Deutschland muss Vertragsskeptiker überzeugen. | Einigung bei Juni-Gipfel völlig offen. | Berlin/Wien. Angela Merkel wird die Zeit knapp. Noch sieben Wochen ist die deutsche Bundeskanzlerin EU-Ratspräsidentin. Und bis Sommer - am besten bis zum Juni-Gipfel - muss sie die EU-Staats- und Regierungschefs davon überzeugen, dass sie sich auf eine EU-Verfassung zu einigen haben. Das Ringen um eine neue Struktur für die Europäische Union währt immerhin schon seit fast zwei Jahren, seitdem Frankreich und die Niederlande in Referenden das Vertragswerk abgelehnt haben.
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Wie mühsam die Suche nach Wegen aus der Verfassungskrise ist, merkte Merkel bereits im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 50. Gründungstag der Gemeinschaft Ende März. In der Berliner Erklärung wollte sie die EU-Staaten auf Zusagen zur Verfassung verpflichten - was ihr auch gelang. Doch die Formulierung war eine allgemeine: Bis zur Europawahl 2009 solle die EU "auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage" gestellt werden. Dafür konnte die Kanzlerin auch Verfassungsskeptiker wie Polens Staatspräsidenten Lech Kaczynski gewinnen, den sie in stundenlangen Gesprächen in seiner Sommerresidenz an der polnischen Ostsee überzeugte.
Vertrauliche Gespräche
Auch jetzt spricht Merkel mit ihren Kollegen - in den vergangenen Wochen etwa mit dem slowakischen Premier Robert Fico und dem britischen Premier Tony Blair. Ihre Mitarbeiter feilschen in vertraulichen Runden mit Gesandten der anderen 26 Regierungen über die Details des Vertragswerks.
Doch die Spaltung zwischen den Befürwortern und Gegnern der Verfassung scheint weiterhin unüberbrückbar. Auf der einen Seite weist etwa die spanische Regierung - ähnlich wie die österreichische - darauf hin, dass immerhin 18 Staaten und damit zwei Drittel der Mitglieder die Verfassung bereits ratifiziert haben. "Gegen eine Verwässerung" des Vertrags sprach sich denn auch Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer aus.
Auf der anderen Seite steht etwa Großbritannien, das von einer vertieften Zusammenarbeit in Europa nur wenig hält. Schon brachte ihm das Kritik von Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano ein: Dass Großbritannien seinerzeit die Verfassung unterzeichnet habe, diese aber nun nicht ratifizieren wolle, sei "befremdlich, fast skandalös".
Unklar ist auch, wie sich Frankreich positionieren wird. Der neu gewählte Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat zwar kein zweites Referendum zur Verfassung angekündigt. Doch hat er sich für einen neuen Mini-Vertrag ausgesprochen. Vor einem "Aufschnüren des gesamten Pakets" warnen allerdings die meisten anderen Länder. Denn dann würde die Diskussion von neuem losbrechen.
Portugal rüstet sich
Mit fundamentalen Bestandteilen der Verfassung ist auch Polen nicht zufrieden. Wiederholt wandte sich Kaczynski gegen das Prinzip der doppelten Mehrheit bei Abstimmungen, das Beschlüsse mit einer Mehrheit von 55 Prozent der Staaten und 65 Prozent der von ihnen repräsentierten Bevölkerung vorsieht. Polen befürchtet, künftig bei Abstimmungen an Gewicht zu verlieren. Und Tschechien lehnt überhaupt die Schaffung eines neuen "Super-Staats" etwa mit einem eigenen EU-Außenminister ab.
Schon rüstet sich Portugal, das im Juli von Deutschland den EU-Vorsitz übernimmt, für weitere Debatten. Die Frage zur "Zukunft Europas" werde das Hauptthema beim informellen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Oktober sein, heißt es in Diplomatenkreisen. Ob bis dahin ein klarer Weg für die Verfassung vorgegeben ist, hängt aber nicht zuletzt von Merkels Verhandlungsgeschick ab.