Am 5. Mai wird der Nachfolger von Bürgermeister Johnson gewählt.
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London. Am Donnerstag nächster Woche geht Boris Johnsons Amtszeit als Londoner Bürgermeister zu Ende. Für die Zeit danach hat sich Johnson höhere Ziele gesteckt - vom Auszug seines Landes aus der EU bis zum eigenen Einzug in die Downing Street. Ums Amt des Stadtchefs aber, um Johnson alte Machtbasis, wird kurz vor dem Wahltag des 5. Mai noch immer bitter gerungen. Und das nicht nur, weil die beiden Hauptkandidaten aus den gegnerischen Lagern so konträre Persönlichkeiten sind. Schon das, schon der soziale Hintergrund des Zweikampfs, ist erstaunlich.
Für Johnsons Partei, die Konservativen, tritt der 41-jährige Zac Goldsmith an. Goldsmith ist ein Sohn des Multimilliardärs und Ex-Finanziers Sir James Goldsmith. Er besuchte Englands Top-Elite-Internat Eton am Fusse von Windsor Castle, in dem auch David Cameron und Boris Johnson einmal Schüler waren. Goldsmiths Labour-Kontrahent Sadiq Khan (45) dagegen wuchs in einer Arbeitersiedlung in Süd-London auf. Er ist der Sohn einer Näherin und eines Busfahrers aus Pakistan. Khan, der Labour-Repräsentant, wollte über sozialen Wohnungsbau und billigere Verkehrsmittel in der Hauptstadt reden. Goldsmith, der Tory, war als "Freidenker" bekannt und unter anderem an Umweltthemen interessiert. Doch zur politischen Auseinandersetzung zwischen "Zac" und "Sadiq" kam es erst gar nicht. Etwas anderes schob sich dazwischen. Als nämlich den Konservativen Khans Vorsprung in den Umfragen aufging, erinnerten sie sich daran, dass rund einem Drittel der Londoner nach eigenem Bekunden "nicht wohl" war beim Gedanken an einen moslemischen Bürgermeister für London.
Also war im Wahlkampf plötzlich sehr viel von "dem Moslem" Khan die Rede. Auch Khans "Radikalität" wurde bei jeder Gelegenheit betont. Londons "Evening Standard" zum Beispiel "enthüllte", dass "Sadiq Khans Familie mit einer extremistischen Organisation in Verbindung" stehe. "Khan nahm zusammen mit radikalem Imam an Kundgebungen teil", liess die Sunday Times ihre Leser wissen. Die "schwarze Flagge des Jihad" habe einmal geweht, als Khan eine Rede hielt, ängstigte sich die Sun. Dass Khan mit allerlei üblen Gestalten im Bunde stehe, suggerierten zugleich auch Goldsmith und mehrere Minister der Regierung Cameron. Sogar der Premierminister äußerte im Parlament "Besorgnis", weil sich Khan über die Jahre "wieder und immer wieder zusammen mit Extremisten" habe sehen lassen.
Eine Schmutzkübelkampagne
Diese Bemerkung löste Tumulte auf den Oppositionsbänken aus. "Eine wüste Schmierkampagne" inszenierten die Tories hier, empörten sich Labour-Abgeorndete. Einige warfen Cameron sogar vor, ein "Rassist" zu sein. Fast kam es zu Tätlichkeiten. Die Aufregung war abzusehen. Schon das Prädikat "radikal" war eine Provokation im Urteil Labours. Denn Sadiq Khan zählt zum gemäßigten Mittelfeld der Labour Party. Er war in der letzten Labour-Regierung unter Gordon Brown bereits als (wenig Aufsehen erregender) Staatssekretär erst für Kommunen und später für Verkehr Teil des Establishments.
