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Yasser Arafat: Ein ewig Gejagter mit dem "Spürsinn eines Hundes"

Von Michael Schmölzer

Politik

Israels Ministerpräsident Ariel Sharon bezeichnete ihn jüngst als "unseren Osama Bin Laden" und schloss nicht aus, PLO-Chef Yasser Arafat in naher Zukunft aus den Autonomiegebieten zu vertreiben. Eine umfassende Militäroperation gegen die palästinensische Selbstverwaltungsbehörde sei ebenfalls im Bereich des Möglichen, so der ehemalige Verteidigungsminister und Ex-General. Seit nach den blutigen Anschlägen der letzten Wochen in Israel die Hoffnung auf Frieden verschwunden ist, haben die Scharfmacher wieder das Sagen: Erst vergangene Woche wurde im israelischen Sicherheitskabinett beschlossen, das Militär zu einem härteren Vorgehen gegen militante Palästinenser zu ermächtigen.


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Dass von den bevorstehenden israelischen Aktionen nicht nur Extremisten der Hamas und des "Islamischen Heiligen Krieges", sondern auch Yasser Arafats engere Umgebung oder gar er selbst betroffen sein könnte, scheint also nicht unwahrscheinlich. Dazu kommt, dass den PLO-Chef mit Israels jetzigem Ministerpräsident alles andere als eine langjährige Freundschaft verbindet: So war es im Jahr 1982 kein anderer als Ariel Sharon, damals Verteidigungsminister, der Arafat in der libanesischen Hauptstadt Beirut an den Kragen wollte, wobei er mit diesem Vorhaben kläglich scheiterte.

"Sechster Sinn"

Dass sein Tod von politischen Gegnern bewusst in Kauf genommen wird, ist für den mittlerweile ergrauten, unter der Parkinson-Krankheit leidenden Arafat beileibe kein neues Gefühl: Das Leben des gerissenen Kämpfers, der den Großteil seiner politischen Laufbahn außerhalb desjenigen Landes, um das er seit Jahrzehnten kämpft, verbracht hat, war permanent in Gefahr. Ein Umstand, der die Sinne des 1,60 Meter kleinen PLO-Chefs nachhaltig geschärft haben mag. So ist Arafats Geschick, dem Tod zu entkommen, unter den Palästinensern bereits legendär: Aussagen vieler seiner Mitarbeiter belegen, dass Abu Amar - so Arafats Deckname während seiner kriegerischen Vergangenheit - oft mitten in einer Besprechung aufgesprungen ist und seine Mitarbeiter zum fluchtartigen Verlassen des Konferenzraumes aufgefordert hat. Dass der PLO-Chef damit alle Attentatsversuche überstanden hat, verdankt er einer diffusen Intuition. Er selbst verglich diesen Instinkt einmal mit dem "Spürsinn eines Hundes".

Dutzende seiner Mitstreiter innerhalb der PLO hatten weniger Glück und sind eines gewaltsamen Todes gestorben. Teils wurden sie von der israelischen Armee oder dem Mossad ausgeschaltet, teilweise fielen sie internen Intrigen zum Opfer. Vor allem die Anführer der radikalen palästinensischen Splittergruppen leben gefährlich: Erst letzte Woche enthüllte die israelische Zeitung "Yediot Aharonot", dass die israelische Armee 26 solcher Palästinenser auf eine "Todesliste" gesetzt hätte. Exekutionsanordnungen, die unter dem Vorsitz von Ariel Sharon abgesegnet worden seien, so die Zeitung. Die vom israelischen Inlandsgeheimdienst "Shin Beth" und dem Militärgeheimdienst zusammengestellte Namensliste soll es vor allem auf Mitglieder der von Arafat gegründeten Fatah-Bewegung sowie der radikalen Organisationen Hamas und "Islamischer Heiliger Krieg" abgesehen haben.

Kriegsgegner Sharon

Vor knapp zwei Jahrzehnten war es noch Arafat selbst, der auf der Liste der Todeskandidaten ganz oben stand. Damals waren Ariel Sharon und Yasser Arafat erbitterte Kriegsgegner. Auslöser für die Kämpfe war, dass sich die PLO in den Jahren nach 1976 in Beirut und im Süden des intern zerstrittenen Libanon militärisch festgesetzt hatte. Bereits 1979 waren diese Stellungen durch die israelischen Streitkräfte aufgerieben worden. Eine behauptete "direkte Gefährdung" der Siedlungen in Nordisrael lag also nicht mehr vor - dennoch konnte Ariel Sharon am 16. Juli 1981 im Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Menachem Begin durchsetzen, dass die Befehlsstruktur der PLO in Beirut durch gezielte Luftangriffe zerstört werden müsse. Ab dem 20. Mai 1982, als Ariel Sharon bei US-Außenminister Alexander Haig gewesen war, um sich der Rückendeckung durch die USA zu versichern, wartete der für seine Ungeduld bekannte Haudegen auf einen geeigneten Anlass, um im Libanon einmarschieren zu können. Der bot sich ihm durch die Ermordung des israelischen Botschafters Shlomo Argov in London durch Terroristen Abu Nidals am 3. Juni 1982.

