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Wozu die Wirtschaft Ethik braucht

Von Monika Jonasch

Wirtschaft
Martin Kornberger lehrt künftige Manager, sich Fragen des moralischen Handelns zu stellen.
© Oskar Kornberger

Die Wirtschaftsuniversität Wien hat nun einen eigenen Professor und ein Institut für Ethik im Management. Im Interview erklärt Martin Kornberger, warum Ethik in Zeiten wie diesen, oder eigentlich immer, wichtig ist.


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Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen, möchte man meinen, wenn man erfährt, dass die Wirtschaftsuniversität Wien Anfang 2022 ein Institut für Ethik eröffnet hat. Wir haben mit Martin Kornberger, dem neu ernannten Professor für "Ethik im Management", gesprochen, warum die Wirtschaft Ethik braucht.

"Wiener Zeitung": Was ist Wirtschaftsethik, womit beschäftigt sie sich?

Martin Kornberger: Wie ein Soziologe salopp formulierte: Der Job der Ethik ist, der Moral auf die Finger zu schauen. Wichtig ist, Ethik nicht als Urteil zu verstehen oder als Zustandsbeschreibung, die quasi von oben herab Gut von Schlecht trennt. Vielmehr ist Ethik selbst ein Prozess, der moralisches Lernen anstoßen, vielleicht sogar leiten kann. Wie andere Verhaltens- und Denkweisen ist auch Moral gelernt. Wir kommen nicht als moralisch gut oder schlecht in die Welt, aber wir können mittels ethischer Reflexion versuchen, jeden Tag eine bessere Version unserer Selbst zu werden. Das gilt für Personen und für Organisationen. Die Ethik dokumentiert diese Reise und dient gelegentlich auch als Kompass.

Ist Ethik in der Wirtschaft eine "Modeerscheinung" in Zeiten moralisch bedenklicher Entwicklungen?

Ethik ist so alt wie die Philosophie selbst. Die Frage nach dem Guten beschäftigte schon die griechischen Philosophen, und vor ihnen andere Kulturen. Ethikfragen wurde dabei - anders als mathematische Fragestellungen - nie gelöst oder ein für allemal beantwortet. Im Gegenteil muss jedes Zeitalter sich erneut die Fragen nach moralischem Handeln stellen und Antworten darauf finden.

Diese Aufgabe der Ethik ist gerade heute wichtiger denn je, denn gutes Entscheiden im Managementkontext kann sich nicht nur an betriebswirtschaftlicher Optimierung ausrichten. Das wäre der Shareholder-Value-Ansatz, der nur auf Gewinnmaximierung zielt, dabei aber Mensch und Natur vergisst. Sogar der US Business Round Table 2019 hat verkündet, dass der Zweck der Unternehmung nicht im Shareholder Value allein liege, sondern dass die Wirtschaft breiter denken und Stakeholder Value kreieren solle. Wenn aber in der Wirtschaft andere, nicht-ökonomische Werte eine Rolle spielen, wirft das viele Fragen auf: Welche Werte soll man berücksichtigen? Welche nicht? Wie speist man sie in organisationale Entscheidungsprozesse ein? Was, wenn sie mit anderen Werten im Konflikt stehen?

Denken Sie nur an die Impfkampagne, die von vielen großen Organisationen unterstützt und aktiv beworben wird. Ist dies gerechtfertigt, weil Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung haben? Wenn ja, wo hört diese auf? Oder ist dies cleveres Marketing - eine Art "Moral White Washing"? Kann man Gutes tun, wenn man primär den eigenen Gewinn maximieren möchte? Oder sollen sich Unternehmen aus solchen Fragestellungen heraushalten, weil es hier um individuelle und gesellschaftliche Entscheidungen (also um Politik) geht, und das sollte man von der Wirtschaft getrennt halten? Wo käme man denn hin, wenn sich Unternehmen in alle möglichen anderen gesellschaftlichen Bereiche einmischen? Sie sehen, dies sind sehr wichtige Fragen, aber unsere Fähigkeit, systematisch darüber nachzudenken, sind beschränkt.

Man könnte auch umgekehrt fragen: Ist Ethik im Kapitalismus überhaupt zu rechtfertigen? Da geht es doch um Gewinnmaximierung . . .

Peter Drucker, ein US-Managementtheoretiker mit österreichischen Wurzeln, sagte einmal, Gewinn sei eine Konsequenz von richtigen Entscheidungen, aber nicht die Entscheidung selbst. Ich glaube, er hatte recht. Um erfolgreich zu sein, brauche ich gute Mitarbeiter, eine offene Kultur, eine klare Identität, starke Markenwerte, einen Zweck, der mobilisiert - allesamt Erfolgsfaktoren, die auf menschlicher Kreativität, Vorstellungskraft, Vertrauen usw. beruhen. Kurzum: Werte sind zentral für erfolgreiches Wirtschaften. Daher sehe ich keinen fundamentalen Widerspruch zwischen Ethik und Wirtschaft. Man muss allerdings vorsichtig sein und nicht beides gleichsetzen, eine Tendenz, die es bei manchen Utilitaristen gibt.

