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Von Königsberg bis Kamtschatka wird in dem Riesenreich Russland mit elf Zeitzonen elf Mal auf das Jahr 2000 angestoßen · und elf Mal gezittert. Ministerien und Unternehmen warnen die 147 Millionen | Bewohner Russlands jedoch unermüdlich vor übertriebener Panik und Hysterie wegen des kritischen Zeitensprungs in das Jahr 2000.
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Der landesweit größte Stromerzeuger EES Rossii rief die Bevölkerung auf, das Neue Jahr nicht massenhaft mit Kerzen zu begrüßen, sondern Licht und Strom anzulassen. Andernfalls drohten den
Elektrizitätswerken nicht etwa wegen des Jahr-2000-Problems, sondern wegen des drastisch sinkenden Stromverbrauchs "echte Störungen".
"Stop" lautet das Signal für die Metros in Moskau und Sankt Petersburg kurz vor 00.00 Uhr. Zehn Minuten müssen die U-Bahnen in den Stationen stehen · wer dann noch im Waggon sitzt, sollte eine
Flasche "Schampanskoje" dabei haben.
Auf Flughäfen werden computergesteuerte Sicherheitssysteme von Menschen "gedoubelt", wie es auf russisch heißt. Die russische Fluggesellschaft Transaero lässt am 1. Jänner alle Maschinen im Hangar,
angeblich "aus rein wirtschaftlichen Gründen". Am ersten Tag des Jahres fliege in Russland ohnehin niemand. Der Flughafen in der litauischen Hauptstadt Vilnius bleibt am Neujahrstag ganz geschlossen,
ebenso der in Usbekistans Hauptstadt Taschkent. In Kiew empfahl die Regierung allen Fluggesellschaften, in der Silvesternacht nicht über ukrainisches Territorium zu fliegen. Das russische
Transportministerium erwartet offensichtlich Schlimmes: Zwei Minuten vor dem Jahreswechsel müssen alle russischen Frachter, egal auf welchem Weltmeer sie schwimmen, für einige Minuten die Anker
werfen.
Ruhig Blut bewahren dagegen die Generäle der russischen Raketenstreitkräfte. Militärexperten der USA und Russlands werden in einem eigens in Colorado eingerichteten Sicherheitszentrum die Atomraketen
beider Länder überwachen. Auch die russischen Kernkraftwerke werden gemeinsam per Videokonferenz überwacht.
Westliche Botschaften in Moskau empfahlen ihren Landsleuten, Russland zur Jahrtausendwende zu verlassen. Wer in Moskau bleiben müsse, solle sich genug Bargeld besorgen. Und falls der Strom ausfalle,
gelte die alte russische Regel: Lebensmittel kann man im Winter auch auf dem Balkon lagern.
An mittlere Katastrophen sind die Russen längst gewöhnt. Im Fernen Osten wird der Strom wegen Energiemangels auch ohne das Problem 2000 stundenlang am Tage abgestellt. Und Larissa Brusnikina aus
Sankt Petersburg meint: "Bei uns wird das Wasser so oft abgedreht, dass wir sowieso immer einen vollen Kübel in Reserve in der Ecke stehen haben."