)
Die Vorstellung, dass der Mond aus Käse sei, ist zwar altbekannt, aber wissenschaftlich leider nicht haltbar.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im Jahr 1989 spielte der britische Trickfilmer Nick Park in seinem Kurzfilm "A Grand Day Out" (deutscher Titel: "Alles Käse") mit einem alten Mythos: Weil daheim der Käse ausgegangen war, bastelten der Erfinder Wallace und dessen Hund Gromit flugs eine Mondrakete - und landeten auf dem "Käsemond".

Die Vorstellung, wonach der Mond aus Käse bestünde, ist viele Jahrhunderte alt. Der weiße Vollmond erinnert ja durchaus an einen runden Käselaib. Der Sage nach hetzte einst der schlaue Fuchs einen Wolf in den Tod: Er machte ihn glauben, das Spiegelbild des Mondes im Teich sei ein versunkener Laib Käse. Um an diesen heranzukommen, trank der gierige Wolf das Gewässer aus - und zerplatzte.
Mitte des 16. Jahrhunderts legte der englische Theaterautor und Lyriker John Heywood Sammlungen mit bekannten Redewendungen vor. Darin liest man Vertrautes wie "Aus den Augen, aus dem Sinn" oder "Er traf den Nagel auf den Kopf". Auch "Der Mond ist aus grünem Käse!" findet sich da, jedoch als ironisch-spöttische Antwort auf eine unglaubliche Behauptung. Etwa im Sinn von "...und Schweine können fliegen!" Mit dem Wörtchen "grün" meinte Heywood nicht die Farbe, sondern die Frische des Käses. Man denke bloß an die Ausdrücke "Greenhorn" (engl., Neuling, Anfänger), oder "Grünschnabel".
Das "fünfte Element"
Für Aristoteles bestand der Mond nicht aus Käse, obwohl sich der griechische Gelehrte auch mit der Milchverarbeitung befasste. Vielmehr sollten alle himmlischen Körper aus einem "fünften Element" geformt sein, ideal und unvergänglich. Nur die Erde wäre aus den vier klassischen, unvollkommenen Elementen (Erde, Wasser, Luft und Feuer) aufgebaut, so der antike Philosoph.
Diesen vermeintlichen, grundlegenden Unterschied zwischen den Himmelskörpern und unserer Erde hob erst Galileo Galilei zweifelsfrei auf. Er studierte im Herbst 1609 den Mond im Fernrohr. Dieser zeigte nicht die allseits erwartete ideal-glatte Oberfläche - sondern das auch auf Erden vertraute Spiel von Bergen und Tälern. Von dieser "Erdähnlichkeit" inspiriert, stattete Johannes Kepler die Nachbarwelt im Roman "Mondtraum" gleich mit Sümpfen und Wasserflächen aus. Weil die weiten, dunkelgrauen Mondebenen im Fernrohr kaum Details zeigten, wurden sie zunächst für richtige Meere gehalten. Ab 1651 schenkte man ihnen fantasievolle Einzelnamen, wie "Meer der Fruchtbarkeit", "Wolkenmeer" oder "Ozean der Stürme". Die zerklüfteten Gebirgsregionen wurden hingegen "Hochländer" genannt.
Dank der Newtonschen Physik ließen sich Masse und Dichte des Mondes bestimmen. Während ein Kubikzentimeter "Erde" im Schnitt 5,5 Gramm auf die Waage bringt, wöge ein gleich großes Stückchen "Mond" hier bloß 3,3 Gramm. Wäre der Mond ein echter Zwilling der Erde, ließe sich der Dichteunterschied schlecht erklären. Es sei denn, der Mond wäre löchrig wie ein Emmentaler.
Charles Darwins zweiter Sohn hieß George und wurde Astronom. Er malte sich eine Erde aus, die anfangs viel zu schnell um ihre Achse wirbelte und dabei abflachte. In Randnähe bildete sich eine mutmaßliche Einschnürung, an der sich, so George Darwin, einst die Mondmasse abspaltete. Das ist so allerdings wenig plausibel. Auch das "Einfangen" einer zuvor anderswo geformten Mondwelt ist himmelsmechanisch kaum vorstellbar.
Die US-Amerikaner sind die größten Käseproduzenten der Welt. Als sie zwischen 1969 und 1972 auf dem Mond landeten, wussten sie nicht, wie ihr Reiseziel entstanden war. Die sechs geglückten Apollo-Missionen beförderten 382 Kilogramm Mondgestein in die Labors. Eher flüchtige Elemente wie Natrium, Kalium, Zink oder Blei (sie verdampfen schon bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen) fand man darin deutlich seltener als auf Erden; ebenso Eisen. Hingegen legten die Sauerstoff-Isotope eine sehr, sehr enge Verwandtschaft beider Himmelskörper nahe.
Der riesige Einschlag
Um die beiden gegensätzlichen Befunde unter einen Hut zu bringen, kreierten Mondforscher 1975 eine neue Theorie. Als die Erde vor 4,57 Milliarden Jahren geboren wurde, bildete sie in ihrem heißen Inneren einen eisenreichen Kern aus. Ein silikatreicher Mantel hüllte ihn ein. Soweit die Fakten. Nach der "Rieseneinschlagstheorie" soll die junge Erde im Alter von höchstens 200 Millionen Jahren von einem immerhin halb so großen Körper gerammt worden sein; streifend und in möglichst geringem Tempo.
Dieser hypothetische Irrläufer wird "Theia" genannt, nach der Mutter der griechischen Mondgöttin. Der katastrophale Einschlag sprengte Material der Theia und des recht eisenarmen Erdmantels ins All. Im Erdorbit ballten sich diese Trümmer, der flüchtigen Elemente während des Infernos beraubt, zum Mond zusammen.
