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Wüstensand und Lehmgebäude

Von Bernhard Widder

Reflexionen

Die beiden alten Städte Naein und Yazd im Zentrum des Iran geben einen guten Eindruck von traditionellen iranischen Bau-, Wohn- und Lebensformen. Ein Lokalaugenschein.


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Das Bauwerk liegt unterirdisch, ähnlich einer europäischen Krypta. Ich steige tief hinunter, die Gewölberäume sind dunkel, Licht dringt durch Platten aus Alabaster am Boden des Hofs. Die Freitags-Moschee (Masjed-e Jame) in der Kleinstadt Naein ist die zweitälteste Moschee im Iran. (In allen muslimischen Ländern wird die Hauptmoschee einer Stadt "Freitags-Moschee" genannt.) Naein liegt ungefähr 500 Kilometer südöstlich von Teheran in der Kavir-Wüste und ist für seine Teppich-Tradition bekannt. Die alte Moschee stammt aus dem 10. Jahrhundert, im 14. Jahrhundert sind Anbauten hinzugekommen.

Im Park vor dem Komplex der Moschee, der von einem achteckigen, konischen Minarett aus dem 11. Jahrhundert überragt wird, herrscht Stille, es gibt keine Besucher außer mir. Das Licht ist völlig klar, die Wärme am frühen Nachmittag wirkt wie im Herbst, obwohl es Winter ist. Aber kennzeichnend für das Hochland der zentralen Wüsten sind scharfe Kontraste von hell und dunkel, ebenso von Temperaturen. Im Schatten von Mauern und Kiefern wird es sofort kalt. Windstöße kommen aus mehreren Richtungen. Ich höre Stimmen von Männern, die sich vor dem Eingang zur Moschee unterhalten, wie so häufig im Iran mit Lachen verbunden.

Stille Katastrophen

Wir treffen den Direktor des ethnografischen Museums "Pirnia", das in einem Gebäude aus dem Jahr 1560 untergebracht ist. Ein äußerst höflicher Mann in dunklem Anzug, etwa in meinem Alter. Linksseitig fehlen ihm die unteren Zähne. Er erzählt mir, dass er in einem geschlossenen Raum einen Unfall gehabt hat, die Decke war eingestürzt. Dabei verlor er nicht nur einige Zähne, sondern auch einen Laptop und eine Canon-Spiegelreflexkamera, was er mit Bedauern erwähnt. Ich frage ihn nicht, wodurch der Unfall ausgelöst worden ist.

Als ich später zur Altstadt und zum leeren Basar gehe, kommt mir jedoch der Gedanke, es könnte sich hier ein schweres Erdbeben ereignet haben. Die Basar-Anlage bildet eine leicht gekurvte Achse, die sich als Passage mit Gewölben einen halben Kilometer lang durch die Altstadt zieht. In diesem langen Bauwerk sind alle Geschäfte leer, manche Ausblicke zeigen zerstörte Häuser, die zum größten Teil aus luftgetrockneten Lehmziegeln vor Jahrhunderten gebaut worden sind. (Das iranische Wort für diese Lehmziegel-Bauweise ist "Khesht", ausgesprochen "Chescht").

Der Anblick ist unheimlich, zeigt Vergänglichkeit auf drastische Weise, die durch die Kon-traste von Licht und Schatten, der Wärme im Freien und den kalten Windböen nur verstärkt wird. Die verlassene Altstadt Naeins erscheint wie eine Stadt der Toten.

Warum die gesamte alte Stadt und der sie durchquerende Basar verlassen wurden, kann ich nicht erfahren. Auch im Reiseführer findet sich nichts darüber. Deshalb also dachte ich an ein Erdbeben von großer Stärke, wie sie sich im iranischen Hochland immer wieder ereignen. Aber es könnte ebenso sein, dass im 20. Jahrhundert das Zentrum der Stadt einfach nach Westen verlegt worden war. Der Weg zurück zum Hotel führt über einen modernen Boulevard, der von Alleebäumen gesäumt ist und Platz bietet für jene Geschäfte und Büros, die vor vielen Jahrzehnten den alten Basar belebt haben.

Busse und Pilger

Bei einer "Police Station" an der Autobahn befindet sich die Haltestelle der Reisebusse für lange Distanzen. Um vier Uhr sollte dort ein Bus von Isfahan kommen und nach Yazd weiterfahren, das südöstlich von Naein im geografischen Zentrum des Iran liegt. Es kommen in kürzeren Abständen moderne Autobusse vorbei, halten an, aber keiner fährt nach Yazd.

Die iranischen Hauptstraßen sind gut beschriftet, in Farsi (iranisch-arabischer Schrift) sowie in westlichen Buchstaben, samt Angaben von Kilometern. Die Autobusse haben aber keine Beschriftungen mit Zielangaben, und wenn doch, dann kann ich sie nicht lesen. Bei einem Bus steht "adidas" quer über die Windschutzscheibe.

Ein Bus hält an, wieder in der Richtung nach Yazd, ich gehe zur Tür und frage den Chauffeur: "Yazd"? Zahedan heißt das eigentlich Ziel. Diese Stadt liegt im äußersten Osten des Iran im Grenzgebiet zu Pakistan und Afghanistan und ist von Naein mindestens 1000 Kilometer entfernt. Was die Männer, die für die Dauer der Pause den Bus verlassen, mir zu erklären versuchen, verstehe ich nicht. Erst in Yazd erfahre ich, dass es schiitische Pilger waren, die sich auf der Rückreise von Kerbela im Irak befanden. Von Naein ins irakische Zweistromland fährt man 1500 Kilometer weit.

