)
Die EU bietet bei Migration und Flucht ein trauriges Bild. Auch, weil es allen Seiten an Ehrlichkeit fehlt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hat recht: Es ist tatsächlich "nicht würdig", wenn sich Europa nicht auf eine gerechte Verteilung der durch private Akteure aus dem Mittelmeer geretteten Migranten einigen kann. Sein Appell an die EU-Innenminister, einem fixen Verteilungsschlüssel endlich zuzustimmen, wird trotzdem einmal mehr verhallen. Für ein einheitliches europäisches Asylrecht fehlen schlicht die Voraussetzungen.
Und ein Solches wird weiter auf sich warten lassen. Gemessen an den Gräben, die Europas Staaten hier trennen, sind die Differenzen beim Corona-Wiederaufbaufonds fast eine Petitesse. Umso mehr, weil sich nicht nur die Politik, sondern auch die Öffentlichkeit um eine ehrliche Diskussion drückt, indem sie sich verweigern, das moralisch hochgradig aufgeladene Thema politisch zu Ende zu denken.
Natürlich müssen Menschen aus Seenot gerettet werden. Und Menschen, die Anspruch auf Asyl haben, müssen hier einen sicheren Hafen haben. Aber mit moralischen Appellen allein lassen sich die offenen Fragen nicht lösen. Retten und Asylrecht gebieten die Grundrechte, bei allen anderen Fragen braucht es tragfähige Mehrheiten, nicht nur im einen oder anderen Land, sondern in der EU. Demokratie hat viele Vorteile - unter anderem den, dass nicht wenige vielen ihren Willen oder ihre Moral aufdrängen können, sondern um Mehrheiten werben müssen.
Um die "unwürdige" Situation zu beenden, müssen die Staaten ihre Souveränität bei Asyl aufgeben (was sie de jure getan haben, in der Praxis aber unterlaufen), eine Vorabklärung des Asylanspruchs an den EU-Außengrenzen, eine an den Interessen der EU orientierte Zuwanderungschance nach klaren Kriterien und das Eingeständnis, dass die Union auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal ihrer Nachbarschaft im Süden und Osten, in Afrika, Nahost, in Osteuropa und Zentralasien, verbunden ist. Entweder die Menschen finden in ihrer Heimat die Chance auf ein erfülltes Leben in Sicherheit - oder die EU ist dazu verurteilt, sich einzuigeln und in eine Festung zu verwandeln. Mit allen damit verbundenen Verlusten an Freiheit, Wohlstand und Sicherheit.
Was dazu nötig ist, lässt sich leicht niederschreiben, aber unendlich schwer in konkrete Politik für einen in ständiger Veränderung befindlichen Staatenbund von 450 Millionen Einwohnern umsetzen. Wenigen wird gegeben und vielen wird genommen werden, im konkreten wie im übertragenen Sinn. Da ist es fast schon wieder verständlich, dass Politiker lieber predigen oder blockieren. Fast.