Von Beruf Anwalt, war Khan spezialisiert auf Menschenrechts-Prozesse. In dieser Eigenschaft vertrat er, bevor er ins Parlament einzog, auch ein paar militante Islamisten vor Gericht. Er selbst sprach sich freilich bei jeder Gelegenheit gegen Gewalt und Extremismus aller Art aus. Als nicht sonderlich religiöser Mensch, der auf soziale Reformen pochte, war er bei konservativen Moslems eh ziemlich unbeliebt.
Sogar Morddrohungen gab es - zum Beispiel als er in Westminster für die Homo-Ehe stimmte. Und letztes Jahr löste er Unmut damit aus, dass er vor britischen Moslems klagte, "zu viele" von ihnen würden vor der Gefahr der Terrormiliz IS "den Kopf in den Sand stecken". Solche Details liessen seine Gegner im Tory-Lager freilich lieber unerwähnt.
Ins Leere begannen die Angriffe auf Khan zu laufen, als neugierig gewordene Beobachter die Faktenlage prüften. Bei der "Familien-Verbindung" Khans zu "einer terroristischen Organisation", stellte sich heraus, ging es um einen Ex-Schwager, den Khan seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen hatte - und von dem keineswegs klar war, ob er je einer islamistischen Bewegung angehörte. Und der "radikale Imam", mit dem Khan in Verbindung gebracht wurde, entpuppte sich als ein Prediger namens Suliman Gani aus Khans Wahlkreis. Goldsmith nannte Gani "eine der abstossendsten Figuren im Lande", der mit IS sympathisiere und Frauen eine "unterwürfige" Rolle zuweise.
Die Tories - eine Terrorgruppe?
Mit diesem Mann, klagte Goldsmith, habe Khan bei Veranstaltungen sage und schreibe neun Mal ein Podium geteilt. Doch auch hier lag die Sache etwas anders. IS-Sympathien streitet Gani rundweg ab. Der Imam droht den Tories mittlerweile mit einer Verleumdungsklage. Außerdem konnte er kurioserweise ein Foto aufweisen, auf dem er - statt mit Khan - mit Goldsmith zu sehen war. Weitere Aufnahmen zeigten den Imam sogar mit einer ganzen Reihe von Tory-Abgeordneten, die ihn um Kontakt zur örtlichen Moschee oder um sonstige Wahlhilfe gebeten hatten. Und das war wenig überraschend. Denn Gani unterstützte, weil er selbst konservative Überzeugungen vertrat, bei den letzten Unterhauswahlen in Tooting den konservativen Kandidaten. Er stellte den Tories sogar Wahlkampfhelfer zur Verfügung, um Sadiq Khan und dessen sozialreformerische Ideen zu Fall zu bringen. Nichts also war ganz das, was es in den Schlagzeilen schien. Wirklich in die Nesseln setzte sich Goldsmith aber, als er Hindus, Sikhs und Tamilen gegen Londons Moslems auszuspielen suchte. In gezielt verteilten Wahlbroschüren warnte er davor, dass Leute wie Khan nicht-moslemischen Minderheiten per Reichensteuer zum Beispiel ihr ererbtes Geschmeide, ihre familiären Kostbarkeiten wegnehmen wollten.
Das ärgerte diese Minderheiten, die sich nicht als raffgierig-reiche Juwelen-Horter abstempeln lassen wollten, ebenso wie die Moslems, gegen die es sich richtete. Besorgt war im "Guardian" davon die Rede, dass der Tory-Kandidat mit einer solchen Spalter-Strategie in der Multikulti-Weltstadt London "mit Feuer" spiele, "indem er Spannungen in der Bevölkerung schafft, wo vorher keine waren". Unterdessen wagt niemand vorher zu sagen, ob "Zacs Blitzkrieg" am Ende Erfolg hat und den Konservativen vier weitere Jahre in Londons City Hall sichert. Oder ob die Londoner bereit sind, einen Moslem zu ihrem Stadtchef zu wählen. Was "eigentlich kein Thema" hatte sein sollen, nach Khans Ansicht, ist nun zur Frage Nummer eins bei dieser Wahl geworden.