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Wozu emigrieren?

Von Martyna Czarnowska

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Gleich mehrere Gasthäuser hat die Raststätte bei Rimnicu Valcea, rund 150 Kilometer nordwestlich von Bukarest, zu bieten. Langgestreckte Hallen mit großen Fenstern reihen sich aneinander, darin Holztische und -bänke. Gegrillt wird in kleinen Buden vor der Tür.


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Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo andere Verkäufer ihre Stände aufgebaut haben, vermischt sich das Aroma des Obstes mit dem Geruch der Bratwürste. Drei zerzauste Hunde liegen zusammengerollt auf dem Schotterparkplatz. Von den einrollenden Autos lassen sie sich kaum stören. Nur manchmal treibt sie die Hoffnung hoch, von den Reisenden etwas Essbares zu ergattern. Rundherum erhebt sich die saftig-grüne Hügellandschaft Transsilvaniens.

In einer der Kneipen serviert die 24-jährige Ioana in kleinen Tassen Kaffee. Klar hätte sie gerne einen anderen Job. Aber den zu bekommen sei in der Gegend nicht so einfach. Mit ihrem Mann lebt Ioana in einem nahegelegenen Dorf. "Die Luft hier ist besser als in der Stadt, das gefällt mir", sagt sie.

Ihr gutes Englisch hat die junge Frau in der Schule gelernt und später in Kursen. Sie hat beschlossen, wieder zu studieren: Finanzwirtschaft, in Curtea Agres. Rumänien verlassen? Daran hat sie nicht ernsthaft gedacht. "Wir sind erst kurz in der Europäischen Union, wir merken noch nicht viel davon", erzählt Elena. "Die Gehälter sind sehr niedrig. Aber ich hoffe, dass es langsam besser wird."

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Hoffen, dass es bald besser wird: Das ist in Rumänien öfter zu hören als Klagen darüber, dass die neu gewonnene Freiheit nach 1989 die paar früheren Sicherheiten - wie einen fixen Arbeitsplatz - kosten konnte. Und vor allem junge Menschen sehen Perspektiven für sich in ihrem eigenen Land. "Wer einen Job finden will, der tut es." Die 25-jährige Journalistin Craita sagt das voller Überzeugung. Seit fünf Jahren arbeitet sie bei einem Fernsehsender, am Anfang haben ihr die Eltern geholfen, bei denen sie gewohnt hat. Doch mittlerweile kann sie es sich leisten, selber für die Miete in einer eigenen Wohnung aufzukommen.

Als Saisonarbeiterin in Italien oder Spanien Obst zu pflücken - wie es Hunderttausende ihrer Landsleute tun -, kommt für Craita nicht in Frage. Im Ausland arbeiten: Ja, aber um Erfahrung im Beruf zu sammeln. Auf Dauer leben möchte Craita in Rumänien.

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Unterdessen klagt die rumänische Wirtschaft - und besonders die Baubranche - bereits über Arbeitskräftemangel. Insgesamt gibt es mehr als 200.000 unbesetzte Stellen; die Regierung überlegt, wie sie Arbeiter aus Asien, der Türkei oder Ukraine ins Land holen kann. Eine italienische Textilfirma, die in Rumänien produziert, hat das Problem für sich schon gelöst: Sie beschäftigt 800 Chinesinnen.

Denn von den Rumänen arbeiten geschätzte drei Millionen im Ausland. Manche von ihnen jeweils für ein paar Monate im Jahr, andere gehen für Jahre weg, um als begehrte Spezialisten in Westeuropa oder Kanada zu arbeiten. Beim IT-Konzern Microsoft soll Rumänisch bereits die drittwichtigste Sprache sein.

Das behauptet zumindest der Staatspräsident Rumäniens, Traian Basescu. Er sieht auch Vorteile in der Migration: Die Auswanderer können sich spezialisieren und ihre Arbeitsmentalität ändern. Und sie lägen dem Staat nicht auf der Tasche, weil sie im eigenen Land keinen Job finden.

"Wir können die Leute nicht aufhalten", erklärt Basescu. Es seien ja auch gerade die osteuropäischen Staaten gewesen, die gegen die Abschottung der westeuropäischen Arbeitsmärkte vor den neuen EU-Bürgern gewettert haben. Nun selbst Beschränkungen für die eigene Bevölkerung aufzustellen - das gehe nicht.

Zumal die Emigration auch profitabel ist. Die Geldsumme, die jährlich aus den Verdiensten im Ausland nach Rumänien fließt, soll mittlerweile die Summe der ausländischen Investitionen übersteigen. Diese werden bis 2011 immerhin auf jährlich rund fünf Milliarden Euro geschätzt.