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S&D-Chef Martin Schulz verhehlt Unmut nicht. | Anhänger Barrosos wollen jetzt konkrete Taten sehen. | Straßburg. Kurios begann die Wahl von Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso um 12.06 Uhr am Mittwoch. Auf Antrag des Grünen-Vorsitzenden Daniel-Cohn Bendit verordnete Parlamentspräsident Jerzy Buzek eine Testwahl. Tags zuvor hatte es Probleme mit den Wahlmaschinen gegeben. Und auch jetzt: Einige Stimmabgabemodule versagten den Dienst. "Die Techniker sind unterwegs", sagte Buzek und veranlasste eine "technische Pause."
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Bei der zweiten Testwahl stimmten mit 710 Abgeordneten bereits fast alle Anwesenden ab - und sorgten bei Barroso noch für eine kleine Schrecksekunde. Die 329 gegen 221 Stimmen für ihn hätten zwar für eine Bestätigung gereicht, die absolute Mehrheit wäre jedoch klar verfehlt worden.
Immerhin konstatierte Buzek, dass die Technik jetzt funktioniere. Es folgte gespannte Stille, dann die große Erleichterung: 382 Abgeordnete stimmten für Barroso, 219 gegen ihn, 117 enthielten sich - eine glatte Absolute; höflicher Applaus von Seiten der Europäischen Volkspartei (EVP) und den Liberalen (Alde).
Martin Schulz, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion (S&D), riss sich den Kopfhörer herunter und knallte ihn auf den Tisch. Seit Monaten hatte er vergeblich versucht, die absolute Mehrheit für den Kommissionspräsidenten zu verhindern; zu einem kurzen Händedruck rang er sich gerade noch durch, bevor er vor Journalisten loslegte: "Barroso ist einer der schwächsten Kommissionspräsidenten überhaupt. Er habe "die angebotene Zusammenarbeit der pro-europäischen Kräfte" abgelehnt und damit "eine Tür zugeschlagen." "Nichts mehr" erwarte er von jemandem, der sich auf die Stimmen der "Anti-Europäer" stütze, um eine Mehrheit zu bekommen. Die 55 Stimmen der britischen Tories, der Kaczynski-Partei und der Anhänger des tschechischen EU-Skeptikers Vaclav Klaus seien nämlich ausschlaggebend gewesen.
Weniger geladen gab sich Cohn-Bendit: Grinsend überreichte er dem Kommissionspräsidenten eine Geschenkkorb mit einem "Stopp-Barroso"-T-Shirt, einer Regenbogenfahne zur Erinnerung an die Priorität für den Klimaschutz und eine Sonnenblume. "Ich habe ihm viel Glück gewünscht", erzählte er nachher locker. Die Grünen seien nach der Bestellung der neuen EU-Kommission wieder für politische Auseinandersetzungen offen, sagte Rebecca Harms, Ko-Vorsitzende der Grünen. Deren Verdienst sei, dass "wir Barroso aufgeweckt haben", meinte die österreichische EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger.
"Große Ehre"
Barroso selbst sprach nach dem guten Abstimmungsergebnis von einer "großen Ehre", die ihn "zutiefst berührt" und einer "schweren Aufgabe." Seine Partei werde Europa sein, sagte er. Ausdrücklich bedankte er sich für die Unterstützung der EVP.
Dort löste das gute Ergebnis Erleichterung, aber offensichtlich keine Euphorie aus. Immerhin konnte der liberalkonservative Portugiese eine Zustimmung erzielen, die auch nach dem erhofften Lissabonner Reformvertrag ausreichte. Die von diesem verlangten 369 Stimmen wurden klar übertroffen. Jegliche Zweifel an seiner rechtlichen oder politischen Legitimation, die im Vorfeld etwa von Seiten der Grünen und Sozialdemokraten öffentlich gehegt wurden, sind damit vom Tisch.
Jetzt sei ein energisches Durchstarten unbedingt notwendig, heißt es unter Barrosos Unterstützern. Dieser "muss jetzt das Heft in die Hand nehmen", verlangte EVP-Vizepräsident Othmar Karas. "Wir erwarten jetzt, dass der neu gewählte Präsident seine Versprechen erfüllt und ein starker, kühner und aktiver Präsident ist", erklärte Alde-Chef Guy Verhofstadt. Selbst S&D-Vize Hannes Swoboda relativierte die scharfen Worte seines Vorsitzenden Schulz. "Manche Leute kann man nicht direkt nach einem Ereignis fragen, sondern erst, wenn sich der Zorn etwas gelegt hat", sagte er. Selbstverständlich würden die Gespräche fortgeführt, um in der künftigen Kommission eine sozialdemokratische Handschrift durchzusetzen.
Barroso kündigte an, erst das Referendum über den Lissabonner Vertrag am 2. Oktober abzuwarten, bevor er die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission angehe. Es müsse klar sein, auf welcher Rechtsbasis diese bestellt werde. Durchblicken ließ er bisher lediglich, dass die Bereiche Migration, Grundrechte und Klimaschutz bei der Ressortverteilung deutlich aufgewertet werden.
Siehe auch:Barroso presents goals for 2nd term