Bütikofer: "Wenn Sie an Schwarz-Grün glauben, leben Sie in einer Parallelwelt."
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Berlin. Die komplette Spitze der deutschen Partei Bündnis 90/Die Grünen wird zurücktreten, noch im Herbst soll ein neuer Bundesvorstand gewählt werden, wurde gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin verkündet. Die Enttäuschung über das schlechte Ergebnis von nur 8,4 Prozent stand den Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir auch am Tag nach dem Desaster sichtlich ins Gesicht geschrieben.
In der Presseerklärung der Grünen ist von einer "bitteren Niederlage" die Rede. Das sagt viel über den desolaten seelischen Zustand der Partei aus. Vor gut zwei Jahren, im Mai 2011, lagen die Grünen in Umfragen bundesweit bei fast 23 Prozent. Damals, als Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg erster grüner Ministerpräsident wurde, sah die Zukunft der Ökopartei noch hellgrün aus.
Die Zahl der potenziellen Grünenwähler liegt in Deutschland bei 10 bis 15 Prozent, so die Parteienforscher. Doch nicht einmal die konnte die Partei halten. Mehr al 20 Prozent der Wähler von 2009 verlor sie. Was gab den Ausschlag? Die Kommentare der Besucher auf der Internetseite der Grünen lassen es erahnen: Viele schreiben, dass sie diesmal lieber SPD oder CDU gewählt haben. Wenige, der hämischen Wortwahl nach nicht gerade Stammwähler, drücken ihre Verachtung über die Rolle der Grünen in die Pädophilie-Debatte aus. Doch die meisten Besucher kondolieren und klagen gleichzeitig, dass die Partei sich nicht genügend um das grüne Kernthema, die Ökologie gekümmert habe.
Fehler: Wenig Kernthemen, unnötige Steuerdebatte
Die statistische Wählerwanderung zeigt Ähnliches: 550.000 ehemalige Grünenwähler haben sich diesmal für die SPD entschieden, 420.000 haben ihr Kreuz bei der CDU gemacht. Und: 170.000 ehemalige Wähler der FDP entschieden sich für die Grünen.
Fehler im Wahlkampf gab es viele: Die mangelnde Konzentration auf grüne Stammthemen, die unnötige Steuerdebatte, die wohl einen Finanzminister Jürgen Trittin ermöglichen sollte oder Ökomutter-Ideen wie der Veggie-Day kosteten Stammwähler. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister und Schwarz-Grün-Befürworter Boris Palmer klagt nun prompt im "Spiegel" über das "Programm für linke Sozialdemokraten" und die voreilige Festlegung auf Rot-Grün.
Doch die Diskussion innerhalb der Partei beginnt erst. Die im Moment geschwächten Grünen wären schlecht beraten, sich auf eine vereinnahmende Umarmung durch Angela Merkel einzulassen. Oder, wie es der grüne Europaparlamentarier Reinhard Bütikofer noch am Wahlabend sagte: "Wenn Sie nach diesem Wahlergebnis heute noch nach Schwarz-Grün fragen, dann leben Sie in einer Parallelwelt."