So also die Theorie, an der die Gelehrtenwelt fast unisono Geschmack fand. Allerdings müsste der Erdtrabant dann zu etwa 40 Prozent aus Theia-Materie bestehen. Untersuchungen an den Apollo-Gesteinen ließen aber keine Spur von ihr erkennen. War Theias Zusammensetzung etwa identisch mit der irdischen? Dann müsste sie in direkter Nachbarschaft zur Erde entstanden sein, was wenig wahrscheinlich ist.

Mit Hilfe von Computersimulationen versuchen Forscher, dieses Problem zu lösen. Sie experimentieren mit unterschiedlichen Einschlagsgeschwindigkeiten und -winkeln, verändern das Größenverhältnis zwischen Erde und Theia oder schrauben am Tempo der Erdrotation herum. Eines der neuen Modelle lässt die junge Erde in bloß zwei oder drei Stunden um ihre Achse wirbeln. Sie wird von der Fliehkraft fast auseinander gerissen. Dann wirft man einen viel kleineren Protoplaneten auf sie: Das am Rand fortgeschleuderte Material soll ausreichen, um einen erdähnlichen Mond zu produzieren.
Neueste Analysen
Die US-Astrophysikerin Robin M. Canup geht einen anderen Weg. Bei ihr krachen, bevor unser Planet überhaupt existiert, zwei große Protoplaneten ineinander. Erst aus deren nun gut durchmischtem Material formen sich Erde und Mond - gleichzeitig und mit naturgemäß ähnlicher Chemie.
Modernste Analyseverfahren entlocken dem Apollo-Mondgestein noch immer Überraschungen: Aktuelle Untersuchungen weisen etwa auf einen anfangs eher wasserreichen Mondkörper hin. Das lässt sich nur mühsam mit einer Entstehung aus heißem irdischen Auswurfmaterial vereinbaren. Obwohl die meisten Astronomen heute der Einschlagstheorie anhängen, ist sie keineswegs völlig hieb- und stichfest. Wird man sie eines Tages mit den Worten "Alles Käse!" wieder aus den Lehrbüchern streichen müssen? Wahrscheinlich nicht.
Wie immer der Mond auch geboren wurde: Sein kugeliger Leib war anfangs geschmolzen und kühlte dann langsam aus. Eisenmagnesiumsilikate sanken ab. Ganz oben trieben Kristalle mit geringer Dichte. So wurde ein kleiner Eisenkern mit weniger als 400 km Durchmesser unter einem 1500 km dicken Gesteinsmantel begraben. Über allem bildete sich die höchstens 43 km dünne Mondkruste.
In den hellen Regionen des Mondes, den lunaren Hochländern, blieb diese uralte Mondkruste erhalten. Sie ist allerdings übersät von Einschlagskratern. Denn anfangs stürzte übriggebliebenes Baumaterial in rascher Folge auf den Mond herab. Vor 3,9 Milliarden Jahren nahm er besonders kräftige Treffer hin. Dieses Bombardement hinterließ ein Dutzend tiefer Einschlagsbecken mit Durchmessern von jeweils hunderten Kilometern.
Danach stieg basaltische Gesteinsschmelze aus dem sehr heißen Mondmantel auf. Wenigstens auf der erdzugewandten Seite drang sie durch Krustenrisse und ergoss sich auf die Böden der tiefen Einschlagsbecken - um dort zu erstarren. Das geschah speziell vor 3,9 bis 3,2 Milliarden Jahren, und zwar in mehreren Episoden. Seither bedecken dunkelgraue Lavaflächen etwa ein Drittel der Mondvorderseite. Sie bilden das altvertraute "Mondgesicht".
Weil die Häufigkeit der Asteroiden-Einschläge mittlerweile abgeklungen war, blieben die Mondmeere weitgehend von solchen Treffern verschont. Im Teleskop erscheinen sie daher glatt und arm an Relief, ganz anders als die älteren, rauen Hochländer. "Je jünger der Käse, desto milder sein Geschmack!", würde ein Gourmet hier vielleicht anmerken.
Grau-Schattierungen
NASA-Chef Charles Bolden überließ dem Naturhistorischen Museum in Wien jüngst Proben der Missionen Apollo 15 und 17. Sie sind im Meteoritensaal ausgestellt. Hauptattraktion ist der 84 Gramm schwere Basaltstein aus dem Mare Imbrium, dem "Regenmeer". Solche Basalte gewähren Forschern Einblick in die chemische Zusammensetzung des darunter verborgenen Mondmantels - denn von dort stammt ihr Material ja ursprünglich. Im dunklen Pyroxen und im Olivin findet sich Eisenoxid, im Mineral Ilmenit hingegen Titandioxid. Wie Variationen in der Rezeptur belegen, entsprang die Gesteinsschmelze dabei unterschiedlichen Tiefen. Je mehr Titan in die Mixtur kam, desto dunkler und bläulicher gerieten die Basalte.
Deshalb zeigen die Mondmeere im Fernglas verschiedene Schattierungen von Grau. Die subtilen Farbabweichungen bleiben dem menschlichen Auge verborgen, doch die Digitalfotografie macht sie sichtbar: Bei stark überhöhter Farbsättigung schimmert vor allem das "Meer der Ruhe" in eindrucksvollem Blau. Von dort kehrten 1969 die ersten Mondreisenden heim - und zwar, soweit bekannt, ohne Blauschimmelkäse im Gepäck.
Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra". Internet: www.himmelszelt.at