Arafat liquidieren

Am 4. Juni griff die israelische Luftwaffe den Beiruter Stadtteil Fakhani an, in dem Arafat seinen Befehlsbunker hatte. Permanent kreisten Kampfflugzeuge über der Stadt, um den Palästinenserführer aufzuspüren und zu liquidieren. Ariel Scharon war persönlich daran interessiert, den hartnäckigen Araber aus der Welt zu schaffen. Der versuchte inzwischen der drohenden Gefahr zu entrinnen, indem er ständig seinen Aufenthaltsort wechselte. Im August 1982 flog schließlich genau das Bürohaus in die Luft, in dem Arafat kurz zuvor eine Besprechung abgehalten hatte.

Arafat entkommt

Gleichzeitig mit den Luftangriffen begannen die Israelis mit dem Einmarsch ihrer Bodentruppen. Die anschließende Belagerung von Beirut und Fernsehbilder, die das Elend der Zivilbevölkerung dokumentierten, ließ den von Scharfmacher Sharon propagierten "Kampf gegen Terroristen" immer fragwürdiger erscheinen. Letzte verzweifelte Versuche der Israelis, im August 1982 doch noch mit Panzern zum Zentrum des palästinensischen Widerstandes vorzudringen, scheiterten. Arafats diplomatische Bemühungen hatten Erfolg, über Intervention der Amerikaner konnte er schließlich ungeschlagen aus dem umzingelten Beirut abziehen.

Arafats diplomatischer Schläue ist es auch zu verdanken, dass er ein Jahr später mit dem Leben davon kam. Die Gefahr ging diesmal nicht von den Israelis, sondern den eigenen Reihen aus. Die Probleme begannen damit, dass Arafat nach seinem "ehrenhaften" Abzug aus Beirut gegenüber Israel zunehmend die Bereitschaft zu einer Kompromisslösung erkennen ließ. Mit dieser Haltung zog er sich die Feindschaft der radikalen, syriennahen Fraktionen der PLO zu, die ihm "Verrat" vorwarfen. Anfang Mai 1983 brach eine offene Meuterei gegen Arafat in der ostlibanesischen Stadt Tripoli aus. Mit syrischer Unterstützung konnten die Rebellen rasch an Terrain gewinnen und im November 1983 war der PLO-Chef erneut von Gegnern eingeschlossen. Auf Druck Saudi Arabiens, Jordaniens und nicht zuletzt der USA, konnte Arafat am 20. Dezember 1983 doch noch auf griechischen Schiffen unter dem Schutz französischer Marineeinheiten einer drohenden Vernichtung entkommen.

Zufall oder Vorsicht?

Glücklichen Umständen - oder seiner unglaublichen Vorsicht - verdankt es Arafat, dass er auch den 1. Oktober 1985 überlebte. Nach einer Reihe von Terroranschlägen war das Klima zwischen Palästinensern und Israelis wieder einmal an einem Tiefpunkt angelangt. Das Fass zum Überlaufen brachte die Ermordung dreier Israelis auf auf einer Jacht in Zypern. Die israelische Führung beschuldigte die "Force 17", Arafats Leibgarde, die Bluttat begangen zu haben. Die Palästinenser behaupteten im Gegenzug, die Opfer seien von Mossad-Agenten beseitigt worden. In einer Vergeltungsaktion bombardierten am 1. Oktober acht israelische F-16 Jets das 5.000 Kilometer von Israel entfernte PLO-Hauptquartier in Hamman al-Schat, einem Vorort von Tunis. Bei dem Angriff wurden 38 Menschen getötet. Der Überlebenskünstler, dem der Angriff in erster Linie gegolten hatte, war allerdings nicht darunter. Arafat hatte nach langen Gesprächen in der abgelegenen Villa seines Stellvertreters genächtigt.

Absturz in Libyen

Am 7. April 1992 wurde Arafats Glück erneut auf eine harte Probe gestellt. Der PLO-Chef, permanent in Sachen internationaler Kontaktaufnahme unterwegs, geriet mit einem geliehenen Jet in der libyschen Wüste in einen Sandsturm, der Pilot musste notlanden. Arafats Leibwächter sollen in den Minuten vor dem Unglück ihren Chef mit Decken und Polstern umwickelt haben. Drei der elf Insassen kamen bei der Landung ums Leben, Arafat selbst wurde nur leicht verletzt, später musste ihm allerdings ein Blutgerinnsel, dass er sich bei dem Unglück zugezogen hatte, aus dem Kopf entfernt werden.

Nobelpreis schützt auch nicht

Nach der Unterzeichnung des sogenannten "Osloer Friedensabkommens" 1993 in Washington und der Verleihung des Friedensnobelpreises 1994, schienen sich endlich ruhigere Zeiten für Arafat abzuzeichnen. Dennoch wurde es noch zweimal für den nunmehrigen Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde brenzlig: Im Oktober des Vorjahres beschossen israelische Kampfhubschrauber Ziele nahe Arafats Sitz in Gaza, Ende April 2001 erschütterte eine schwere Explosion das Gebäude gegenüber Arafats Hauptquartier in Ramallah, in dem der Fatah- Führer Marvan Berguti wohnte.

Der PLO-Chef überstand auch diese Angriffe unverletzt. Sein Sprecher meinte, er hätte sich in beiden Fällen an einem nicht näher bezeichneten, sicheren Ort aufgehalten.