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Zagreb zittert um Beitrittsfahrplan

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Jüngste Gewalttaten als Stolpersteine? | Freundliches EU-Zeugnis für die Türkei. | Brüssel. In Zagreb liegen die Nerven blank. Denn bis auf den über Kroatien sind die Fortschrittsberichte über die EU-Annäherung der gegenwärtigen und künftigen Beitrittskandidaten so gut wie fertig. Entwürfe der Kommissionsdokumente, die heute, Mittwoch, präsentiert werden, liegen der "Wiener Zeitung" vor. Und die Kroaten zittern um einen Passus, in dem von einem "Abschluss der technischen Verhandlungen bis Ende 2009" die Rede ist. Die jüngsten Gewalttaten, mit denen das organisierte Verbrechen plakativ seine Gegenwart unter Beweis stellte, haben die Aussicht auf eine baldige EU-Mitgliedschaft nämlich getrübt.


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Erst bei der Sitzung der EU-Kommission am Vormittag soll entschieden werden, ob das Land einen bereits recht detailliert ausgearbeiteten Fahrplan zu einem möglichen Verhandlungsabschluss in rund einem Jahr verbrieft bekommt. Denn der tödliche Zagreber Bombenanschlag auf den bekannten Verleger Ivo Pukanic und seinen Marketingchef Niko Franjic sowie die Tochter des Anwalts des aus Wien ausgelieferten Ex-Generals Vladimir Zagorec, der unter anderem wegen illegalen Waffenhandels gesucht wurde, würden sicherlich noch im Text berücksichtigt, meinen Insider.

Berlin und Paris stehen auf der Bremse

Daneben stehen noch altbekannte Probleme zwischen Kroatien und seiner EU-Reife. Vor allem die schleppenden Reformen bei den Kapiteln "Justiz und Grundrechte" und "Wettbewerb" verhindern deren formelle Eröffnung.

Hinter letzterem verstecken sich in erster Linie die maroden und EU-rechtswidrig subventionierten kroatischen Werften. Sind diese Bedingungen erfüllt, sollen laut Fahrplan sämtliche Verhandlungsbereiche "bis Ende 2008 oder Anfang 2009" eröffnet werden, auch wenn Slowenien bisher wegen offenen Grenzstreitigkeiten noch einige blockiert. Bis Ende 2009 könnten dann alle geschlossen sein, der EU-Beitritt Anfang 2011 erfolgen. Die meisten Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, sind dafür, Zagreb diese Perspektive zu gewähren. Skepsis herrscht indes in Frankreich und Deutschland.

Bei weitem noch nicht so weit ist hingegen die Türkei, die die Beitrittsverhandlungen zeitgleich im Oktober 2005 begonnen hat.

Viel Lob für AnkarasDiplomatie

Allerdings ist der Ton des neuen Fortschrittsberichts so freundlich wie noch nie: "Die Türkei hat durch aktive Diplomatie eine konstruktive Rolle in ihrer Nachbarschaft gespielt", heißt es da. Die "strategische Bedeutung" des Landes für die EU wachse.

Positive Erwähnung finden zudem die Vermittlungen im Kaukasus, zwischen Syrien und Israel und mit dem Iran sowie die Tatsache, dass Abdullah Gül als erster türkischer Präsident nach Armenien reiste und damit die diplomatische Eiszeit beider Länder durchbrach. Innenpolitisch sieht die EU-Kommission hingegen weiterhin Reformbedarf: Die zivile Kontrolle über die Armee müsse sichergestellt werden, die Rechte der Kurden gestärkt sowie Frauen vor Gewalt in der Familie geschützt werden. "Sorge" bereiten weiterhin Fälle von Misshandlungen und Folter. Ein schlechtes Zeugnis stellt Brüssel Ankara bei der Verbesserung der Beziehung zum EU-Land Zypern aus.