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Yukio Mishimas Apotheose der Selbstenthauptung

Von Oliver vom Hove

Reflexionen
Nationalistisch, kaisertreu, besessen von Blut: Yukio Mishima (1925-1970).
© Bettmann Archive

Vor 50 Jahren setzte der japanische Autor seinen Suizid in einer dramatischen Geste um. Radikalität und Gewalt bestimmten auch seine Texte.


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Ein Muskelprotz mit hocherhobenem Säbelschwert, den Nacken gespannt, das Gesicht zu einer martialischen Fratze der Kampfbegier verzerrt - so hat sich der japanische Schriftsteller Yukio Mishima in seinen letzten Lebensmonaten abbilden lassen, kurz vor seinem Suizid vor 50 Jahren durch Seppuku, das traditionelle Selbsttötungsritual der Samurai-Lehre, das aus Bauchaufschlitzen und Enthauptung durch einen Gefährten besteht.

Es gibt wohl kaum ein Schriftstellerporträt der Weltliteratur, das eine solch wollüstige Selbstentstellung in Kriegerpose widerspiegelt, wie es auch keine Biographie eines Dichters vom Range Mishimas gibt, die in ein derart blutrünstiges Hinschlachten des eigenen Körpers mündet. Gewiss, Mishima hat seinen Tod als politischen Aktionismus inszeniert: Als er am Vormittag des 25. November 1970 mit einer Handvoll Getreuer, in theatralisch-lächerliche Fantasieuniform gekleidet, das Armeehauptquartier des Tokioter Verteidigungsministeriums stürmte, den kommandierenden General gefangen setzte und vor dessen Augen mit seinem engsten Vertrauten Morita den Doppelsuizid wie ein Schauspiel vollzog, rechtfertigte er seine Tat öffentlich als Protest gegen die aushöhlende Säkularisierung der Theokratie Japans.

Nach Mishimas Meinung gipfelte diese Profanierung in der Erklärung des Kaisers zu Kriegsende, er sei nicht länger der Gott seiner Untertanen, sondern ein sterblicher Mensch. Der Nationalist und Kaisertreue der extremen Rechten Mishima mochte die "Entheiligung" und fortschreitende Demokratisierung der japanischen Gesellschaft, auch ihren Materialismus, nicht hinnehmen, und das Hagakure, eine Art stoische Verweigerungsethik der Samurai aus dem 18. Jahrhundert, die er kommentiert herausgegeben hatte, bot ihm dafür die restaurative Grundlage.

Todessehnsucht

Doch war der Suizid, präzisionsgenau ausgeführt nach allen Regeln des Ehrenkodex, tatsächlich das, wofür er sich ausgab, nämlich eine politische Tat, ein sittliches Fanal? In ihrem so kenntnisreichen wie um Sympathie für den Autor bemühten Essay "Mishima oder Die Vision der Leere" versuchte die belgisch-französische Autorin Marguerite Yourcenar, den Vorwurf faschistischer, auf einen reaktionär-feudalistischen Imperialismus fixierter Gesinnung als vorschnelle "westliche" Deutung von Mishimas Handeln abzutun. Alle Taten, heißt es in dem von Diesseitsverachtung durchtränkten "Hagakure", münden in den Tod; und nicht ein Tod als biologischer Sterbefall, sondern erst der aus freier Entscheidung gewählte Tod verspricht hierarchisch beglaubigte Größe.

Indes, selbst wenn man die - angesichts der Kriegerposen Mishimas vor Film- und Fernsehkameras - sich aufdrängenden psychologischen Erklärungsmuster wie Selbsthass und krankhafter sozialer Ehrgeiz, kompensiert durch körperlichen Exhibitionismus, beiseite lässt, bleibt noch immer das vielbändige Werk des Schriftstellers Mishima. Darin flackert, wenig überraschend, überall der Todeswunsch, meist explizit der Selbsttötungswunsch, auf.

