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Wunderkiste aus Stahl

Von Christian Hütterer

Reflexionen

Vor 60 Jahren transportierte erstmals ein amerikanisches Schiff seine Fracht in Containern. Damit war eine neue Grundlage für den weltumspannenden Handel geschaffen.


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Es war ein Ereignis, das nur wenige wahrnahmen, das aber Auswirkungen bis in unsere Zeit hat. Im Frühling des Jahres 1956 legte das Schiff Ideal X aus dem Hafen von Newark in den Vereinigten Staaten ab und nahm Kurs nach Süden, der Weg führte sie nach Houston in Texas. Was sich wenig aufregend anhört, war der Startschuss zu einer neuen Epoche im internationalen Handel. Die Ideal X hatte nämlich zum ersten Mal in der Geschichte der Seefahrt Container an Bord. Sechzig Jahre später sind die stählernen Kisten allgegenwärtig, ohne sie wäre die Globalisierung in der gewohnten Form heute nicht denkbar.

Erfindungslegende

Die Idee, Güter in mehrfach verwendbaren und standardisierten Kisten zu transportieren, stammt der Legende nach von einem Mann namens Malcolm McLean. Er sollte im Jahr 1937 eine Ladung Baumwolle im Hafen von Hoboken abliefern. Dort angekommen, sah er, wie die Hafenarbeiter auf seinen Lastwagen stiegen, je einen Ballen Baumwolle nahmen und diesen auf das wartende Schiff trugen. McLean soll sich in diesem Moment gefragt haben, ob man das Beladen nicht effizienter gestalten könne - und hatte ein zündende Idee: genormte und wieder verwendbare Kisten sollten den Transport vereinfachen und schneller machen. Heute gilt McLean als der Erfinder des Containers, doch wie viele andere Erzählungen von Genieblitzen gehört auch diese in das Reich der Legenden.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatten Eisenbahngesellschaften in Europa und den Vereinigten Staaten nach Wegen gesucht, wie Güter in einheitlichen Kisten transportiert werden könnten. Diese Ideen wurden auch später weiterverfolgt - und so gab es etwa zu der Zeit, als der vermeintliche Erfinder McLean seine Idee hatte, bei der Internationalen Handelskammer in Paris bereits ein Büro für Container. Damals war auch das, was wir heute "kombinierten Verkehr" nennen, in den Vereinigten Staaten bereits eine übliche Transportmethode. Eisenbahnwaggons oder Lastwägen wurden auf Schiffen geparkt, über das Meer transportiert und fuhren am Bestimmungshafen wieder an Land.

McLean ging nur einen entscheidenden Schritt weiter, denn er ließ bei seinen Transporten schlichtweg das Fahrgestell an Land. Er wusste aber auch, dass es nicht ausreichen würde, Güter in eine überdimensionierte Schachtel zu stecken. Vielmehr müssten alle Teile des Transportwesens - also Fahrzeuge, Häfen und Kräne - den Containern angepasst werden. Nur so konnte man sicherstellen, dass das ganze Potential dieser neuen Form des Transports ausgenutzt würde.

Zehn Jahre nach der Fahrt der Ideal X, genauer gesagt am 2. Mai 1966, kamen in Rotterdam zum ersten Mal Container in Europa an. Bis zu diesem Moment waren die stählernen Kisten in der Fachwelt wenig beachtet worden, denn wegen der hohen Investitionen in Kräne und Umlademöglichkeiten schien diese Variante des Gütertransports wenig rentabel. Innerhalb kurzer Zeit schlug diese Haltung aber vollständig um, der Containerverkehr wuchs mit einer enormen Geschwindigkeit.

Warum aber führten erst die amerikanischen Container zu diesem Anstieg, wo doch auch europäische Unternehmen schon lange mit genormten Transporteinheiten experimentiert hatten? Die Antwort ist einfach: Im Vergleich zu ihren europäischen Gegenstücken waren die amerikanischen einfach größer. Dadurch konnten mehr Güter in einem einzelnen Container verschickt werden und das wiederum half, die Transportkosten zu senken.

Standardisierung

Schon bald nach der ersten Fahrt von McLeans Ideal X hatte sich die International Standard Organisation mit der Frage befasst, ob man die Transportkisten nicht normieren sollte. 1964 wurden die Standards festgelegt und in der amerikanischen Maßeinheit foot festgeschrieben (1 foot entspricht 30,48 cm). Gemäß der internationalen Normung sind Container daher bis heute 8 Fuß breit, 8 Fuß und 6 Zoll hoch und entweder 20 oder 40 Fuß lang.

In diesen Standardmaßen liegt das Erfolgsgeheimnis des Containers, denn durch sie wurde er weltweit und auf unterschiedlichen Transportmitteln einsetzbar. Noch ein zweiter Aspekt trug zum raschen Wachstum des Containertransports bei: Durch ihn konnten die Liegezeiten in den Häfen stark verkürzt werden. Schiffe und Besatzung mussten nun nicht mehr lange untätig im Hafen auf das Ent- und Beladen warten. Die Container konnten mit Kränen rasch und ohne großen personellen Aufwand umgeschlagen werden, was aber die Gewerkschaften wenig erfreute. Sie fürchteten, dass die Arbeiter durch Kräne ersetzt würden.

