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Würde und Wirklichkeit

Von Georg Schildhammer

Gastkommentare

Die Welt ist nicht perfekt. Dass sie durch ein Verbot von Prostitution besser würde, darf zumindest bezweifelt werden.


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Der Philosoph Immanuel Kant meinte: Niemand sollte einen anderen bloß zum "Mittel" für seine Zwecke missbrauchen, sondern sein Gegenüber immer auch als "Zweck an sich" ansehen. Kant war klug genug, einen nüchternen Blick auf die Realität zu werfen. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft können wir gar nicht anders, als einander gegenseitig auch als Mittel zu diversen Zwecken zu gebrauchen:

So instrumentalisiere ich zum Beispiel den Taxifahrer, indem ich ihn dazu verwende, mich nach Hause zu fahren.

Der Unterschied zwischen Ge- und Missbrauch liegt darin, wie ich ihn behandle. Ich kann ihn höflich fragen, ob er mich nach Hause bringen könnte, und am Ende der Fahrt den Preis dafür begleichen. Ich könnte ihn aber auch beim Einsteigen mit einer Waffe bedrohen und ihn dazu zwingen, mich kostenlos zu fahren.

Wir leben in einer sehr komplexen Welt, zu der nicht nur Taxifahrer, sondern auch Putzmänner und -frauen gehören, Minenarbeiter und viele andere. Einige Berufe befriedigen lebenswichtige menschliche Bedürfnisse, zum Beispiel jenes nach Nahrung. Andere dienen bloß dazu, unser Leben schöner zu gestalten, zum Beispiel die Kosmetikbranche.

Sex ist zwar ein menschliches Bedürfnis. Trotzdem können wir (als Individuen) auch dann überleben, wenn wir keinen Sex haben. Niemand darf und sollte gezwungen werden, mit jemand anderem ins Bett zu steigen. Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Menschenhandel sind zu Recht verboten.

Wie steht es aber um freiwilligen Sex gegen Bezahlung? Ist es entwürdigend, seinen Körper für die sexuelle Befriedigung eines anderen Menschen zu "vermieten", der ohne dieses Angebot (zum Beispiel, weil er schüchtern, alt, hässlich oder behindert ist) keinen Sex haben könnte?

In der besten aller Welten gäbe es keine entwürdigende Arbeit, keine anstrengenden, schmutzigen, die Gesundheit gefährdenden Tätigkeiten. Wahrscheinlich gäbe es überhaupt keine Arbeit mehr. Denn seien wir ehrlich: Arbeiten zu müssen, ist immer ein wenig entwürdigend. In einer perfekten Welt würden alle nur noch das tun, was sie am liebsten machen.

Vielleicht gäbe es dort immer noch Maurer, Putzmänner und -frauen, Kanalräumer und Prostituierte. Die würden ihren Job dann aber ausschließlich freiwillig machen, aus purer Leidenschaft.

Solange wir das Paradies auf Erden noch nicht verwirklicht haben, sollte jeder das anbieten dürfen, womit er am besten leben kann - im wörtlichen und im übertragenen Sinne des Wortes. Jeder sollte selbst entscheiden, ob er es entwürdigender findet, sich beim Putzen oder beim Sex gegen Bezahlung schmutzig zu machen.

Die Alice Schwarzers dieser Welt müssten ab dem Tag, an dem Prostitution verboten würde, ihre Putzfrau nach Hause schicken. Und da sie jenen Menschen, die auf konventionelle Weise nicht zu Sex kommen, Askese aufzwingen möchten, sollten sie ab sofort auch selbst auf Sex verzichten. Alles andere wäre verlogen und inkonsistent.

Georg Schildhammer ist Moralphilosoph und Publizist.