Bereits in seinem allerersten Roman, "Tozoku" ("Diebe"), ließ der 21-jährige Mishima 1946 zwei Aristokraten der Faszination des Suizids verfallen. Mit dem Jugendroman "Bekenntnisse einer Maske" erlangte der Autor schließlich 1949 den internationalen Durchbruch. Das Buch stellt ein literarisch bemerkenswert gelungenes Bekenntnis zur erwachenden Homosexualität eines jungen Knaben dar. Die stark autobiographisch gefärbte psychologische Studie enthüllt mit verstörender vivisektorischer Härte jene Verbindung von "Tod und Blut und festem Fleisch", die in den erotischen Phantasien des Autors bereits in der Pubertät überhandnimmt: "Blutige Duellszenen auf den Titelseiten der Geschichtshefte, die mir der Hauslehrer heimlich lieh, Bilder von jungen Samurai, die sich den Bauch aufschlitzten, von Soldaten, die sich, eine Kugel im Leib, mit zusammengebissenen Zähnen die Hände an die Uniformbrust pressten, während das Blut zwischen ihren Fingern hervorquoll, Fotos von Sumokämpfern im Komusubi-Rang, noch nicht so dick und mit noch festen Körpern ..."

Sichtbar gemacht wird die Identitätskrise eines jungen Mannes, der die Maske der Irreführung brauchte, um in einer hoch konservativen Gesellschaft Japans im Zweiten Weltkrieg seine gleichgeschlechtliche Neigung zu verbergen. Dazu kommt die den Heranwachsenden schon damals bedrängende Todessehnsucht: Mitten in den Wirren des Krieges, als seine japanische Umgebung alles daransetzt, im Bombenhagel am Leben zu bleiben, erhofft er inbrünstig das eigene Sterben. Die Studie führt, in ihrer analytischen Authentizität zuweilen radikal wie ein japanisches Sushi-Messer, ungeschönt in eine Triebwelt, die in ihrer Besessenheit von Blut und Gewalt deutlich sadomasochistische Züge trägt. In dem schmalen Roman "Leben zu verkaufen" hingegen, der soeben in der Übersetzung von Nora Bierich erstmals auf Deutsch erschienen ist, wird aus einem misslungenen Suizid ein verblüffendes Vexierspiel quer durch die bizarrsten Zombiegesellschaften Japans, handfeste Spionageinteressen eingeschlossen.

Misogyne Angstfantasie

Der Protagonist Hanio bezeichnet sich in dieser skurrilen Farce zwar als "hartgesottenen Nihilisten", doch was er fortwährend (über)lebt, gerät ganz gegen seinen Willen zur makabren Groteske: Der Suizidsüchtige bleibt beständig am Leben, während reihum der Tod reiche Ernte hält. Frauen sind in Mishimas Werk grundsätzlich entweder schneewittchenhaft anmutig oder bedrohlich lüstern und sinnenfreudig. Hier hat eine im Sexualakt sogar Blutdurst - genussvoll saugt sie sich als anämischer Vampir an den Adern des Liebhabers fest. Ridiküler kann eine misogyne Angstfantasie kaum ausgedrückt werden.

Indes, literarisch bezeichnend für Mishimas lebenslange Todesbereitschaft bleibt das groß angelegte Romanwerk "Das Meer der Fruchtbarkeit", das teilweise aus dem Nachlass publiziert wurde. Von dieser Tetralogie führt bereits der zweite Band, "Unter dem Sturmgott", geradezu exemplarisch die Schreckensästhetik eines todesbesessenen Schönheitsverklärers vor. Seine Philosophie nannte Mishima "kosmischen Nihilismus". Das Bedürfnis nach Radikalität und Gewalt sucht sich hier wie auch im militanten Nationalismus wechselnde ideologische Gründe. Der eigene nihilistische Zustand führt ihn über das Verlangen nach dem Absoluten bis hin zur apokalyptischen Weltsicht - das Verlangen ermöglicht sie erst.

Der ganze Roman scheint nur entworfen und mit einer Reißbrett-Fabel versehen, um seinem Autor die literarische Vorwegnahme der Selbstentleibung zu ermöglichen. In Schönheit sterben: Nach dieser Apotheose einer L’art-pour-l’art-Ästhetik sehnt sich hier der junge Kendo-Fechter Isao, ein kraftstrotzendes Ebenbild kampfeslüsterner Männlichkeit. Durch ein buddhistisches Wiedergeburtsmotiv aus der für sich bestehenden dekadenten Adelswelt aus dem ersten Tetralogie-Teil, "Schnee im Frühling", hat er sich in den zweiten, ins Milieu radikaler Nationalisten, katapultiert. Dort dient eine flüchtig hingepinselte Rahmenhandlung mit einem homoerotisch erhitzten Richter einzig dazu, das politische Szenarium für Isaos höchst narzisshaften Todestrieb abzustecken.

