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Wunsch und Wirklichkeit

Von Simon Rosner

Politik

Bis 2004 war der Arbeitsmarkt offen - VwGH als 3. Prüfinstanz vor Comeback.


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Wien. Die Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche haben zwar ihren Hungerstreik beendet, nicht aber ihren Protest. In den vergangenen Monaten haben sie diverse Forderungen an die Öffentlichkeit gerichtet, von denen in einer Letztversion sechs zentrale Anliegen übrig geblieben sind. Und diese nehmen sich zum Teil gar nicht so unrealistisch aus, wie sie vonseiten der Regierung zu Beginn interpretiert worden waren. Die "Wiener Zeitung" hat sich die Forderungen genauer angesehen.

Grundversorgung für alle Asylwerber, unabhängig vom Rechtsstatus, solange sie in Österreich sind

Die Grundversorgung ist seit 2004 in einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt. Bis zum positiven Asylbescheid oder der Ausreise kommt die öffentliche Hand für die Versorgung auf. Bei einer Unterbringung in organisierten Quartieren erhalten Asylwerber Kost- und Logis plus 50 Euro Taschengeld pro Monat, bei privater Unterbringung insgesamt 330 Euro, wovon jedoch Miete und Verpflegung noch bezahlt werden müssen.

In einigen Fällen, darunter generell in Niederösterreich, werden Asylwerber unmittelbar nach einem Negativbescheid aus der Grundversorgung entlassen. Das entspricht zwar nicht der Vereinbarung, "aber es ist nur ein Gesetz, das zwischen Bund und Ländern gilt, für den Einzelnen entsteht kein Rechtsanspruch", erklärt Anny Knapp vom Verein Asylkoordination. Seit der Vereinbarung hat sich die Situation für Flüchtlinge jedenfalls verbessert, die Forderung der Flüchtlinge zielt in dem Fall eher auf die Einhaltung bestehender Gesetze ab.

Freie Wahl des Aufenthaltsortes - keine Transfers gegen den Willen der davon Betroffenen

Mit der Regelung der Grundversorgung wurde auch die Aufteilung von Asylwerbern vereinbart, jedes Bundesland muss eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen aufnehmen. Die Koordinationsstelle im Innenministerium administriert diese Aufteilung. Auf verschiedene Ethnien wird zwar Rücksicht genommen, ebenso auf Wünsche der Länder, die Asylwerber selbst haben jedoch keine Wahl. "Sie werden einfach verfrachtet, Menschen, die einander kennen, werden auseinandergerissen", sagt Anny Knapp.

Als problematisch haben sich einige entlegene Quartiere herausgestellt. Da das Taschengeld meist nicht ausreicht, um regelmäßig in die nächste Stadt fahren zu können, bleibt den Flüchtlingen nichts anderes übrig, als ständig im Quartier zu bleiben. Beim Protest der Flüchtlinge aus Traiskirchen zeigt sich die große Angst vor diesen Quartieren.

Für die Asylkoordination wäre ein Weg, Flüchtlingen nach einer bestimmten Zeit das Recht auf einen Antrag auf Wohnsitzwechsel einzuräumen. "Am Anfang sind diese organisierten Quartiere auch sinnvoll, weil es eine Abklärungsphase gibt. Aber nach einer Zeit sollten sie über den Wohnsitz mitentscheiden können."

Die komplett freie Wahl des Aufenthaltsorts würde derzeit vermutlich dazu führen, dass sich der Großteil in Wien niederlässt. "Die Großstadt ist attraktiv, dort gibt es auch die Communities, in Kleinstädten kann dafür Nachbarschaft eine gute Rolle spielen", sagt Knapp. Um Asylwerber in kleinen, privaten Strukturen unterzubringen, wie es am Sinnvollsten wäre, müssten aber höhere Miet- und Verpflegungszuschüsse bezahlt werden. In den Ländern sind derzeit nur zehn Prozent privat untergebracht.

Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung

Solange die Grundversorgung aufrecht ist, sind Asylwerber versichert, Kinder unter 15 Jahren erhalten regulären Schulunterricht. Für ältere Jugendliche und Erwachsene ist der Zugang zu Bildung weitaus schwieriger, seit dem Vorjahr ist bis zum 18. Lebensjahr eine Lehre möglich.

Arbeitsmöglichkeiten für Asylwerber sind seit einem Erlass im Jahr 2004 stark eingeschränkt. Zwar dürfen sie nach wie vor nach drei Monaten arbeiten, allerdings nur als Erntehelfer, Saisonniers oder als Selbständige, worunter meist Prostitution zu verstehen ist. Die Regelungen in Europa variieren stark, eine Wartedauer auf eine Arbeitserlaubnis gibt es aber mit einer Ausnahme (Schweden) überall, um zu verhindern, dass Arbeitsmigranten Asyl beantragen. Ein besserer Zugang zum Arbeitsmarkt wird auch von der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung gefordert, mit dem Verweis auf hohe Arbeitslosenzahlen hat Sozialminister Rudolf Hundstorfer dies bisher aber abgelehnt.

