Am erstaunlichsten an der Debatte um die Gesundheitsreform ist, dass sie nun wirklich ganz oben von Selbstkritikfähigkeit getragen scheint - dass ich das erleben darf.
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Kaum jemand wird ihn kennen: Rudy, den gigantischen Suchomimus, aus dem Zeichentrickfilm "Ice Age 3". Er ist der Leibfeind von Bug, dem Wiesel (fragen Sie nicht, warum Säuger und Dinosaurier zeitgleich vorkommen können), der trotz seiner relativen Winzigkeit das Ziel verfolgt, Rudy zur Strecke zu bringen. Gegen Ende wird Rudy von jemand anderem in eine Schlucht gestürzt, und Bug starrt ihm entgeistert nach. Was soll er denn jetzt tun? So ähnlich geht es mir nach der vergangenen Woche.
Als ich vor zehn Jahren begann, das Gesundheitssystem nach wissenschaftlichen Kriterien zu durchleuchten und die Schwächen (unzureichende Versorgung im niedergelassenen Bereich; zu viele Spitäler, die aus politischem Kalkül bestehen; fehlende Abstimmung zwischen Pflege, Reha und Akutversorgung; unpraktikabler Kompetenzdschungel) analysierte, gab es außer wenigen Experten niemand "Wichtigen", der das sehen wollte.
Vor acht Jahren, als ich mich "innerhalb" bewegte, wurden die Verweigerer anscheinend mehr, aber es fanden sich zunehmend Spitalsärzte - meist in niedrigen Positionen -, Wahl- und auch einige Kassenärzte, die meine Kritik teilten.
Vor sechs Jahren, mit den Arbeiten zur Gesundheitsreform 2005, wurden die Zweifler immer ranghöher. Aber auch die Gesundbeter wurden immer kecker. Beinahe amüsiert erinnere ich mich an die Aussage anlässlich einer Publikation aus Großbritannien, wonach es dort Tote wegen Spitalsinfektionen geben soll: Bei uns gebe es so etwas nicht!
Vor drei Jahren, ich hatte gerade meinen Job in Niederösterreich verloren, und zwar unabhängig von der Veröffentlichung meines systemkritischen Buches, waren die Skeptiker bereits in die Primararztebene und die der "niedrigen" Chargen der Ärztekammer vorgedrungen. Die höhere Politik allerdings hatte alle möglichen Superlative erfunden. Da denke ich nicht nur an die frühere Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky, die wenige Monate nach Antritt aus dem "guten" das "weltbeste" Gesundheitssystem gemacht (herbeigeredet) hatte - etwas, was sie heute bereut, das aber wohl das Nachhaltigste ihrer Amtszeit ist.
Mit Hans Jörg Schelling ist vor zwei Jahren der erste Kritiker in höchste Ämter aufgestiegen. Hat es kurz danach ausgesehen, als ob er seine Kritikfähigkeit verlöre, meldete er sich mit "dem Selbstmord mit Anlauf" (gemeint war das Gesundheitssystem, das ohne Reformen sehenden Auges an die Wand fährt) Anfang 2010 drastisch zurück.
Anfang November (genau genommen bereits im August) kam Gesundheitsminister Alois Stöger mit dem Vorschlag, die Länder zu entmachten, weil es einfach einen zu krassen Reformstau gibt. Nach anfänglicher Kopflosigkeit kristallisierte sich eine parteipolitische Linie heraus. Die Schwarzen sind dagegen, die Roten dafür.
Als nun vergangene Woche der "Masterplan Gesundheit" des Hauptverbandes, ein Stück Strategiearbeit, dem Anerkennung gebührt, das Licht der Welt erblickte, bröckelte sogar die schwarze Front und ein niederösterreichischer Landesrat sprach mit - für seine Verhältnisse - kreideweicher Stimme.
Die Selbstkritik ist ganz oben angekommen, auch wenn sie sich jetzt noch hinter einem unwürdigen Tauschgeschäft (Lehrer gegen Spitäler) versteckt.
Was soll ich tun, wenn eine ernsthafte und richtige Reformbewegung entsteht? Andererseits: In "Ice Age 3" meldet sich Rudy unerwartet wieder, und Bug nimmt den Kampf erneut auf.
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.