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"Wollen wir wirklich Roboter als Pfleger?"

Von Eva Stanzl

Wissen

Klaus Schuch, Chef des Zentrums für Soziale Innovation, über Technik und Gesellschaft in Österreich.


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Wiener Zeitung: Die heutige Arbeitswelt ist voller Widersprüche: Nicht hohe, sondern niedrige Einkommen sinken, und wer einen Job hat, muss mehr Arbeit in kürzerer Zeit erledigen. Zugleich steigt die Arbeitslosigkeit. Wie analysiert die Sozialwissenschaft diese Probleme?

Klaus Schuch: Unsere Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass man entweder zu viel zu tun hat - oder nichts. Das Geld wird weniger, doch die Anforderungen an inhaltliche Breite und Tiefe steigen trotzdem. Ein klassischer Lösungsansatz ist, die Arbeit umzuverteilen - eine Arbeitszeitverkürzung müsste her, so wie es der Ökonom John Maynard Keynes vorhergesagt hat. Bis in die 1970er Jahre wurde das auch gemacht, doch der Prozess ist stehen geblieben. Angesichts der Globalisierung ist das sogar nachvollziehbar. Denn nationale Gewerkschaften würden eine Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich fordern und wir an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Dabei ist das Bedürfnis nach etwas mehr Freizeit groß. Das Schwierige ist nur, dass viele Leute so wenig verdienen, dass sie jede Stunde weniger in der Geldbörse spüren würden. Man müsste also begleitende Maßnahmen treffen, die sich derzeit niemand leistet.

Auch religiöse Konflikte beherrschen die Schlagzeilen, obwohl wir in laizistischen Staaten leben. Wäre dieser Widerspruch nicht ebenfalls ein brisantes Forschungsthema?

Bei Religion ist Österreich kein großartiger Ort für ein Umdenken. Es gibt nämlich kein größeres sozial- oder geisteswissenschaftliches Förderprogramm mit dem Ziel, solche Themen zu analysieren. Forschung zu Religionen wird hierzulande nicht beauftragt in Form von öffentlich finanzierten Projektausschreibungen. Somit können wir gesellschaftlich hochrelevante Themen, wie etwa das Zusammenleben nicht gläubiger und gläubiger Menschen, nicht erörtern.

Gerade zum Thema Klimawandel wird doch in Österreich viel geforscht. Programme für "Smart Cities" mit weniger Emissionen laufen auf Hochtouren.

Das Beispiel trifft aber genau den Punkt: Österreich untersucht den Klimawandel in erster Linie aus der Perspektive der Technik. Doch das ist nicht genug. Denn technische Innovationen müssen mit sozialen Innovationen einhergehen. Nehmen wir Energieeffizienz oder E-Mobilität, die wichtige Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz aufwerfen. Oder nehmen wir die Alterung: Wollen wir wirklich von Robotern gepflegt werden? Die Technik entwickelt manchmal absurde Dinge, die dringend aus der Perspektive der Menschen hinterfragt werden müssen. Viele technische Projekte im Forschungsrahmenprogramm der EU werden nie marktreif werden, weil niemand sie benutzen will. Wenn sich eine Technologie aber dann durchsetzt, müssen wir hinterfragen, was sie an unserem sozialen Verhalten verändert. Etwa war die SMS als Schnellinfo für Manager gedacht. Heute schreiben Jugendliche SMS in eigenen Codes, die fast nicht mehr entschlüsselbar sind - es ist ein subkulturelles Phänomen daraus geworden. Sich anzuschauen, wie Menschen sich Technologien aneignen und sie transformieren, finde ich spannend.

Der Bund hat den außeruniversitären Forschungsinstituten 2011 das Basisbudget gestrichen. Wie finanziert sich das ZSI als eine der größten außeruniversitären Einrichtungen seit diesem Sparpaket?

Wir haben einen Umsatz von drei bis vier Millionen Euro im Jahr. Wir finanzieren uns zur Hälfte aus nationalen und zur Hälfte aus internationalen Projektforschungsaufträgen - etwa der EU, der OECD, der Unesco oder Weltbank. Unser gesamtes Einkommen ist projektspezifisch.

Die Basisfinanzierung des Bundes war zwar nie höher als 70.000 Euro. Sie war aber für uns trotzdem wichtig. Denn das Abscheuliche an ihrem Wegfall ist, dass wir laufend Projekte einwerben müssen, weil wir unser angestelltes Administrationspersonal aus den Overheads bezahlen. Unsere Basisbudgets zu streichen war ein starker Eingriff in die österreichische Forschungsökologie, der dazu geführt hat, dass der außeruniversitäre Sektor marginalisiert und prekarisiert wurde. Und das ist insofern bedenklich, als zwei Drittel aller EU-Projekte von der außeruniversitären Forschung eingeworben werden und nicht von den Universitäten. Das ist eine gewaltige Schieflage, weil ja mit uns niemand eine Leistungsvereinbarung macht.

