warschaus Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz über die Vorbereitungen zur Aufnahme von Flüchtlingen.


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Warschau. Emotionen löst sie in jedem europäischen Land aus. Doch in Polen sorgt die Debatte um die Verteilung von Flüchtlingen seit Monaten für heftigen Streit - nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch in der Bevölkerung. Nachdem die Regierung deklariert hat, zunächst einmal an die 7000 Asylwerber von Italien und Griechenland zu übernehmen, kamen schon Warnungen, Terroristen könnten ins Land gelassen werden. In mehreren Städten kam es zu Protesten gegen Immigranten - aber ebenso zu Demonstrationen der Sympathie und Unterstützung für Flüchtlinge.

Das Thema spielt in der Kampagne vor der Parlamentswahl in einer Woche ebenfalls eine Rolle. Die Vizevorsitzende der Regierungspartei Bürgerplattform, Hanna Gronkiewicz-Waltz, verteidigt die Entscheidung des Kabinetts und spricht über die Schwierigkeiten ihrer Fraktion.

"Wiener Zeitung":Eine dritte Amtszeit - was Sie als Bürgermeisterin von Warschau erreicht haben, hätte die PO (Bürgerplattform) gern für ihr Kabinett. Was sollte Ihre Partei von Ihnen lernen?Hanna Gronkiewicz-Waltz: Das lässt sich nicht so einfach umlegen: Das Regieren einer großen Stadt ist etwas anderes als das eines Gebietes mit erheblichen regionalen Unterschieden. Jedoch macht Premierministerin Ewa Kopacz mit ihren Reisen durch Polen nun etwas Ähnliches wie ich vor einiger Zeit, als es um den Erhalt meines Amtes ging: Den intensiven direkten Kontakt zu den Menschen halte ich für sehr wichtig.

Die Menschen scheinen aber nicht mehr zufrieden mit der PO zu sein. Nachdem diese es als erste Partei nach 1989 geschafft hat, vor vier Jahren als Regierungspartei wiedergewählt zu werden, sagen Meinungsumfragen nun deutliche Stimmenverluste voraus.

Acht Jahre Regierung sowie die Bewältigung von Krisen gehen nicht spurlos vorüber. Manche Menschen, denen die Situation in anderen Ländern nicht bewusst ist, glauben, es wäre mehr möglich gewesen, es hätte schneller und besser vorangehen sollen. Doch Reformen wie die Anhebung des Pensionsantritts-Alters oder bei den Pensionskassen sind große Schritte - und mit hohen Kosten für die Regierung verbunden, weil sie in der Gesellschaft nicht populär sind. Auf der anderen Seite werfen uns wirtschaftsliberale Gruppierungen zu großen staatlichen Einfluss auf den freien Markt vor. In Krisenzeiten muss sich der Staat aber um jene kümmern, die in Not geraten. Immerhin ist es gelungen, die Arbeitslosenquote unter die Marke von zehn Prozent zu drücken. Sie beträgt nun 9,9 Prozent; in Warschau sind es 4,3 Prozent.

Die Einkommen sind aber niedrig, etliche Menschen wollen noch immer emigrieren, sie klagen über ihre Lebensumstände. Warum ist die Kluft zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und dem Empfinden in Teilen der Bevölkerung so groß?

Unsere Erfahrung mit der Marktwirtschaft ist 26 Jahre alt, nicht 60 wie in Deutschland oder Österreich. Unser Lebensstandard hat sich sehr wohl erhöht, aber das muss in eine andere Relation gestellt werden. Unsere Gehälter sind zwar niedriger, aber gleichzeitig ist die Kaufkraft zu berücksichtigen. Die Lebenshaltungskosten unterscheiden sich von denen in Deutschland. Die dortige Regelung zum minimalen Stundenlohn gefällt mir übrigens gut. So eine Idee habe ich auch lanciert; wir haben zurzeit ein monatliches Mindesteinkommen (1750 Zloty, rund 400 Euro). Wir wollen die Löhne anheben.

Ein weiteres Thema im Wahlkampf ist die Flüchtlingshilfe. Die Regierung hat sich bereit erklärt, mehrere tausend Asylwerber aufzunehmen. Wie sehen die Vorbereitungen dafür aus?

Wir akzeptieren Flüchtlinge und bieten ihnen auch Arbeit an. Zuletzt haben wir dreizehn Familien aus dem ukrainischen Donbass aufgenommen und ihnen Kommunalwohnungen zur Verfügung gestellt. Wir haben gerade eine Expertengruppe nach Wien geschickt, um von den dortigen Erfahrungen mit Asylwerbern zu lernen. Außerhalb von Warschau gibt es zwei Flüchtlingslager, in denen die Asylanträge geprüft werden. Das ist allerdings noch nicht die Aufgabe der Stadtverwaltung.

Die könnte sich trotzdem ebenfalls schon vorbereiten...

So gut wir können, tun wir es. Wir haben beispielsweise schon Schulbücher für alle Altersklassen.

Die Menschen müssen auch irgendwo wohnen.

Den Raum dafür werden wir je nach Bedarf finden. Wir wollen keine Ghettos errichten, sondern die Menschen in der Stadt verteilen. In meiner Amtszeit sind 3000 Kommunalwohnungen entstanden, nicht alle werden verwendet. Es ist für uns ein neues Phänomen, vor allem die Zahl der Schutzsuchenden. Sie ist aber nicht so hoch, dass sie nicht zu bewältigen wäre.

Warum ist die Debatte darüber in Polen trotzdem so von Angstszenarien geprägt?

Für die Polen ist es etwas Neues. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie ethnisch wie kulturell beinahe eine einheitliche Gesellschaft. Es gibt nun daher Ängste vor dem Fremden. Ich persönlich bin darüber besorgt, weil wir ja einerseits Christen sind und auf der anderen Seite Angst vor einem unbekannten Nächsten haben. Auch die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft wie der Europäischen Union bringt Verpflichtungen und eine Verantwortung mit sich. Das scheint nicht allen klar zu sein.

Zur Person

Hanna Gronkiewicz-Waltz

ist seit 2006 Bürgermeisterin von Warschau und Vizevorsitzende der in Polen regierenden gemäßigt konservativen PO (Bürgerplattform). Zuvor war die Juristin, die auch an der Universität Warschau unterrichtet, Präsidentin der polnischen Nationalbank und im Vorstand der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung tätig.