Sepp Rieder (64) ist Vizebürgermeister, Finanz- und Wirtschaftsstadtrat sowie Chef der Wiener Stadtwerke. Der gelernte Jurist startete als enger Mitarbeiter von Justizminister Christian Broda, war ab 1983 SP-Justizsprecher im Parlament und von 1989 bis 2000 Gesundheitsstadtrat.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": Immer weniger Menschen finden in Wien einen fixen Job, immer weniger können davon leben. Wohin führt diese Entwicklung?
Sepp Rieder: Dieses Problem haben wir nicht nur in Wien, wenngleich es hier konzentriert auftritt, es breitet sich aber bundes- und EU-weit aus: Die Wirtschaft verzichtet auf ihrem Weg der Rationalisierung zunehmend auf die Formen des Fix- und Vollzeit-Mitarbeiters und ersetzt ihn durch Teilzeit- oder geringfügig Beschäftigte. Wien hat mit 41.000 solcher Dienstnehmer im Vergleich zu bundesweit 217.000 einen nicht überdurchschnittlich hohen Anteil von 21 Prozent.
"Wiener Zeitung": Was will Wien dagegen tun?
Sepp Rieder: Wir können den Menschen durch Unterstützungen helfen, die akutesten Mängel an Lebenssicherung auszugleichen, aber eine dauerhafte Lösung wird ohne das Zutun der Wirtschaft kaum möglich sein. Bei allem Verständnis für die herrschende Konjunkturflaute: Diese neuen Beschäftigungsformen gehen extrem zu Lasten von Berufsaus- und -weiterbildung, vor allem bei jungen Menschen und Frauen. Das wiederum führt innerhalb relativ kurzer Zeit zu einem Qualitätsabbau zigtausender Arbeitskräfte und damit zu einer Qualitätsminderung der ganzen Wirtschaftsregion.
"Wiener Zeitung": Wie passt da die Schaffung des "Fonds Soziales Wien" dazu?
Sepp Rieder: Eine Stadt wie Wien kann nicht alles auf dem Sozial- und Pflege-Sektor selbst tun, sondern muss sich privater Anbieter bedienen. Organisationen wie Caritas, Volkshilfe oder Heilsarmee wurden ja schon bisher von uns beschäftigt, allerdings in einem zu Recht kritisierten, starren System, das bisher alljährlich in gleichem Umfang beauftragt hat, ohne ausreichende und regelmäßige Leistungs- und Qualitäts-Standards vorzugeben.
"Wiener Zeitung": Und das soll sich durch eine weitgehende Auslagerung ändern? Ist da nicht erst recht Wildwuchs Tür und Tor geöffnet?
Sepp Rieder: In jenen Bereichen, wo es gilt, verbindliche und notfalls einklagbare Ansprüche für die Betroffenen zu schaffen, also das Kernstück der Basisversorgung, behält sich die öffentliche Hand ja das Entscheidungsrecht vor. Bei der Art der Leistung selbst sollte sich die Politik heraushalten, das regelt sich durch den freien Wettbewerb am besten. Kompetenzen werden etwa dort abgegeben, wo sich durch Überschneidungen schon teils skurrile Situationen ergeben haben, etwa durch Konkurrenzierungen städtischer Diplomkrankenschwestern mit anderen Hilfsdiensten bei der Heimkrankenpflege. Sowas hört sich dann auf.
"Wiener Zeitung": Viele Mütter, die Arbeit haben, beklagen das Fehlen von adäquaten Kinderunterbringungs-Möglichkeiten. Werden Ganztagsschulen mehr Geld bekommen?
Sepp Rieder: Wien hat auf die hohe Frauenbeschäftigungs-Quote meiner Meinung nach gut reagiert und eine Reihe von Angeboten geschaffen: Neben Ganztagsschulen stehen auch Horte und andere von der Stadt geförderte Betreuungseinrichtungen zur Verfügung. Für die heuer von dieser Situation betroffenen 6.300 Kinder im Pflichtschulalter ist damit ausreichend vorgesorgt. Ich sehe derzeit keinen Engpass.
"Wiener Zeitung": Das Thema Volksgaragen hat in den letzten Monaten die Gemüter erhitzt. Die Gegner stört auch die hohe Förderung von 22.000 Euro pro Garagenstellplatz.
Sepp Rieder: Wir verwenden die jährlich anfallenden rund 45 Millionen Euro aus der Parkraumbewirtschaftung auch zur Förderung von Volksgaragen - das ist legitim, wenn es gilt, durch Verkehr öffentlich überbeanspruchten Raum zu entlasten.
"Wiener Zeitung": Aber warum gerade für Garagenneubau soviel öffentliche Mittel?
Sepp Rieder: Wir fördern ja genauso die öffentlichen Verkehrsmittel. Was die Höhe betrifft, so hätte es innerhalb der EU schon längst Proteste gegeben, wenn sie nicht gerechtfertigt wäre. In Wien ist es im Gegensatz zu anderen Städten nicht so, dass die Leute gerne und automatisch in Garagen fahren. Da können wir also nur versuchen, dies über den Preis zu regulieren und bei dem von uns festgelegten Tarif von 72,5 Euro Monatsdauermiete ist eine solche Garage kaum gewinnbringend zu führen. Und gerade in den besonders verkehrsgeplagten Stadtvierteln ist es gar nicht einfach, überhaupt einen Betreiber zu finden. Und gefördert wird ohnehin nur in solchen Bereichen.
"Wiener Zeitung": Beim öffentlichen Verkehr muss aber auch kräftig investiert werden. Aber kann Wien diese Aufgaben weiterhin finanzieren?
Sepp Rieder: Das ist der zentrale Punkt: Der Nahverkehr in den Ballungsräumen ist in den letzten Jahren dermaßen stark angestiegen, dass die Städte mit den bisherigen Finanzierungs-Methoden kein Auslangen mehr finden. Da geht es Graz, Linz oder Innsbruck in der Relation genauso wie Wien.
"Wiener Zeitung": Welche Einkommensquellen sehen Sie da? Bürgermeister Häupl hat ja der City Maut kürzlich eine Absage erteilt.
Sepp Rieder: Angesichts hunderttausender Pendler Tag für Tag werden wir um eine ernsthafte Diskussion zur gerechteren Mittelaufteilung nicht herumkommen, hier muss auch der Bund handeln.
"Wiener Zeitung": Womit wir beim Schuldenmachen wären: Wie sehen Sie Wiens Rolle bei der Erfüllung des Stabilitätspaktes der EU?
Sepp Rieder: Mit den Stabilitätskriterien der EU habe ich weniger Schwierigkeiten als mit denen der Bundesregierung, wenngleich diese sich zum Glück vom unsäglichen Nulldefizit zu verabschieden scheint. Ich bekenne mich ausdrücklich zum stabilen Haushalt. Wir wollen keine Politik machen, die Schuldenmachen als Problemlösung ansieht. Es muss allerdings möglich sein, in Zeiten von Konjunkturschwächen diese Stabilitätsgrenzen kurzfristig zu überschreiten. Generell sind wir in Österreich aber noch vergleichsweise gut dran: Etliche unserer EU-Nachbarn können von den drei Prozent vom Brutto-Inlandsprodukt als Schuldenhöchstgrenze ja nur träumen.
Das Gespräch führte Werner Grotte