Später lese ich, dass 2014 allein aus dem Iran eine Million Pilger nach Kerbela gereist war, um dort während des "Moharram", der vierzigtägigen Zeit der Trauer über den Tod des Imam Hussein, die mit dem "Ashura"-Fest Anfang November begint, das Mausoleum und die Moschee zu besuchen.

Der Abend kommt, es wird empfindlich kühler. Ein weiterer Bus hält, die Tür öffnet sich, wieder frage ich: "Yazd?" (übrigens mit langem a). Diesmal ein Nicken, ein formloses bale (ja). Ich steige ein, der Bus ist zur Hälfte leer. Nach 105 km erreicht der Bus die moderne Station von Ardakan, bereits in tiefer Dunkelheit. Über die Nachbarstadt Meybod sind es noch fünfzig Kilometer zum Terminal "Otobuse" am Rand der Stadt Yazd. Mit einem Taxi gelange ich auf breiten Boulevards ins Zentrum Die Route führt an modernen Stadtteilen vorbei, nach kurzer Fahrt ist die Innenstadt erreicht, wo ich im alten "Silk Road Hotel" ein Zimmer beziehe.

Guter Denkmalschutz

Yazd, mit 450.000 Einwohnern die größte iranische Wüstenstadt, ist heute vor allem wegen ihrer Universitäten bekannt. Die Stadt wurde vor mehr als 3000 Jahren gegründet, entwickelte sich über viele Jahrhunderte als Knotenpunkt des Handels der Seidenstraße. Marco Polo beschrieb Yazd um 1270 als reiche Handelsstadt.

Die Altstadt von Yazd zeigt sich am nächsten Morgen vom Dach des Hotelgebäudes aus. Von dort bekomme ich einen Überblick über eine der größten orientalischen Lehmbau-Städte. Das geschlossene Bild der Altstadt (mittlerweile Teil des UNESCO-Weltkulturerbes) wurde in Yazd bewahrt. Offensichtlich waren hier gute Denkmalschützer und Planer über Jahrzehnte erfolgreich gewesen, um zu verhindern, dass die traditionelle Dachlandschaft von neu gebauten Hochhäusern beschädigt werden konnte.

In der westlichen Nachbarschaft des Hotels befinden sich Mausoleen und Moscheen mit blauen, glasierten Kuppeln. Das monumentale Tor-Bauwerk der Freitags-Moschee hat die höchsten Minarette des Iran (die aus dem 14. bis 16. Jahrhundert stammen). In anderen Richtungen breiten sich die Wohnquartiere aus, mehrgeschoßige Lehmbauten mit Innenhöfen und flachen, gewölbten Dachterrassen. Diese kubische Form der Altstadt wird häufig durch die vertikale Bauform der Badgir (Windkamine oder -fänger) akzentuiert und durchbrochen. In Verbindung mit unterirdischen Wasserkanälen wirkt diese Bauform als natürliche Klimaanlage zur Kühlung der Wohnräume im Wüstenklima des Hochlands auf fast 1300 Metern Höhe.

Bedeutend sind auch die Denkmäler der Zoroastrier: die Dakmeh (Türme des Schweigens), also die einstigen Begräbnisstätten im Südwesten der Stadt und der Feuertempel aus dem Jahr 1934. Bis heute ist Yazd eines der Zen-tren dieser alten, vorislamischen iranischen Religion, die nach unterschiedlichen Quellen zwischen 900 und 700 v. Chr. im Westen des Iran entstanden ist.

Städtisches Leben

Ich erkunde Yazd auf längeren Wanderungen durch die ausgedehnte Altstadt, auf schmalen Gassen, in gedeckten Passagen. Das klare Wetter, das ich in der Wüste Kavir und in Naein erlebt hatte, ist vorbei. Eines Morgens beginnz es zu regnen. Das deute auf den Winterbeginn hin, meinen meine Bekannten im Silk Road Hotel, also auf Schnee. Aber der Winter kann sich dort auch mit Sandstürmen ankündigen.

Auf einem dieser Wege im Westen der Stadt komme ich in die alte Vorstadt, passiere einen Turm aus Lehmziegeln, neu renoviert, der einmal Teil der alten Stadtmauer war. Davor steht eine Baumreihe mit gelben Blättern, eine herbstliche Ansicht wie in Europa. Ich folge der Straße weiter nach Norden. Dort gibt es einige Geschäfte, doch ohne jede Geschäftigkeit. Vor einem der Eingänge sitzt ein alter Mann, an der Kante des Gehsteigs vor mir zwei ältere Frauen im grauen "Hejab". Eine Stimme sagt einen Gruß, eine der Frauen antwortet "Allahu akbar". Überrascht gehe ich weiter, denn es ist das erste und einzige Mal in drei Wochen im Iran, dass ich diese islamische Grußormel gehört habe.

Bernhard Widder, geboren 1955 in Linz, lebt in Wien und arbeitet als Schriftsteller, Lyriker, Essayist, Übersetzer und Architekt.