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Zivilgesellschaftliche Organisationen durften ihre Vorschläge unterbreiten.
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Wien. Unter den 17 Justizministern der Zweiten Republik ist Christian Broda wohl der berühmteste. Dass man auch 26 Jahre nach seinem Tod noch immer regelmäßig von ihm spricht, verdankt der sozialdemokratische Jurist in erster Linie dem unter seiner Ägide völlig reformierten und bis heute gültigen Strafgesetzbuch von 1975. 38 Jahre voller Ergänzungen, Erweiterungen aber auch voller gesellschaftlicher Umbrüche haben aus dem StGB ein unübersichtliches und in manchen Teilen nicht mehr zeitgemäßes Konvolut werden lassen. Geht es nach Justizministerin Beatrix Karl, soll sich das in den nächsten zwei Jahren ändern. Unter dem Titel "Projekt StGB 2015" plant die ÖVP-Ministerin zum 40-Jahr-Jubiläum des Broda-Strafgesetzbuches eine Total-Reform des Strafrechts.
Seit Februar tagt eine Expertengruppe von Justizbeamten und Rechtswissenschaftern - ohne politische Vorgaben und ohne Politiker, wie Karl betont. Bis zum nächsten Frühjahr sollen sie Vorschläge zur StGB-Reform ausarbeiten. "Die Politik kommt später zum Zug", so Justizministerin Karl. Die Leitung hat Sektionschef Christian Pilnacek inne. Dieser gibt als Ziel eine möglichst große gesellschaftliche Akzeptanz aus. Allerdings habe sich für die Experten bald die Frage gestellt: "Was denkt die Gesellschaft überhaupt?"
Um das herauszufinden, lud das Justizministerium am Montag zu einer Enquete, wo Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Wünsche ans neue Strafgesetzbuch deponieren konnten. Die Palette war äußerst bunt: sexueller Missbrauch, Terrorgefahr, Abtreibung von behinderten Föten, härtere oder mildere Strafen.
Maria Schwarz-Schlöglmann von den Gewaltschutzzentren forderte etwa, für Kindesentführungen ins Ausland einen konkreten Straftatbestand einzuführen. Außerdem solle die Tatsache, dass ein sexueller Missbrauch in einer Familie stattfindet, als Erschwernisgrund gelten.
Für Volker Frey vom Klagsverband der Diskriminierungsopfer sollte dasselbe für rassistische oder andere verhetzende Motive gelten.
Amer Albayati von der Initiative Liberaler Muslime in Österreich kritisierte, dass die österreichischen Verfassungsschützer durch die heimischen Gesetze im Kampf gegen radikalislamische Dschihadisten behindert würden. Er will für die Ermittler weniger Hürden im Kampf gegen mögliche Terroristen.
Helmut Graupner vom Rechtskomitee Lambda forderte mehr Augenmaß bei sexuellen Delikten. Wenn etwa ein 17-Jähriger mit seiner 13-jährigen Freundin schlafe, drohe ihm eine härtere Strafe, als wenn er sie krankenhausreif prügle.
Mehr oder weniger Strafen?
Eine deutliche Reduzierung von Haftstrafen forderte Georg Mikusch vom Verband Neustart. Für die Kriminalitätsentwicklung sei es nicht relevant, ob mehr oder weniger eingesperrt wird.
Gegen eine Verschärfung des Strafrechts sprach sich bei der Enquete auch Roland Miklau, Präsident der Juristenkommission, aus. "Die Strafhöhe wirkt nicht präventiv", wirksamer sei eine hohe Entdeckungs- und Verurteilungswahrscheinlichkeit. Miklau ist auch gegen eine überhöhte Rolle der Schadenssumme bei Vermögensdelikten. So sei die Höchststrafe für Helmut Elsner im Bawag-Prozess "unmöglich", schließlich sei Elsner nicht vorbestraft gewesen und habe nicht in die eigene Tasche gearbeitet. "Da stimmen die Relationen nicht", so Miklau, der zudem forderte, gemeinnützige Leistungen (wie bei der Diversion) in den Strafenkatalog aufzunehmen.
Aus Sicht der Opferschutzverbände "Weißer Ring" und Klagsverband sind Strafen für Opfer sekundär. Wichtiger seien Entschädigungen und Schadenersatz.
Angesichts einer derartigen Vielfalt an Themenbereichen, Wünschen und Vorschlägen wurden auch Zweifel laut, ob die Reform tatsächlich zustande kommt. Walter Hammerschick vom Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie äußerte die "große Sorge", der Kommission könnte "ganz einfach die Zeit ausgehen".
Im Justizministerium ist man allerdings zuversichtlich, dass es sich ausgeht - auch wenn keineswegs klar ist, ob Karl nach der nächsten Wahl noch Ressortchefin ist. Damit könnte es ihr ergehen wie den Vorgängern Christian Brodas: Die Vorarbeiten für dessen StGB-Reform gehen nämlich bis in die 50er und 60er Jahre zurück.