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Wunschszenario

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

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In diesen Stunden und Tagen entscheidet sich die Zukunft Europas. Wieder einmal und, so muss man hinzufügen, wie seit einer gefühlten kleinen Ewigkeit ohnehin nahezu im Wochenrhythmus. Offensichtlich braucht unsere Zeit eine Prise Hysterie, dieses ständige Balancieren am Abgrund, auch wenn es in den allermeisten Fällen allenfalls rhetorisch stattfindet, als ultimatives Ausdrucksmittel des politisch-journalistischen Komplexes.

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Solch Alarmismus zeugt von erstaunlichen Selbstwertdefiziten. Immerhin ist Europa nicht nichts, seine institutionelle Gestalt, wie improvisiert und unfertig auch immer, kann sich durchaus sehen lassen. Und auch die Zustimmung zum Prinzip der europäischen Integration ist unvermindert hoch. Was es tatsächlich gibt, ist eine gehörige Portion Frust mit der Realität, aber die gibt es in Österreich genauso wie in den USA, in China oder in jedem anderen Land der Welt, wahrscheinlich sogar auch in Dubai und in Monaco. Und dort wird trotzdem nicht ständig das bittere Ende als Schreckgespinst an die Wand gemalt.

Die Warnungen vor einem Zerfall der Union haben etwas Rituell-Beschwörendes, in ihrer Berufung auf ein höheres Prinzip fast schon naiv Unpolitisches an sich. Einzig der Umstand, dass auch 55 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge eine solche Strategie offensichtlich noch für notwendig erachtet wird, lässt am Existenzwillen der EU leisen Zweifel aufkommen. Dass über die konkrete Gestalt der Union gestritten und diskutiert wird, gehört schlicht zum Alltag eines dynamischen politischen Prozesses.

Der laufende Kampf um das Budget der Union wird nicht der letzte Verteilungskampf sein. Nach einer Einigung kommt die nächste Schlacht um die Verteilung des Kuchens, die nächste Krise; das ist so sicher wie das Amen im Gebet. Ende nie. Hoffentlich, denn das ist die Quintessenz von Politik. Und irgendwann werden die Akteure dann vielleicht ja auch nicht mehr als Repräsentanten der Kräfte des Lichts und der Finsternis porträtiert werden. Das wäre dann ein wirklicher Fortschritt für Europa und hoffentlich der letzte Beweis seiner Selbstgewissheit.

Womöglich könnte die Union ja dann auch noch beim nächsten Krieg in Nahost einen Beitrag zum Frieden leisten. Liegt ja schließlich nicht irgendwo, sondern in der Nachbarschaft.