<!-- [if gte mso 9]><![endif] --> Sie haben mit dem Wissenschaftsministerium, dem Technologieministerium und dem Außenministerium an einer Internationalisierungsstrategie für Österreichs Forschung und Innovation gearbeitet. Da es kein frisches Geld gibt, stockt die Umsetzung. Sehen Sie noch Chancen für die Strategie?

Ich denke nicht, dass die Internationalisierungsstrategie vom Tisch ist, denn dafür war der Bedarf zu hoch. Viele Stakeholder von den Unis abwärts haben gesagt, Österreich müsse einem Europa der vielen Geschwindigkeiten an vorderer Stelle mitmachen, um international ein exzellenter Forschungspartner sein zu können. Internationalisierung wäre allerdings auch die Arbeit der EU, die diesen Auftrag nur halbherzig wahrnimmt.

Warum tut die EU zu wenig für die Internationalisierung?

Einerseits möchten die Beitragszahler Rückflüsse aus den Forschungsrahmenprogrammen für sich beanspruchen und daher nicht zu viel Budget in internationale Kooperation stecken. Und andererseits gehen Länder wie China oder Korea Forschungskooperationen mit einzelnen Ländern ein. Somit hat fast jedes europäische Land hat ein wissenschaftlich-technisches Abkommen mit China. Somit weiß China, was es mit jedem EU-Land tut, aber kein EU-Land weiß, was alle anderen mit China tun. Das Reich der Mitte gewinnt strategische Vorteile, weil wir uns in Europa zu wenig austauschen.

<!-- [if gte mso 9]><![endif] --> Wie steht es um die Sozialwissenschaften in Österreich?

Nicht gut. Beim Wissenschaftsfonds FWF (größte Agentur zur Förderung exzellenter Grundlagenforschung, Anm.) sind die Bewilligungsraten in den Sozialwissenschaften niedriger als in Geistes- und Naturwissenschaften. Da man beim FWF themenoffen einreichen kann, ist das ein Indiz für mangelnde Qualität.

Woran liegt das?

Das Qualitätsproblem ist vielschichtig. Es hat zum Beispiel damit zu tun, dass in Österreich 60 Prozent aller Studierenden Sozial- und Geisteswissenschaften inskribieren, aber nur ein Viertel der Beschäftigten an den Unis in dem Bereich arbeiten. Somit ist die Lehrbelastung bis zu vier Mal höher als in anderen Disziplinen, was dazu führt, dass die Lehre die Forschung kannibalisiert. Und wenn man in unserem Fach eine gute Lehre machen möchte, die in Österreich viel zu wenig geschätzt wird, kommt man kaum dazu, substanziell zu forschen.

Hinzu kommt, dass es keine spezifischen, thematischen Unterstützungsmaßnahmen für Geistes- und Sozialwissenschaften in den angewandten Förderagenturen mehr gibt. Es gibt ein IKT-Programm, ein Energieprogramm und ein Mobilitätsprogramm des Verkehrsministeriums - für die ökonomisch relevanteren, technischen Themen. Das Wissenschaftsministerium hingegen steuert seit langer Zeit seine Interventionspolitik über die Leistungsvereinbarungen mit den Unis und nun auch der Akademie der Wissenschaften. Über zielgerichtete Programme wird immer weniger gesteuert.

Wie sehen Sie die Zukunft der Forschung in Österreich?

Die letzten 15 Jahre waren eine Erfolgsstory. Wir sind von einem Land mit einer niedrigen Forschungsquote und veralteten Strukturen zu einem guten Follower mit einem transparenten System geworden. Aber wir haben zu wenig kompetitive Forschung. Jährlich fließen 2,5 Milliarden Euro in die Unis und nur 200 Millionen Euro in den FWF. Frisches Geld würde ich primär in kompetitive Grundlagenforschung und in Ausbildung stecken.

Zur Person

Klaus Schuch

1963 in Wien geboren, studierte Geografie und Wirtschaftskunde. Im Oktober folgte er Josef Hochgerner als wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI) in Wien, dessen kaufmännischer Leiter Schuch von 2002 bis 2012 war. Seine Spezialgebiete umfassen Innovationssystemforschung, internationale Forschungskooperationen und Evaluierung.