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Wut über Aufschub des Schengen-Beitritts

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Debatte über sozialen Missbrauch bei Treffen der Innenminister der EU.


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Brüssel. Die Empfindungen pendeln zwischen Empörung und hilfloser Wut. "Schengen" und "Sozialtourismus" sind zwei Schlagwörter, die in rumänischen Kreisen für Emotionen sorgen. "Wir können so viele sachliche Argumente liefern, wie wir wollen - doch zerschellen sie an politischen Fragen", heißt es aus einer Delegation. Diese Fragen werden einmal mehr beim Treffen der Innenminister der EU debattiert, die am heutigen Donnerstag zu einer Sitzung in Brüssel zusammenkommen. 

Geplant war eine Entscheidung über den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum, in dem Reisen ohne Grenzkontrollen möglich sind. Obwohl die beiden Länder die technischen Voraussetzungen dafür schon seit längerem erfüllen, ist ein Beschluss darüber immer wieder verschoben worden. Und das wird wohl auch diesmal der Fall sein. Denn manche Staaten knüpften zusätzliche Bedingungen an die Mitgliedschaft in der Schengen-Zone: Sie forderten von Bukarest und Sofia beispielsweise noch mehr Bemühungen im Kampf gegen Korruption. Darauf sollen die Niederlande weiterhin pochen. Sie möchten einen weiteren Fortschrittsbericht der EU-Kommission abwarten - der erst für Anfang des nächsten Jahres geplant ist.

In den Positionen habe sich in den letzten Monaten kaum etwas geändert, mussten denn auch die Litauer einräumen, die derzeit den EU-Vorsitz innehaben. So dürfte nicht einmal der so genannte zweistufige Ansatz in sehr naher Zukunft zur Anwendung kommen: Er hätte ermöglicht, zunächst einmal die Kontrollen an den Luft- und Seegrenzen aufzuheben und später an den Landgrenzen.

Britische Blockade-Taktik

Hinter der vordergründigen Vorsicht mancher älterer EU-Mitglieder steckt aber auch etwas anderes, das mit der Schengen-Debatte ebenso wenig verknüpft werden dürfte: die Sorge vor der Migration tausender rumänischer und bulgarischer Bürger. Diese Ängste werden etwa in Großbritannien von manchen Politikern und Medien gezielt geschürt, aber auch in Deutschland gab es eine Diskussion über den möglichen Missbrauch von Sozialleistungen durch eingereiste Unionsbürger. Beide Länder haben ab dem kommenden Jahr jedoch keine Möglichkeit, den Zuzug für Jobsuchende beispielsweise zu verhindern: Am 1. Jänner fallen die letzten Übergangsfristen auf dem Arbeitsmarkt für Rumänen und Bulgaren.

Dennoch hat der britische Premierminister David Cameron eine Idee zur Einschränkung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit parat. In der Vorwoche sorgte er in Rumänien und in der EU-Kommission mit der Ankündigung für Aufruhr, sein Land wolle Einwanderern aus EU-Ländern in den ersten drei Monaten keine Arbeitslosenunterstützung gewähren und auch Kürzungen beim Wohngeld vornehmen.

Das Thema steht ebenfalls auf der Agenda des Innenminister-Treffens. Schon zuvor hat die Kommission an den Versuchen, das EU-Recht auf Bewegungsfreiheit zu beschränken, heftige Kritik geübt. Nun präsentiert sie ihren Schlussbericht, der die Diskussion um Sozialmissbrauch stark relativiert. Aus der Untersuchung geht hervor, dass der Prozentsatz eingereister EU-Bürger, die Sozialleistungen erhalten, weit geringer ist als bei Einheimischen. In den meisten Mitgliedstaaten zahlen Migranten vielmehr in die Sozialsysteme ein, als sie daraus erhalten.

Hilfe für Mittelmeerstaaten

Auch mit den Folgen illegaler Einwanderung sollen sich die EU-Politiker beschäftigen. Zwei Monate nach der Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa, wo hunderte Menschen ertrunken sind, präsentierte die EU-Kommission einen Maßnahmenkatalog. Der sieht unter anderem mehr Geld zur Unterstützung der südlichen Mittelmeerstaaten vor: So erhält Italien 30 Millionen Euro, unter anderem für Grenzüberwachung.

Doch gäbe es auch andere Mittel, Menschen von einer riskanten Überfahrt abzuhalten: durch die Möglichkeit, Asyl oder ein humanitäres Visum noch außerhalb der EU beantragen zu dürfen. Dagegen wehren sich aber einige EU-Staaten - Österreich gehört zu dieser Gruppe.