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Würdevolles Altern braucht Qualität in der Pflege

Von Günther Kräuter

Politik

Nach Abschaffung des Pflegeregresses muss man eine Balance zwischen Pflege im Heim und zu Hause schaffen.


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Die gute Nachricht zuerst: Menschen haben hierzulande gute Chancen, alt zu werden. Die Lebenserwartung liegt heute bei mehr als 81 Jahren, Tendenz steigend. Die Gruppe der Hochaltrigen (älter als 85 Jahre) ist die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe. Die meisten Menschen wünschen sich, dass sie bis ins hohe Alter gesund bleiben und ihren Hobbys nachgehen können. Auch dafür stehen die Chancen nicht schlecht.

Mit dem Steigen der Lebenserwartung steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, irgendwann auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen zu sein. Auch dann sollen nicht die Erschwernisse des Alltags das Leben prägen. Betroffene wollen meist möglichst selbstbestimmt leben und natürlich selbst entscheiden können, wo sie wohnen oder wann sie zu Abend essen. Auch dann möchten sich die meisten Menschen mit all ihren Erfahrungen aktiv mit anderen austauschen und ihre Freizeit nach ihren eigenen Vorstellungen genießen - wenngleich mit Unterstützung. Die meisten Österreicherinnen und Österreicher würden übrigens am liebsten zu Hause gepflegt werden.

Die weniger gute Nachricht ist, dass all diese Aspekte in der aktuellen Debatte kaum eine Rolle spielen. Es geht vorwiegend um die Kosten. Bund und Länder scheinen nun zumindest den Streit um den Kostenersatz für die Abschaffung des Pflegeregresses beigelegt zu haben. Doch die Diskussion greift zu kurz. Ältere Menschen dürfen nicht auf einen Kostenfaktor reduziert werden. Vielmehr muss man über Qualitätssicherung und Menschenwürde in der Pflege sprechen und über die Schaffung einer Balance zwischen Pflege im Heim und zuhause. Letzteres würde übrigens auch helfen, Kosten zu senken.

Menschenrechte werden manchmal krass verletzt

Betreffend Qualität der Pflege in Einrichtungen hat die Volksanwaltschaft durch die unangekündigten Besuche ihrer Kommissionen in Alten- und Pflegeheimen einen guten Einblick. Allein im Vorjahr wurden rund einhundert solcher Einrichtungen besucht. Die Kommissionen stellten dabei leider nach wie vor Mängel, Defizite, manchmal auch krasse Menschenrechtsverletzungen fest.

In knapp der Hälfte der besuchten Einrichtungen ist, aus Sicht der Kommissionen, in der Nacht nicht ausreichend (diplomiertes) Personal im Dienst. In 60 Prozent der Fälle stuften Kommissionen die ärztlich verordnete Medikation als "bedenklich" ein. So werden etwa häufig die durch die gleichzeitige Vergabe mehrerer Medikamente entstehenden Nebenwirkungen unterschätzt. Strukturelle Gewalt gegen ältere Menschen kann zudem über ungeschriebene Verhaltensregeln sehr subtil erfolgen: Abendessen bereits um 16.30 Uhr sind keine Seltenheit, in vielen Einrichtungen liegt ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner auch im Sommer zwischen 18 und 19 Uhr bereits in ihren Betten, ein Abendprogramm gibt es dort nicht. Solche starren Regeln können die Lebensqualität des Einzelnen stark beeinträchtigen.

Die Kritik richtet sich jedoch nicht gegen das Personal, das in den allermeisten Fällen sehr engagierte Arbeit leistet, oft an den Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Ursache für Missstände sind regelmäßig strukturelle Defizite und Personalmangel.

Die Volksanwaltschaft fordert daher, die Mittel des Pflegefonds, der ein wichtiger Faktor in der Finanzierung der Pflege ist, an verbindliche Qualitätskriterien zu knüpfen - wie Personalschlüssel und Infrastruktur. Zudem müssen bundeseinheitliche Qualitätsstandards geschaffen werden. So braucht es etwa in Einrichtungen und außerhalb davon dringend mehr und gut qualifiziertes Pflegepersonal. Für die Zukunft der Pflege ist eine nachhaltige und solidarische Finanzierungslösung unerlässlich, der Pflegefonds sollte daher in ein fixes Gesetz übergeführt werden.

Neben der Qualitätssicherung in der stationären Pflege muss auch die Pflege und Betreuung im privaten Bereich besser unterstützt werden. Oft reichen Pflegegeld und die kleine Pension nicht aus, um das Wohnumfeld barrierefrei zu adaptieren und Kosten für Unterstützung bei der Pflege zu Hause, etwa durch eine 24-Stunden-Betreuung oder mobile Dienste, abzudecken. Betroffene müssen ihr Erspartes aufbrauchen oder die Kinder um finanzielle Hilfe bitten.

Pflegegeld massiv erhöhen, mobile Pflege ausbauen

Durch die Abschaffung des Pflegeregresses ist nämlich die absurde Situation entstanden, dass die Steuerzahler die teuerste Form der Pflege - jene im Heim, die von den Menschen gar nicht bevorzugt wird - voll finanziert. Die gewünschte private und weitaus kostengünstigere Betreuung zu Hause hingegen nicht. Dadurch verstärkt sich der Andrang auf Heimplätze. Pflegende Angehörige erhalten hingegen zu wenig Unterstützung.

Die Volksanwaltschaft begrüßt die Abschaffung des Pflegeregresses, nun muss jedoch auch die Pflege zu Hause gestärkt werden: Das Pflegegeld sollte daher in allen Stufen massiv angehoben und jährlich valorisiert werden, ein Plus von 30 Prozent würde zumindest den Wertverfall seit seiner Einführung im Jahr 1993 ausgleichen. Unter dem Motto "so viel stationär wie nötig, so viel mobil wie möglich" drängt die Volksanwaltschaft zudem auf den Ausbau flächendeckender, leistbarer mobiler Pflege und die Förderung alternativer Betreuungsformen für ältere Menschen.

Betreffend Qualität der 24-Stunden-Betreuung gibt es ebenso Handlungsbedarf: Wir wissen aus Beschwerdefällen, dass ausländische Betreuerinnen teils ausgebeutet und mit falschen Zeugnissen völlig unvorbereitet vermittelt werden. Sie sind dann etwa mit der Pflege einer demenzkranken Person heillos überfordert.

Die Volksanwaltschaft fordert daher ein staatliches Gütesiegel für Agenturen. Längerfristig sollten im Sinne des präventiven Schutzes von Menschenrechten auch unangekündigte Kontrollen in der 24-Stunden-Betreuung durchgeführt werden. Der Staat muss, zumal wenn er Förderungen verteilt, seiner Rolle als Garant der Menschenrechte gerecht werden und Strukturen schaffen, die Hilfebedürftige in Anspruch nehmen können, ohne Gefahr zu laufen, dadurch körperlich, seelisch oder finanziell Schaden zu nehmen. Er muss für ein Altern in Würde und letztlich für eine neue Kultur der Pflege sorgen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Schließlich werden wir im besten Fall alle einmal alt.

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