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Zahlenmystik statt Wirtschaftsregierung

Von Reinhard Göweil aus Belgien

Europaarchiv

Österreichs Schulden steigen von 69 auf bis zu 79 Prozent des BIP. | Auswirkungen auf Finanzmärkte unklar. | Kopfschütteln bei Politikern und Wirtschaftsexperten. | Brüssel. Während beim EU-Gipfel um die Ausformung des deutsch-französischen Vorschlags einer "Wirtschaftsregierung" debattiert wurde, spielt eine andere EU-Behörde "Zahlenmystik". So bezeichnete ein Brüsseler Wirtschaftsexperte die Berechnungen des Statistikamtes der EU, Eurostat.


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Die Beamten dort haben sich entschlossen, die Schulden von sogenannten "bad banks", also in der Krise verstaatlichten Banken, sowie ausgelagerten öffentlichen Unternehmen wie Bahnen in den Schuldenstand einzurechnen. In Österreich erhöht sich daher die öffentliche Verschuldung von derzeit knapp 69 Prozent der Wirtschaftleistung auf bis zu 79 Prozent. In Großbritannien, dort wurden sehr große Banken vom Staat aufgefangen, könnte sich der Schuldenstand auf rekordverdächtige 155 Prozent der Wirtschaftleistung (BIP) erhöhen.

"Warum Eurostat das ausgerechnet jetzt tut, ist mir auch unverständlich", sagte Finanz-Staatssekretär Reinhold Lopatka. Auch in den Notenbanken wird dem statistischen Treiben eher reserviert zugeschaut. "Wir durchleben eine Euro-Krise, die hohe Verschuldung der EU-Länder ist für die Finanzmärkte ein großes Thema. Jetzt werden die Länder noch schlechtergerechnet", erklärte eine EZB-Vertreterin, die namentlich nicht genannt werden wollte.

Gewerkschaften befürchten Strategie für Sozialdumping

Während also die EU-Regierungschefs am Freitag in Brüssel diskutierten, wie die Koordination der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik ausschauen könnte und ob es nicht sogar gemeinsame Finanzierungen der öffentlichen Schulden geben könnte ("Eurobonds"), ist Eurostat gerade dabei, die Schuldenquote statistisch nach oben zu korrigieren.

"Es geht hier darum, dass es kein zweites Irland mehr gibt. Die Einberechnung von Haftungen und Schuldenübernahmen für Banken trieb das irische Defizit auf über 30 Prozent, der Euro-Rettungsschirm musste über das Land gespannt werden", sagte ein EU-Beamter. "Mit der Berücksichtigung solcher Ausgabenblöcke sollen solche Entwicklungen verhindert werden."

Nun wird es vermutlich von den Finanzmärkten vermutlich nicht ganz so positiv gesehen werden, wenn Großbritannien plötzlich auf einen Schuldenstand von 155 Prozent kommt. Derzeitiger "Spitzenreiter" in der EU ist Griechenland mit 127 Prozent, Italien hat knapp mehr als 110 Prozent, Belgien schrammt an der 100-Prozent-Grenze.

Bei Wirtschaftsexperten wird die neue Berechnung nicht so positiv gesehen, vor allem Gewerkschaften befürchten, dass sich dadurch der Druck auf die Sozialleistungen erhöhen wird. "Dann wird es von Regierungen heißen, jetzt müssen wir noch mehr sparen", befürchtet AK-Direktor Werner Muhm. "Der Druck auf Sozialleistungen wie Pensionen wird dadurch erhöht, nur weil Eurostat nun Dinge anders berechnet." Die Gewerkschaften befürchten dahinter eine Strategie der EU-Kommission, die in Sozialdumping münden solle. "Es fällt zunehmend schwerer, sich als Europäer zu deklarieren", ist auch aus dem Europäischen Gewerkschaftsbund zu hören. Aber auch von Industrie- und Bankenverbänden gibt es Kritik. "Mit der Neuberechnung der Schulden, die zu einer Erhöhung führen, könnte das Vertrauen des Finanzmarktes erneut erschüttert werden", sagte ein Banker. "Die glauben dann vielleicht, in Europa tricksen alle beim Budget, so wie es Griechenland getan hat, wenn sich die Zahlen plötzlich verschlechtern." Die Neuberechnung soll in etwa zwei Wochen öffentlich gemacht werden. Wifo-Budgetexpertin Schratzenstaller errechnete für Österreich einen Anstieg um zirka zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch Schulden der ÖBB werden eingerechnet. Bisher sind Unternehmen, die sich zur Hälfte aus Einnahmen finanzieren, aus der Berechnung ausgeschlossen, weil davon auszugehen ist, dass sie dadurch die Schulden alleine bewältigen können.