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Wow! Leben, wie wir es nicht kennen

Von Eva Stanzl

Wissen
Mehr als Science Fiction, weniger als Realität: Darstellung eines Azotosomes auf Titan.
© James Stevenson

Forscher postulieren fremdartiges Leben auf dem Saturnmond Titan, jedoch fehlen Beweise.


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Wien. Jerry Ehman staunte nicht schlecht. "Big Ear" lieferte ein Signal aus dem Sternbild des Schützen, das auf keine bekannte, natürliche Ursache zurückzuführen war. "Wow!", schrieb der Astrophysiker auf das namensgebende Dokument: Es sah so aus, als seien die Daten des Radioteleskops der Ohio State University der erste Hinweis auf außerirdische Intelligenz. Allerdings blieb das erste Signal auch das letzte. Allen technologischen Fortschritten zum Trotz erlauschten die immer größeren Ohren des Seti-Instituts (Search for Extraterrestrial Intelligence) kein weiteres "Wow!". Welchen Ursprung die Geräusche vom 15. August 1977 hatten, bleibt ein Rätsel.

War das Signal den Außerirdischen entkommen? Haben sie an uns engstirnigen Umweltverschmutzern kein Interesse und verhalten sich deswegen seit 1977 ruhig? Stehen sie auf einer anderen Entwicklungsstufe? Oder entziehen sie sich gar unseren Vorstellungen von Leben - sodass wir sie möglicherweise gar nicht wahrnehmen könnten, selbst wenn sie vor uns stünden - sind sie vielleicht schon hier?

Eng verknüpft mit Vorstellungen von außerirdischer Intelligenz sind Verschwörungstheorien und Science Fiction. Das Problem ist nur: Die Suche nach Leben im All ist ein risikoreiches Projekt, das mutige Forschungsansätze erfordert. Und diese erinnern mitunter durchaus an Science Fiction. Der jüngste Ansatz in der Suche nach Gesellschaft im Universum ist die Erforschung von Lebensformen, die wir nicht kennen, die die unwirtlichen außerirdischen Bedingungen überstehen könnten.

Privilegierte Menschheit

Irdisches Leben auf Kohlenstoff-Basis benötigt Sauerstoff und flüssiges Wasser, um sich bilden zu können. Dazu muss sich ein felsiger Planet in der bewohnbaren Zone seines Sterns befinden - also in einer Entfernung, die Temperaturen zwischen über null und unter 100 Grad möglich macht. Eine Garantie für Leben ist diese Mischung aber noch nicht. Denn die Erde hat Glück mit ihren Nachbarn: Jupiter fängt Asteroiden ab, der Mond stabilisiert die Erdrotation und die Klimazonen.

Der Mars torkelt hingegen vor sich hin. Dennoch war der Rote Planet eine der ersten Adressen in der Frage, ob wir alleine sind. Allerdings nicht die beste, wie "Curiosity", der Mars-Rover der Nasa, nun beweist. Zwar scheint es klar, dass einst 20 Prozent seiner Oberfläche von Seen und Meeren bedeckt waren. Jedoch war das vor 4,5 Milliarden Jahren, als es auf der jungen Erde noch kein Leben gab. Ein Kontakt mit Marsmännchen bleibt somit Fiktion.

1990 wurde der erste Planet, der um einen anderen Stern kreist, entdeckt. Heute kennen wir 4826 Exoplaneten, einer wie die Erde ist allerdings nicht dabei. Astronomen beobachten Planetentransits am Himmelszelt - kleine Sternenfinsternisse, die von der Erde aus sichtbar werden, wenn ein Planet vor seiner Sonne vorbeizieht. "Dieses Signal ist am deutlichsten, wenn der Planet groß ist und in der Nähe des Sterns rotiert. Deswegen wurden bisher eher die Freaks gesichtet - heiße Gasriesen wie Jupiter oder Supererden", erklärt Wolfgang Baumjohann, Direktor des Instituts für Weltraumforschung in Graz. Erst die nächste Generation an Teleskopen werde kleine Felsplaneten finden können.

Ab 2016 soll das "James Webb"-Teleskop der Nasa zudem die Atmosphären von Exoplaneten über die Infrarot-Strahlung analysieren, die ihr Stern durch ihre Atmosphären schickt. "Untersucht wird, welche Strahlung die Planeten-Atmosphäre durchlässt und welche sie ausstrahlt. Spuren von Wasser und Sauerstoff wären Hinweise, dass es dort pflanzliches oder tierisches Leben gibt", so Baumjohann. Den Nachweis könnten aber erst Spuren von Stoffwechsel-Prozessen liefern - etwa durch das gleichzeitige Vorhandensein von Sauerstoff und Kohlendioxid.

Trotz dieser wissenschaftlich einwandfreien Kategorien für Leben gibt es auch andere Forschungszugänge. Sie postulieren, dass außerirdisches Leben gar nicht so sein muss wie das Bekannte. Hintergrund ist ein Essay von Isaac Asimov aus dem Jahr 1961 namens "Leben, wie wir es nicht kennen". Darin denkt der Science-Fiction-Autor über Wesen nach, die kein Wasser benötigen, um sich zu reproduzieren.

