Mit seiner neuen Scheckbuchdiplomatie hebelt China das Bretton-Woods-System aus.
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Peking. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist so etwas wie der Feuerlöscher im globalen Finanzsystem. Wenn es irgendwo brennt, springt der IWF ein. An Brandherden mangelt es derzeit nicht (siehe Griechenland). Doch immer öfter reagiert China auf den Feueralarm. Zunächst griff es dem bankrotten Argentinien unter die Arme. Dann versorgte es Russland in der Rubelkrise mit frischem Geld. Und schließlich rettete es Venezuela mit Krediten vor der Staatspleite. Die Regierungen haben nun eine Alternative zum IWF: China.
Seit 2007 haben chinesische Banken Venezuela Kredite in Höhe von 50 Milliarden Dollar gewährt. Anfang des Jahres empfing der chinesische Staatspräsident Xi Jinping seinen venezolanischen Amtskollegen Nicolás Maduro in Peking. Bei dem Treffen wurde ein 20 Millionen Dollar schweres Investitionspaket beschlossen. Russland, das wie Venezuela unter dem Verfall des Ölpreises leidet, gewährte China Kredite über 30 Milliarden Dollar. Das Reich der Mitte öffnet die Geldschleusen. "Yuan für alle", schrieb der britische Economist.
Geld ohne Auflagen
In beiden Fällen wurden die Hilfen ohne Auflagen gewährt. "Weder Argentinien noch Russland hätten vom IWF Gelder ohne strikte Fiskalbedingungen bekommen", sagt Daniel McDowell, Professor für Politikwissenschaft an der Syracuse University, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "In dem Maße, wie Chinas Großzügigkeit es Argentinien ermöglichte, die Turbulenzen an den Finanzmärkten zu überstehen und vielleicht auch Russland ermöglichen wird, untergraben diese Anstrengungen den Währungsfonds." Wo der IWF harte Sparmaßnahmen fordert, zückt China kurzerhand das Scheckbuch. Gleichwohl: Nur aus Nächstenliebe vergibt Peking keine Darlehen - dahinter stecken knallharte Interessen. So sichert sich das Reich der Mitte lukrative Bauaufträge oder Förderkonzessionen für Rohstoffe.
Experten befürchten, dass mit der Kreditvergabe an Paria-Staaten die Sanktionen des Westens unterlaufen werden könnten - und damit nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch politische Ordnung durcheinander gewirbelt würde. "Langfristig dürften diese Vereinbarungen die Rolle des IWF schwächen, Reformen im Austausch gegen Finanzierung zu verlangen", schätzt McDowell. "Viel wichtiger ist aber, dass China Swaps als Mittel nutzt, um Gegner der EU und USA zu unterstützen."
Bei Swaps handelt es sich um einen Währungsaustausch. Seit 2008 hat China sogenannte Swapgeschäfte im Wert von 500 Milliarden Dollar mit 30 verschiedenen Ländern, von Kanada bis Pakistan, abgeschlossen, die den Vertragsparteien Zugriff auf Yuan-Währungsreserven gewähren. "Das könnte den Effekt haben, dass die Verhandlungsmacht des Westens geschwächt wird", so McDowell. Währungsswaps mit China gelten als besonders attraktiv, weil sie den Staaten erlauben, Handelsgeschäfte mit China in Yuan anstatt in Dollar abzuwickeln. Das ist effizienter und spart Transaktionskosten.
Brics-Staaten wollen mitreden
Zwar ist der Yuan noch immer nicht voll konvertibel und wird es die nächsten Jahre auch nicht sein. Doch China baut seine Rolle als "lender of the last resort" aus. Vergangenes Jahr hat China zusammen mit Russland, Brasilien, Indien und Südafrika (sogenannte Brics-Staaten) die New Development Bank als Gegenmodell zur Weltbank und zum IWF gegründet. Die Brics-Staaten, die 40 Prozent der Weltwirtschaft repräsentieren, wollten die Stimmrechte im IWF nicht länger akzeptieren und bei künftigen Finanzmarktarchitektur ein wichtiges Wort mitreden. Die Bank mit Sitz in Schanghai ist mit einem Kreditvolumen von 50 Milliarden Dollar ausgestattet. Allein China hortet Währungsreserven von mehr als drei Billionen Dollar. Die USA sind bei China mit mehr als einer Billion Dollar verschuldet. Die US-Staatsanleihen, die der chinesische Staat besitzt, sind sozusagen das Faustpfand der Exportindustrie.
China verfolgt mit seiner expansiven Geldpolitik nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Interessen. Das Ziel der Kreditvergabe an Russland und Argentinien ist es, eine Allianz gegen die USA zu schmieden. Die anti-amerikanischen Töne aus den Nehmerländern ("Pleitegeier", "Diktat") sind dieser Tage kaum überhörbar. Trotzdem glaubt Politikprofessor McDowell nicht, dass Kredite ohne Auflagen die Regel sein werden. "Ich sehe nicht, dass Peking Geld zum Nulltarif vergibt." Die Gewährung von Krediten ohne Auflagen ist nicht ohne Gefahr - das Ausfallrisiko in Russland und Argentinien ist groß. Argentinien wurde von den Rating-Agenturen auf Ramschniveau herabgestuft.
Eine Gefahr besteht auch darin, dass China seine Kapitalkontrollen senkt. Selbst der IWF, der sonst schnell bei der Hand ist, finanzielle Reformen einzufordern, mahnte zu Vorsicht. Die Kapitalausflüsse erreichten im dritten Quartal 2014 einen Rekordwert von 63 Milliarden Dollar. Hinzu kommt, dass sich die Wachstumsaussichten in China in den vergangenen Monaten eintrübten. Es könnte also durchaus sein, dass den chinesischen Feuerlöschern auf Dauer das Wasser ausgehen wird.