Ukrainische Hilfsorganisationen organisieren den Nachschub für die Front.
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Kiew. In einem ruhigen Hinterhof, hinter dem Campus der nationalen Taras-Schewtschenko-Universität, ist der Krieg näher als anderswo in Kiew. Alexander Foschtschan kämpft sich ächzend durch einen Berg aus Militärjacken, Overalls, Schlafsäcken, Stiefeln und Rücksäcken. In der Ecke des Lagerraums türmen sich Schaufeln, Wasserkanister und gusseiserne Öfen.
Foschtschan ist Helfer der ukrainischen Freiwilligen-Organisation "Armija SOS", die über ihre Facebook-Seite und Homepage für Geldspenden wirbt. Seit Monaten versorgt sie die Armee mit dem Notwendigsten - von Rasierklingen über Zahnpasta bis zu schusssicheren Westen. Die neue Lieferung mit Winterkleidung ist gerade angekommen, erzählt der stämmige Mann mit dem Bürstenhaarschnitt stolz. "Ich denke, dass das im Laufe der nächsten Wochen alles ausgeliefert wird." Die erste Fuhre wird schon beladen, Foschtschan schleppt zwei Kartons ins Freie, wo ein Kleinbus in Tarnfarben warmläuft. Destination: die umkämpften Gebiete in der Ostukraine.
Als aus der Krise im Osten des Landes ein Krieg wurde, offenbarten sich die Schwächen der ukrainischen Streitkräfte. Das Verteidigungsministerium, überbürokratisiert und korrupt, hatte zwischendurch sogar Probleme, die Soldaten an der Front mit Essen zu versorgen. "Armija SOS" ist nur eine von zahlreichen Freiwilligenorganisationen, die seither aus dem Boden geschossen sind, um für den nötigen Nachschub an Essen, Kleidung und ziviler Ausrüstung zu sorgen. "Das ukrainische Volk hat sich erhoben und eine Armee aus dem Nichts geschaffen", sagt Foschtschan etwas pathetisch, als er die Pakete mit einem gewaltigen Knall im Kofferraum des Kleinbusses versenkt.
Viele sind überzeugt, dass der Krieg ohne das Engagement von ukrainischen Freiwilligen längst verloren wäre. "Help Army", "Die Flügel des Phönix", "Help Ukraine, Stop Russia" - die sozialen Medien sind voll mit Hilfs-Initiativen und Spendenaufrufen für den Krieg gegen die Aufständischen. In der Kiewer Metro wirbt ein Fonds für Geldspenden, um Drohnen für die Front anzukaufen. Aktivisten mit Spendenboxen durchkämmen die U-Bahn-Waggons, um Medikamente für die Soldaten zu sammeln.
Das Engagement für die ukrainische Armee ist groß - dennoch liegt vieles im Argen. Der Konflikt geht bereits in den neunten Monat, und jetzt kommt der Winter. Schätzungen gehen davon aus, dass erst die Hälfte der rund 50.000 ukrainischen Soldaten mit warmer Kleidung für den Winter versorgt ist. Die Ukraine sei "bereit für den totalen Krieg" mit Russland, hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hingegen dieser Tage vollmundig verkündet.
Dass es aber große Probleme bei der Versorgung der Soldaten gäbe, hat zuletzt auch der ukrainische Verteidigungsminister Stepan Poltorak eingeräumt. Das liege vor allem an einem aufgeblähten bürokratischen Apparat und absurden Vorschriften, die "keine schnellen Entscheidungen zulassen würden", sagte Poltorak.
Omas stricken für die Armee
Zuletzt hatte es geheißen, dass die Soldaten mit warmen Winteruniformen ausgestattet werden sollen. "Davon habe ich auch schon gehört - gesehen habe ich sie allerdings noch nicht", sagt Foschtschan, der selbst regelmäßig in die Ostukraine fährt. Für ihn ein Grund mehr, schnell zu handeln: "Wir haben jetzt sehr viel warme Kleidung und kleine Öfen eingekauft, damit die Soldaten über den Winter kommen." Schließlich lacht Foschtschan und erzählt: "Eine alte Omi, die ich kenne, strickt jetzt sogar Socken für die Armee."
