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Barton sieht am IST die große Chance, ohne bürokratische Zwänge zu forschen. | Selektion ist flotter als die Evolution. |
§§"Wiener Zeitung": Wie fühlt es sich an, der erste Wissenschafter am IST zu sein? * | Nick Barton: Es ist aufregend und Respekt einflößend zugleich.
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Ich kam, als die Bauarbeiten begonnen haben, letzten August. Glücklicherweise gibt es ein exzellentes Verwaltungsteam, das dieses neue Projekt zum Erfolg führen möchte und mir half, mich hineinzufinden.
Wie wird das IST international wahrgenommen - und warum wollten Sie hierherkommen?
Noch ist das IST Austria kaum bekannt. Aber wir werden uns schnell einen guten Ruf aufbauen - in mehreren Forschungsfeldern. Ich bin hierher gekommen, weil das IST die Grundlagenforschung wirklich unterstützt, und zwar ohne derartige bürokratische Zwänge, wie sie sich im Vereinigten Königreich angesammelt haben.
Außerdem gehört der Raum Wien zu den weltbesten Forschungszentren in der Evolutionsbiologie.
Sind Sie das erste Mal bei der Gründung eines Instituts dabei? Was sind die Chancen und Risiken solch einer neuen Einheit??
Ich war noch nie bei einer Gründung dabei, sondern ich war am University College in London, das 1826 gegründet wurde, sowie an der Universität Edinburgh, die es seit 1580 gibt - für mich ist das also eine Veränderung hier. Ich sehe die Chance, unterschiedliche Forschergruppen zusammenzubringen und Brücken zu bauen zwischen verschiedenen Disziplinen.
Welche Forschungskooperationen sind für Sie am interessantesten?
Ich möchte vor allem mit Informatikern kooperieren - einerseits weil ich selbst in meinen theoretischen Arbeiten die Evolution auf dem Computer simuliere, und andererseits weil die Prinzipien der Evolution in Computerprogrammen zum Einsatz kommen. Interessante Ergebnisse könnte auch die Zusammenarbeit mit Entwicklungsbiologen und Genetikern bringen, denn die Art und Weise, wie die Evolution fortschreitet, hat viel mit der Struktur von Organismen zu tun.
Wie viele Wissenschafter arbeiten bereits in ihrem Team und was ist Ihr erstes Forschungsprojekt am IST?
Derzeit habe ich zwei Forscher hier, weitere werden im September die Arbeit aufnehmen. Meine Gruppe macht theoretische Studien über die Grenzen der Arten und darüber, wie man anhand von Prinzipien der Selektion bessere Computerprogramme entwerfen kann. Es wird auch eine Studie geben über die Weitergabe von Genen bei Alpensteinböcken und eine zur Entwicklung der Farben und Formen von Löwenmäulchen.
Was ist Ihre neueste, innovative Entdeckung?
Eine faszinierende Erkenntnis ist, dass der Geschwindigkeit der Evolution Grenzen gesetzt sind durch die Anzahl der verbesserten Gen-Kombinationen, die möglich sind. Diese Obergrenze ist aber unabhängig von der Anzahl der Gene oder von der Stärke der Selektion.
Wozu ist es gut, dass der Evolution solche Grenzen gesetzt sind?
Das Außergewöhnliche ist, dass eine derartige Diversität bei den komplexen Organismen rein durch die Mechanismen der natürlichen Selektion entstehen konnte. DNA kann mit einer Fehlerquote von unter eins zu einer Milliarde vervielfältigt werden, Zellen gliedern sich zu Walen oder Bäumen oder Gehirnen, die über diese Dinge nachdenken können.
Es ist also nur natürlich, sich zu fragen, wie schnell genau das natürliche Auswahlverfahren die genetische Information aufbauen kann, die diese komplexen Codes enthält. Wie konnte das alles in den letzten vier Milliarden Jahren zu Stande kommen? - Weil, wie sich zeigt, die Selektion schneller ist als die Evolution. Nehmen wir verschiedene Haustier-Arten: Es gibt viel mehr Hunderassen als es Rassen gibt bei den wilden Säugetier-Arten, obwohl die Hunderassen erst vor ein paar tausend Jahren entstanden sind.
Menschen in westlichen Ländern bekommen immer später Kinder, was weitgehend auf gesellschaftlichen Veränderungen beruht. Doch die Dauer des fruchtbaren Alters hat sich nicht verändert - daher kommen heute weniger Kinder zur Welt. Warum spielt die Selektion nicht mit und justiert das fruchtbare Alter weiter nach hinten?
Der "demographische Wechsel" in Richtung weniger Kinder zu einem späteren Zeitpunkt im Leben ist evolutionär gesehen ein sehr junges Phänomen, es ist erst ein paar Generationen alt. Niemand würde erwarten, dass die Selektion einen Effekt hätte in so kurzer Zeit. Es kann aber gut sein, dass sich die Geschichte der Menschheit verändert - aber über Tausende von Jahren. Gesellschaftliche und kulturgeschichtliche Veränderungen und menschliche Einflussnahmen auf das Klima sind viel schneller spürbar.
Bis die Evolution reagiert, sind wir vielleicht ausgestorben. Hat der Mensch die Evolution überholt - wurde er zu schnell für die Evolution?
Natürlich: Das Schicksal fast aller Arten ist das Aussterben. Die natürliche Selektion garantiert nicht das Überleben. In jedem Fall werden evolutionäre Veränderungen viel langsamer eintreten als die unmittelbaren Probleme, vor denen wir jetzt stehen.
Zur PersonNicholas "Nick" Barton, 1955 in London geboren, studierte Genetik an den Universitäten Cambridge und East Anglia. Er war am University College London tätig, 1990 ging er an die Universität Edinburgh. Der mehrfach ausgezeichnete Forscher hat für seine Evolutionsforschung häufig mathematische Ansätze angewendet. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Evolution von Populationen, die einer natürlichen Selektion vieler Gene unterliegen. Er hat wesentlich zum Wissen über die Anpassung der Arten und die Aufspaltung in neue Arten beigetragen.