Verbessern sich kapitalistische Management-Entscheidungen durch ethische Einbettung womöglich? Zahlt es sich also dann irgendwie doch aus?

Ich hoffe, dass Management-Entscheidungen durch ethische Reflexion besser werden. Die Frage ist: Was verstehe ich unter "besser"? Profitabler? Es wäre vermessen, Ethik so einfach messen zu wollen. Besser kann auch heißen, dass Entscheidungen nicht nur legal, sondern auch legitimiert sind. Das heißt, sie werden von Stakeholdern mitgetragen, weil sie den Werten, auf denen die Entscheidungen basieren, zustimmen. Gerade in der Pandemie sieht man, dass der Kampf um Legitimation von Interventionen zentral ist. Zahlt es sich also aus, die Frage nach dem Warum? zu begründen? Ich denke ja.

Hat die Einordnung von ökonomisch-faktischen Entscheidungen in einen ethischen Kontext bei einem Wirtschaftsstudium bislang eine Rolle gespielt - wenn nicht, warum nicht?

Werte waren und sind in der Ökonomie zentral - ich darf nur daran erinnern, dass Adam Smith ein Moralphilosoph war. Im Management ist es ähnlich: Man denke nur an Strategie, in der es um Value Creation geht, um Marketing, das sich um Markenwerte bemüht, um Organisationstheorie, in der Begriffe wie Kultur und Identität zentral sind oder um HRM, das sich mit Gender und Diversity auseinandersetzt. Oft allerdings finden sich hier moralische Fragestellungen zwischen den Zeilen, und selten werden sie explizit gestellt. Ethik macht diese impliziten Fragestellungen explizit und stellt Denkwerkzeuge zur Verfügung, um sie zu beantworten.

Brauchen manche Branchen "Ethik-Nachhilfe" eher als andere?

Manche Bereiche sind vielleicht skandalanfälliger als andere; aber Ethik ist nicht Unternehmensrecht, sondern Reflexion auf gutes Handeln. Ich denke, hier würden alle Sektoren, inklusive politische Organisationen, von moralischem Lernen profitieren.

Wie sieht es diesbezüglich mit teilverstaatlichten Unternehmen aus, die ja mit "Volksvermögen" wirtschaften - aber eben im Sinne eines Gemeinwohls?

Das ist eine gute Frage. Wie definiert man Gemeinwohl? Dividenden, die an die Republik ausgeschüttet werden (ÖBIB)? Investitionen in Infrastrukturen, die für viele kommende Generationen nützlich sind (ÖBB)? Oder Services zur Verfügung stellen, die denen zu Gute kommen, die sie brauchen (wie etwa sozialer Wohnbau)? Sie sehen, das Gemeinwohl selbst ist ein moralisch aufgeladener Begriff, den man verschieden verstehen kann.

Gibt es Unterschiede zwischen Großunternehmen und Familienbetrieben, entscheidet man etwa in Familienbetrieben eher moralisch-ethisch orientiert?

Die OMV hat auf den ersten Blick wenig gemein mit dem Weingut, das Vater und Tochter betreiben. Ein Unterschied ist das Ausmaß an Bürokratisierung. Ist das aber a priori ein Kennzeichen von moralischem Handeln? Ich würde sagen: Nicht unbedingt. Bürokratie kann Willkür und Ungleichbehandlung erschweren, während der Patriarch im Familienbetrieb nach Gutdünken schalten und walten kann. Umgekehrt kann eine einsichtige und umsichtige Chefin Missstände schneller aus dem Weg räumen, während sich in Bürokratien Codes of Conducts, Gremien, Compliance-Vorschriften, Good Governance Manuale türmen. Man vergesse nicht, dass der US-Energiekonzern Enron einen 64-seitigen "Code of Ethics" hatte!

Zurück zur Frage: Wo immer Menschen - und zunehmend auch Maschinen - entscheiden, geht es um die Kriterien für und die Konsequenzen von gutem Entscheiden. Hier sind die Gemeinsamkeiten zwischen Großunternehmen und Familienbetrieben vielleicht wichtiger als die Unterschiede.

Zur Person~ Martin Kornberger (47) ist Professor für Ethik an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Seine akademische Karriere führte ihn an Universitäten in Australien, Dänemark, Frankreich und Schottland. In zahlreichen Artikeln und Büchern erforscht er Strategien für kollektives Handeln, neue Organisationsarchitekturen und deren moralische Implikationen. Im Murmann Verlag erscheint im März sein neuestes Buch "Systemaufbruch. Strategie in Zeiten radikaler Unsicherheit - die Wiederentdeckung von Clausewitz".