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Bestimmte Urmenschen ähnelten in den Nahrungsgewohnheiten Schimpansen.
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Berlin. Australopithecus-Vormenschen eilten auf zwei Beinen über die Savannen Afrikas und mahlten mit ihren kräftigen Zähnen die spröden Schalen von Nüssen und Samen von Gräsern. So ähnlich beschrieben Forscher bisher die Ernährung der direkten Verwandten der Frühmenschen und damit auch des heute lebenden Menschen Homo sapiens.
Als Amanda Henry vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Lee Berger von der University of Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg und ihre Kollegen jetzt aber zwei Zähne der Art Australopithecus sediba mit verschiedenen Methoden analysierten, fanden sie Hinweise auf ganz andere Kaugewohnheiten: In der Online-Ausgabe von "Nature" berichten sie, dass diese Vormenschen vor knapp zwei Millionen Jahren offensichtlich eifrig an Rinden, Blättern und anderen Waldpflanzen kauten.
"Das ist eine tolle Analyse, die ein anderes als das bisher gewohnte Bild von Australopithecus zeichnet", erklärt der Spezialist für die Zähne und die Ernährung von Vor- und Frühmenschen Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main. "Die Kollegen haben eine Reihe unterschiedlicher Methoden angewendet, die am Ende ein stimmiges Bild lieferten", fasst der nicht an der Studie beteiligte Frühmenschenforscher zusammen: Mit einer Kohlenstoff-Isotopen-Analyse untersuchten sie zunächst die beiden Zähne von zwei Australopithecus-sediba-Individuen, deren Fossilien Lee Berger am 15. August 2008 in einer Malapa genannten Höhle im Norden Südafrikas gefunden hatte.
In der Natur gibt es vom Element Kohlenstoff zwei stabile Atomtypen, das sehr häufige Isotop Kohlenstoff-12 und das relativ seltene Isotop Kohlenstoff-13. Pflanzen bauen diese beiden Isotope unterschiedlich gut in ihre Zellen ein: Sogenannte C3-Pflanzen wachsen häufig im Wald, benötigen relativ viel Wasser und verwenden nur sehr wenig Kohlenstoff-13. Viele Gräser, wie etwa Getreide oder Zuckerrohr, sind dagegen C4-Pflanzen, die verhältnismäßig viel Kohlenstoff-13 einbauen, mit Wasser sehr sparsam umgehen und daher oft in der eher trockenen Savanne wachsen. Der menschliche Organismus wiederum übernimmt das Verhältnis dieser Kohlenstoff-Isotope in seiner Nahrung.
Aussagekraft gilt allerdings nur für die letzte Mahlzeit
Die sehr geringen Mengen von Kohlenstoff-13 im Zahnschmelz der beiden Australopithecus-Vormenschen zeigen daher, dass sie sich fast ausschließlich von C3-Pflanzen ernährten. Andere Australopithecus-Vertreter, aber auch Frühmenschen der Gattung Homo und moderne Menschen kauen dagegen reichlich Samen und Produkte von C4-Pflanzen. Etwas Ähnliches deuten auch die unter dem Mikroskop untersuchten winzigen Flächen der Zähne an, auf denen normalerweise die Nahrung zerrieben wird. "Unterschiedliche Nahrung erzeugt dort jeweils ein anderes Mikro-Relief", erläutert Senckenberg-Forscher Ottmar Kullmer die Grundlagen dieser Untersuchung. Die Kauflächen der beiden Australopithecus-
sediba-Zähne aber zeigten Ähnlichkeit mit denen von Genießern härterer Nahrung.
"Allerdings spiegeln diese Mikroreliefs nur die letzte Mahlzeit wieder", schränkt Ottmar Kullmer die Aussagekraft dieser Untersuchung ein. Demnach sollten die beiden Australopithecus-Individuen zumindest vor ihrem Tod härtere Nahrung aus dem Wald genossen haben. Darauf deuten auch die nur unter dem Mikroskop erkennbaren Siliziumdioxid-Teilchen hin, die in Pflanzen entstehen und sich beim Kauen in den Zahnstein einlagern können. In verschiedenen Pflanzentypen bilden sich unterschiedliche Formen dieser "Phytolite". In der Umgebung der Australopithecus-Fossilien fanden sich zwar durchaus die für Gräser typischen Phytolite, nicht aber in den Zähnen. Dort entdeckten die Forscher wiederum Phytolite, die für Holz und Rinde typisch sind.
Nur zwei andere Arten hatten einen ähnlichen Speiseplan
"Das muss natürlich nicht heißen, dass die beiden Individuen Holz gegessen haben", erklärt Ottmar Kullmer. "Sie können zum Beispiel auch Zweige und Rinde gekaut haben, um darin enthaltene Zucker oder Proteine herauszulösen", vermutet der Senckenberg-Forscher. Während alle anderen Vor- und Frühmenschen vor allem Pflanzen der Savanne aßen, deuten alle drei Analysen von Australopithecus sediba auf eine Wald-Diät hin.
Nur zwei andere Arten dürften einen ähnlichen Speiseplan haben: Auch die heute in Savannen lebenden Schimpansen ernähren sich überwiegend aus den Bäumen. Genauso verhielt sich auch Ardipithecus ramidus. Diese Art lebte allerdings bereits vor 4,4 Millionen Jahren im heutigen Äthiopien und ähnelte in vielen Eigenschaften wohl Schimpansen, in etlichen anderen dagegen Vor- und Frühmenschen.
Eine ähnliche Mischung aber finden Lee Berger und seine Kollegen auch in Australopithecus sediba, dessen Nahrungsgewohnheiten eher an Schimpansen erinnert, während seine Hände für das geschickte Anfertigen von Werkzeugen wie geschaffen scheinen.