Die Sozialforscherin Gudrun Biffl von der Uni Krems hält eine bloße Arbeitserlaubnis ohne begleitende Maßnahmen für wenig sinnvoll. Es brauche Schulung, Vermittlung sowie eine Regelung für Personen, die zwar einen negativen Bescheid erhalten haben, aber nicht abgeschoben werden dürfen. Zudem fordert Biffl eine Automatik, dass Asylwerber, die wegen eines Jobs aus der Grundversorgung herausfallen, dann wieder versorgt werden, wenn der Job endet. Dies ist derzeit nicht der Fall. "Und das ist auch der Grund, warum viele gleich gar nicht arbeiten", sagt Biffl.

Stopp aller Abschiebungen nach Ungarn und anderer Abschiebungen nach Dublin-II-Verordnung

Diese Verordnung ist seit 2003 in Kraft und regelt, welches EU-Mitglied für die Abwicklung eines Asylverfahrens zuständig ist. Ein Flüchtling kann nur in einem EU-Land einen Antrag stellen, seine Fingerabdrücke werden gespeichert, um ihn im Fall eines weiteren Antrages anderswo wieder zurückschieben zu können. "Man hat aber das Pferd von hinten aufgezäumt, denn Dublin II geht von der Annahme aus, dass die Situation von Asylsuchenden überall gleich ist", sagt Christoph Pinter, Büroleiter des US-Flüchtlingswerks UNHCR in Wien.

Dass dies nicht so ist, haben mittlerweile auch der Gerichtshof für Menschenrechte und der Europäische Gerichtshof festgestellt und Abschiebungen nach Griechenland untersagt. "Es ist unzumutbar, ein Verfahren dort zu durchlaufen, weil gar kein richtiges System vorhanden ist", sagt Pinter. Für die EU-Mitgliedsstaaten ist die Dublin-Verordnung prinzipiell bindend, sie erlaubt aber auch Ausnahmen. Auch im Fall von Ungarn könnte das Innenministerium eine Ausnahme begründen, tut es aber nicht.

Unmittelbar nach der Jahrtausendwende hatte es laut Pinter die Möglichkeit eines anderen Systems gegeben, etwa einer quotenmäßigen Aufteilung. "Die EU-Kommissionhat damals die Mitgliedsstaaten gefragt, ob sie ein völlig neues System wollen", erzählt Pinter. Sie wollten nicht und wollen es bis heute nicht.

Dass gerade aus den Ländern mit EU-Außengrenze nicht mehr Druck auf eine neue Regelung kommt, verwundert auch das UNHCR, schließlich tragen diese Länder die Hauptlast. Rein theoretisch wäre Österreich nämlich nur für jene Asylsuchenden zuständig, die per Flugzeug kommen, das sind nur sehr wenige.

Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur inhaltlichen Überprüfung negativ beschiedener Asylverfahren

Seit 2008 hat sich das Asylverfahren in Österreich geändert: Der Unabhängige Bundesasylsenat wurde zum Asylgerichtshof, das zuvor dreistufige Verfahren in ein zweistufiges umgewandelt. Bis 2008 diente der Verwaltungsgerichtshof als dritte Instanz und sorgte in rund 20 Prozent der Fälle doch noch für einen positiven Asylbescheid. Seit fünf Jahren ist der Verfassungsgerichtshof zuständig. Die Konsequenz: Nur rund zwei Prozent der negativen Bescheide werden aufgehoben.

Hauptgrund dafür ist, dass der VwGH andere Kompetenzen hatte, die Verfassungsrichter jedoch nur ganz grobe Verfehlungen im Verfahren ahnden können. "Es fehlt dadurch vor allem die Kontrolle", sagt Anny Knapp. In Begutachtung befindet sich bereits eine Gesetzesnovelle, der Verwaltungsgerichtshof dürfte die Agenden wieder übernehmen, jedoch mit "eingeschränktem Prüfungsumfang", wie Knapp ergänzt.

Anerkennung sozioökonomischer Fluchtmotive

Die Genfer Flüchtlingskonvention dient seit 1951 als Rechtsgrundlage für die Gewährung von Asyl. Anerkannt werden Flüchtlinge, wenn sie wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit oder aus politischen Gründen verfolgt werden. Schutz vor Kriminalität oder Hunger bietet die Konvention nicht.

Ob die Genfer Konvention noch zeitgemäß ist, wird zwar seit Jahren international diskutiert, die Anerkennung von ökonomischen Fluchtgründen ist aber kein reales Thema. Die Diskussion drehe sich um klimabedingte Flucht, sagt Pinter vom UNHCR. "Durch die Klimaerwärmung, durch steigende Meeresspiegel könnten sich größere Völkerbewegungen ergeben." Wie damit umzugehen sei, ist noch ungeklärt.

Würde man ökonomische Motive als Fluchtgründe akzeptieren, würde die Asyl-Anerkennungsrate drastisch nach oben gehen (derzeit: 22 Prozent), dass die Zahl der Anträge steigen würde, ist sehr wahrscheinlich. "Aber es ist schon eine Frage, wie man mit einer verarmten Gesellschaft, die sich auf den Weg macht, umgeht", sagt Pintner.