Sascha hat schon am eigenen Leib den ersten Frost erlebt. Der 48-Jährige ist auf Fronturlaub in Kiew und kämpft seit Juni als Freiwilliger in einem Bataillon der Nationalgarde. Zuletzt war er in Debalzewo und Horliwka stationiert. Die Soldaten schlafen in einer Art selbst gebauter Erdhütte, erzählt er. Die Hoffnung auf den ukrainischen Staat hat er längst begraben. "Das Einzige, was wir vom Staat bekommen haben, sind die Waffen und die Uniformen."
30 Jahre alte Panzer
Ob er sich Sorgen mache, wie er über den Winter kommen werde? Sascha zuckt bloß mit den Schultern. "Da werden uns wohl wieder die Freiwilligen helfen, die haben uns schon Thermounterwäsche und Stiefel gebracht. Aber das reicht noch nicht für alle", sagt er.
Bei Ausbruch der Krise hatte sich die ukrainische Armee in einem denkbar schlechten Zustand befunden. Die Schlagkraft der Armee sei "unbefriedigend", weniger als 20 Prozent der Streitkräfte seien ausreichend ausgebildet, so der damalige Verteidigungsminister Ihor Tenjuk in einem Bericht im März. Er beschrieb "einen katastrophalen Zustand von Kampffähigkeit unter den Soldaten und einen Mangel an Militärspezialisten". Mehr als 70 Prozent der Panzer und anderer Kampffahrzeuge seien "veraltete sowjetische T-64-Panzer, die bereits mehr als 30 Jahre in Betrieb sind", so der damalige Minister.
Das Verteidigungsministerium gehört selbst zu jenen Ämtern der Ukraine, die am meisten umstritten sind. In der aktuellen Krise hatte das Ministerium durch dubiose Geschäfte und Missmanagement von sich reden gemacht. Der amtierende Verteidigungsminister Stepan Poltorak ist bereits der vierte im Kabinett des Premiers Arsenij Jazenjuk, das nach dem Umsturz am Kiewer Maidan gebildet wurde. Poltorak ist erst seit einem Monat im Amt.
Wie auch in anderen Bereichen - etwa der Flüchtlingshilfe - hat der schwache ukrainische Staat eine starke Zivilgesellschaft auf den Plan gerufen. Waffen dürfen zwar nicht von den Freiwilligen eingekauft werden, dafür aber schusssichere Westen, Helme, Knieschützer, Funkgeräte und Schutzbrillen. Als der Konflikt in der Ostukraine losbrach, fuhr ein Helfer von "Armija SOS" von Checkpoint zu Checkpoint, um zu sehen, was die Soldaten brauchen. "Sie hatten noch Helme aus der Sowjetzeit und alte Schuhe, die zu nichts taugen", erzählt Foschtschan. Er hält ein Paar dicke Armee-Stiefel in den Händen, mit dickem Leder und Fell gefüttert, die gerade aus den USA geliefert wurden. "Solche Schuhe trug ich selber - am Maidan", sagt er.
Hobby-Bastler bauen Drohen
Vor einem Jahr, als sich der Widerstand am Maidan, dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, sammelte, lieferte Foschtschan mit anderen Helfern gemeinsam noch Wurst und Käse aus, um die hungrigen Demonstranten zu versorgen. Mit dem Konflikt hat sich für viele Freiwillige das Engagement verändert. Viele der damals als "Selbstverteidigungskräfte" des Maidan engagierten Männer kämpfen heute an der Front. Auch für Foschtschan ist kein Stein auf dem anderen geblieben.
Vor wenigen Wochen haben er und seine Kollegen einen weiteren Raum im Hinterhof angemietet, wo Hobby-Bastler jetzt Drohnen für die Ostukraine bauen. Rund 20 unbemannte Flugzeuge sind schon in der Ostukraine im Einsatz, schätzt Foschtschan. Er lacht verhalten. "Dieses Jahr sind wir zu richtigen Tausendsassas geworden - ob wir das nun wollten, oder nicht."