Eine Million Erden

Da noch nicht zur Gänze geklärt ist, wie das Leben auf der Erde entstanden ist, finden einige renommierte Forscher, dass an Asimovs Ideen etwas dran sein könnte. "Was passiert, wenn wir eine Million Erden nehmen und für eine Milliarde Jahre vor sich hinköcheln lassen? Wie viele davon entwickeln Leben? Und wie oft entsteht intelligentes Leben?", stellte jüngst Seth Shostak, der Direktor des Seti-Insituts, in der "Wiener Zeitung" in den Raum.

In einer Simulation hat ein Team aus Physikern und Chemikern der Cornell University Theorien angestellt über mögliches Leben auf dem Titan. Der größte Mond des Ringplaneten Saturn ist kein Ort, auf dem man Urlaub machen möchte. Titan hat zwar eine Atmosphäre, Meere und Seen. Doch sie enthalten kein Wasser, sondern flüssige Kohlenwasserstoffe, vor allem Methan. Außerdem ist es mit einer Oberflächentemperatur von minus 179 Grad Celsius unwirtlich kalt.

Dennoch gilt der eisige Saturn-Mond als erdähnlichster Himmelskörper im Sonnensystem. Nicht nur Science-Fiction-Autoren fragen sich, wie Leben dort aussehen könnte. Als sicher gilt, dass es nicht dasselbe kohlenstoffbasierte Leben sein kann wie auf der Erde. Laut den US-Wissenschaftern könnte Leben auf Titan auf sauerstofffreien Zellen beruhen. Sie berechneten "Azotosome", die aus Stickstoff bestehen. Diese Azotosome funktionieren in flüssigem Methan bis zu minus 180 Grad Celsius. Den Ergebnissen zufolge "zeigen sie die gleiche Stabilität und Flexibilität wie ihre irdischen Gegenstücke, die Liposome". Stoffwechsel und Fortpflanzung könnten dem irdischen Leben gleichen.

Die Forscher simulierten in ihren Berechnungen einen wichtigen Baustein des Lebens, nämlich die Zellmembran - also die Zellhülle, die den Kern abgrenzt, bestimmte lebenswichtige Stoffe aber durchlässt. Auf der Erde umschließen Phospholipid-Doppelschicht-Membranen die organische Substanz der Zellen und die Einheiten heißen Liposome.

Würde es in solchen methanbasierten und sauerstofffreien Zellen zu ähnlichen Stoffwechsel- und Reproduktionsvorgängen kommen wie bei irdischem Leben? "Ein theoretisches Modell ist besser als eine Vermutung", kommentiert Baumjohann die US-Arbeit: "Sie haben eine solche Membran aber noch nicht gebaut, geschweige denn eine darauf basierende Zelle, die sich vervielfältigen kann. Es ist also mehr als Asimov, aber weniger als Realität." Gerhard Wegner, Gründer des Max-Planck-Insituts für Polymerforschung in Mainz, hält die Simulation für "wilde Spekulation. Es gibt keine experimentellen Daten, zudem liegen Gefrier- und Siedepunkt von Methan eng beieinander, es ist nur kurz flüssig. Das Leben nützt aber genau diesen Spielraum aus, und der wäre hier sehr klein", so der Chemiker.

Leben ohne Licht

Wegner vermutet, dass "Leben unter anderen Umständen andernorts im Universum ganz anders konfiguriert sein könnte, denn weder Elemente noch Energie sind überall gleich verteilt", sagt er. "Aus denselben Elementen kann unter anderen Bedingungen etwas anderes entstehen." Dennoch verweist er Gedankenspiele zu dessen Beschaffenheit in das Reich der Fiktion: "Solange wir keine Experimente darüber machen können, hat es keinen Wahrheitsgehalt", sagt er.

Interessant erscheinen Experimente, die die Natur unternommen gemacht hat. Auch auf der Erde gibt es Organismen, die unter lebensfeindlichen Bedingungen gedeihen. Einzellige Archaeen leben in Vulkanen am Meeresboden ohne Sauerstoff und ohne Licht. Bestimmte Bakterienarten überleben unterirdisch in Gewässern, die so giftig sind, dass ein Taucher in Minuten bewusstlos würde. Und am Mittwoch berichteten US-Forscher in "Nature", unter dem Eispanzer des Saturnmondes Enceladus Hinweise auf heiße Quellen in einem unterirdischen Ozean gefunden zu haben. Sie könnten jenen Quellen auf dem Atlantikboden ähneln, in deren Nähe Ökosysteme in einer alkalischen Lauge gefunden wurden, die ohne Licht gedeihen. Manche Forscher vermuten in solchen alkalischen Tiefsee-Thermalquellen die Geburtsstätten der ersten lebenden Organismen auf der Erde. Enceladus könnte also für Astronomen zunehmend attraktiver werden.

Während solche Lebensformen für Wegner Beispiele für "Anpassung aus demselben Grundmaterial" sind, spornen sie Baumjohanns Forschergeist an: "Wer sagt, dass man von den Einzellern über die Pflanzen zum Menschen kommen muss? Das Leben könnte auch einen anderen Weg nehmen. Ich bin sicher, dass das Universum schon alle möglichen Wege ausprobiert hat."