Gefragt, was sein höchstes Begehren sei, gibt dieser fortwährend von Kaisertreue, Traditionsschutz und Errettung des Landes vor der "kommunistischen Unterwanderung" daherredende Zwanzigjährige zur Antwort: "Im Angesicht . .. der Sonne ... auf steiler Klippe bei Sonnenaufgang die heraufkommende Scheibe anzubeten ..., auf das glitzernde Meer hinabzuschauen ... dann zu Füßen einer alten, ehrwürdigen Kiefer - mich zu töten ... Das wäre mein sehnlichster Wunsch."

Wie sehr dem Autor hier die gestalterische Distanz zur Hauptfigur und zum formalen Aufbau des Buches entglitten ist, zeigt sich besonders an jenen Stellen, an denen er sich in der Beschreibung von Massensuiziden in einen wahren Blutrausch versetzt. Eine 80-köpfige Samurai-Verschwörergruppe scheint Mishima überhaupt nur in den Roman eingeführt zu haben, um sie, auf nicht weniger als vierzig Druckseiten, in allen Einzelheiten ihren heroischen Schlitzer-Freitod sterben zu lassen: einzeln, in Gruppen gereiht, mit oder ohne Ehefrau. Und jedes Mal wird das Blutgespritze, der glühende Schmerz beim Dolchstich, das Hervorquellen der Eingeweide, das wechselseitige Abschlagen der Köpfe, der infernalische Gestank von Körpersäften und dampfendem Blut wollüstig beschrieben.

Nekrophile Ornamentik

Kein Zweifel: Wer sich schreibend an solch episch ausufernden Gemetzeln delektiert, wer sich bei der Schilderung der politischen Motive des um Isao gescharten Rechtsextremistenbundes mit ein paar Leerformeln begnügt, um gleich wieder das "schöne Sterben" wie ein Schlachtenmaler breitzupinseln, wer das alles nicht darstellt, um zu zeigen, sondern um, wie es heißt, "Leidenschaft, Schwur, Unruhe, Traum, Todeserwartung und Sehnsucht nach Glorie" zu verherrlichen, der ist der "Ästhetik des Schreckens" verfallen: Nicht aus Erkenntnisdrang, sondern aus der Befangenheit der Nekrophilie, aus der auf sich selbst bezogenen Leichenliebe.

Yukio Mishimas Seppuku-Tod mag sich vor dem Hintergrund seiner "Hagakure"-Deutung als Versuch erweisen, in der Gleichförmigkeit einer stark entpersönlichten Massengesellschaft ein Fanal des extremen Individualismus zu setzen, Freitod gleichsam als vermeintlich heroische Rückeroberung von Eigenart inmitten der gesichtslosen Uniformität einer egalitären Gesellschaft darzustellen, und sei es um den Preis des eigenen Lebens.

Sein Roman "Unter dem Sturmgott" indes ist, wie manch anderes Werk von Mishima, über weite Strecken nur nekrophile Ornamentik. Und damit jene Art Kitsch, die der österreichische Dichter und Essayist Hermann Broch einst mit der Emphase des Platonikers als "das Böse im Wertsystem der Kunst" gebrandmarkt hat.

Yukio Mishima: Leben zu verkaufen. Roman. Aus dem Japanischen von Nora Bierich. Ln., geb., 238 S. Verlag Kein & Aber, Zürich 2020, 22,70 Euro.

Yukio Mishima: Bekenntnisse einer Maske. Roman. Aus dem Japanischen von Nora Bierich. Ln., geb., 220 S. Verlag Kein & Aber, Zürich 2019, 20,60 Euro.

Oliver vom Hove, in Großbritannien geboren, aufgewachsen in der Schweiz und in Tirol. Lebt als Dramaturg, Literaturwissenschafter und Publizist in Wien.