Diese Befürchtung wurde nicht bestätigt, denn die Zahl der Beschäftigten in den Häfen blieb etwa gleich. Es gab allerdings eine Verschiebung, denn während die klassischen Hafenarbeiter verschwanden, entstanden durch die Steigerung des Verkehrs neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen.

Aber nicht nur die Aufgaben der Arbeiter änderten sich, die Einführung des Containers veränderte auch die Häfen selbst. Nehmen wir Großbritannien: Die Häfen von Liverpool und London konnten auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken und waren zugleich auch die größten des Landes. Sie reagierten aber zu langsam auf die Einführung des Containers und binnen kurzer Zeit wurde das bis dahin beschauliche Felixstowe an der englischen Ostküste zum größten Hafen Großbritanniens.

Neue Umschlagplätze

Auch die Struktur des Seeverkehrs wurde durch den Container neu gestaltet: Waren die Handelsschiffe früher von Punkt zu Punkt unterwegs, so befahren nun die großen Transporter die Linien zwischen den wichtigsten Häfen, dort werden die Container auf kleinere Boote umgeladen und regional verteilt.

Heute liegen die wichtigsten Umschlagplätze für Container im Fernen Osten. Auf der Liste der weltweit größten Häfen liegen Shanghai und Singapur mit großem Abstand an der Spitze, der bedeutendste europäische Hafen befindet sich in Rotterdam und kommt in dieser Reihung auf Platz elf. Auch wenn er im Vergleich mit den asiatischen Häfen zurücksteht, kann er mit beeindruckenden Zahlen aufwarten: Der Hafen von Rotterdam umfasst als größter des europäischen Kontinents ein Gebiet von mehr als 100 km² und ist Arbeitgeber für über 90.000 Menschen. 140.000 Schiffe laufen Rotterdam in einem Jahr an, dabei werden über zwölf Millionen Container umgeschlagen.

In den letzten Jahren wurden die Containerschiffe immer größer, und die größten, die derzeit auf den Weltmeeren unterwegs sind, sind an die 400 Meter lang und 59 Meter breit. Auf diesen Giganten können 19.000 Container untergebracht werden, aber der Wettlauf zu noch größeren Schiffen geht weiter, und bald soll die Marke von mehr als 20.000 Containern übersprungen werden.

Mittlerweile mehrt sich aber auch die Kritik an diesen Megaschiffen, was vor allem ihre schlechte Umweltbilanz betrifft. Der in der Seefahrt üblicherweise verwendete Treibstoff ist weitaus umweltverschmutzender als jener, mit dem wir unsere Autos befüllen. Viele Hafenstädte weisen daher einen außergewöhnlich hohen Grad an Luftverschmutzung auf. Nicht mehr benötigte Schiffe werden in Indien und Bangladesch unter Umständen zerlegt, die sozial und ökologisch mehr als bedenklich sind. Angesichts dieser Probleme wundert es nicht, dass die Rufe nach einer "grünen Schifffahrt" lauter werden.

Zu dieser ökologischen Kritik kommt noch ein ökonomisches Problem: In den letzten Jahren wurden die Schiffe immer größer, zugleich hat aber die Weltwirtschaft an Schwung verloren. So ist ein Überangebot an Transportkapazitäten entstanden, durch das die Preise für den Containertransport stark gesunken sind. Die Folge: Das Geschäft auf den bedeutenden Strecken zwischen Europa und Ostasien wird immer unrentabler. Mehrere Reedereien mussten den Betrieb einstellen, andere mussten Schiffbestellungen stornieren und Kündigungen in Aussicht stellen.

Ein Erfolgsmodell

Trotz dieser Talsohle sehen wir sechzig Jahre nach der Einführung der Container, wie sehr diese stählernen Kisten den weltweiten Handel beeinflusst und ihn in diesem Ausmaß auch erst möglich gemacht haben. Ihr Siegeszug ist eine der Grundlagen der Globalisierung und hat wesentlich dazu beigetragen, den ökonomischen Aufstieg Chinas in den letzten Jahrzehnten möglich zu machen.

Mittlerweile ist der Container aber mehr als nur ein Behälter zum Transport von Waren geworden, er dient auch als Modul zum Bau von Gebäuden. Die Einsatzmöglichkeiten sind dabei vielfältig: provisorische Flüchtlingsunterkünfte oder Studentenheime (etwa in Amsterdam) werden aus Containern gebaut, aber auch die deutsche Forschungsstation Neumayr III in der Antarktis wurde aus ihnen zusammengesetzt.

Zuletzt baute ein amerikanisches Unternehmen Container um und begann, bei künstlicher Beleuchtung und Bewässerung in ihrem Inneren Gemüse zu ziehen. Bei diesen vielfältigen Möglichkeiten wird der Container dem Beinamen gerecht, den ihm ein Journalist einst gab: Wunderkiste.

Christian Hütterer, geb. 1974, Politikwissenschafter und Historiker, lebt und arbeitet in Brüssel.