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"Wollen nicht mit Spinnern in Topf geworfen werden"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Lokalaugenschein der "Wiener Zeitung" in Dublin. | "Regierung hat besser informiert." | Dublin. Die irische Regierung ist diesmal offenbar geschickter vorgegangen als beim ersten Referendum über den Lissabonner Vertrag im Juni 2008. Sie habe das Regelwerk besser verkauft und mehr informiert, heißt es vor den Wahllokalen Dublins.


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Rückenwind hatte die Ja-Kampagne auch durch die Wirtschaftskrise bekommen, die Irland besonders stark getroffen hat. Dadurch sei den Menschen klarer geworden, wie dringend die grüne Insel die Unterstützung der EU braucht, behaupten Ja-Wähler gegenüber der "Wiener Zeitung" einmütig. Allerdings zeichnete sich am Freitag eine schwache Wahlbeteiligung ab. In zahlreichen Wahllokalen zeigten sich Wähler nur sehr vereinzelt. Das gilt als Vorteil für die Gegner des EU-Vertrags.

Vielen dürfte es wie Tim Healy gegangen sein, der letztes Mal Nein gesagt hat, aber jetzt mit Ja stimmt. Er habe sich wesentlich besser informiert gefühlt, sagt er. Und die Finanzkrise habe ihm die Augen geöffnet, wie wichtig die EU-Mitgliedschaft sei. "Nur dagegen sein, bringt nichts", erklärt der Manager.

Letztes Mal wurde vor allem die Regierung von Premier Brian Cowen abgestraft, ist der Angestellte Steve Dempsey überzeugt. Den eigentlichen Referendumsgrund habe Cowen damals sehr schlecht verkauft. "Diesmal sagen aber sogar die Oppositionsparteien, dass nicht über die Regierung abgestimmt wird." Er glaube, dass die Iren diesmal ihre Einzelinteressen eher zurückstellen und mehr den Blick auf das Ganze richten. "Denn es ist verrückt. Immer wenn wir ein Referendum haben, reden alle über Abtreibung. Dabei geht es darum überhaupt nicht." Positiv sieht er auch, dass große Firmen wie IBM, Intel oder Ryanair sich für ein Ja eingesetzt haben. "Eine große Hilfe" für einen positiven Ausgang sei auch die Intervention der britischen Nationalisten der UK Independence Party und der British National Party, glaubt Demseys. Denn "wir wollen schließlich nicht mit Spinnern in einen Topf geworfen werden." Den beiden britischen Parteien bescheinigt auch der irische Europaminister Dick Roche, dass sogar die härtesten Lissabon-Gegner in Irland noch fortschrittlich gegen sie seien. Und überhaupt sei ein so komplexes Thema wie der Lissabonner Vertrag nicht für eine Volksabstimmung geeignet, findet Demseys Kollege Rodi OLeary. Der sei den Bürgern einfach schwierig zu verkaufen, aber für eine besser funktionierende EU notwendig.

Wenig Andrang

Verstörend für das Ja-Lager war die Wahlbeteiligung. Gähnende Leere herrscht am Nachmittag im Wahllokal in der Lower Baggot Street. Maximal 12 bis 13 Prozent der 900 Wahlberechtigten seien gekommen, sagt Geoff Power von der Wahlbehörde. Beim ersten Anlauf 2008 seien es um diese Zeit bereits 25 Prozent gewesen. Die Beteiligung werde diesmal wohl noch deutlich unter den gut 53 Prozent von damals liegen schätzte er - womöglich bei 30 Prozent. Das liege daran, dass die Menschen es satt haben, noch einmal zum gleichen Thema abstimmen zu gehen. Er glaube, dass es sowohl Ja- als auch Nein-Wählern so gehe. Geringe Beteiligungen wurden auch aus anderen Wahllokalen in Dublin berichtet, landesweit sollen es bis zum frühen Nachmittag rund 15 Prozent gewesen sein.

Mehr Information im Dossier: Der Lissabon-VertragWissen: Der EU-Vertrag

(wot) Ziel des Lissabonner Vertrags ist es, die EU effizienter und demokratischer zu machen sowie ihre Außenvertretung zu stärken. Effizienter soll sie vor allem dadurch werden, dass für fast alle Politikbereiche das Vetorecht fallen soll und die Mitgliedsländer künftig mit qualifizierter Mehrheit entscheiden können. Dafür erhält das EU-Parlament ein Mitentscheidungsrecht, die nationalen Parlament erhalten eine Art gelbe Karte, mit der sie die Überarbeitung von EU-Gesetzesvorschlägen veranlassen können.

Um auf der Weltbühne einheitlicher auftreten zu können, soll es einen EU-Außenminister geben, der gleichzeitig Vizepräsident der EU-Kommission ist. Ein neuer diplomatischer Dienst der EU soll aus Beamten der EU-Institutionen und der Mitgliedsstaaten zusammengesetzt werden. Lissabon sieht auch einen neuen EU-Ratspräsidenten vor, der bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs den Vorsitz führen und breite politische Leitlinien für die Arbeit der EU vorgeben soll.

Ursprünglich sah der Reformvertrag eine Verkleinerung der EU-Kommission auf eine Mitgliederzahl vor, die zwei Drittel der Anzahl der Mitgliedsstaaten beträgt. Doch als Entgegenkommen für Irland haben die Staats- und Regierungschefs beschlossen, eine Klausel des Vertrags zu nutzen und bis auf weiteres die Regel "Ein Land, ein Kommissar" beizubehalten.