Das Finale des ukrainischen Wiederholungswahlkampfs war überraschend ruhig. Eine knallharte TV-Konfrontation zwischen dem Oppositionsführer Wiktor Juschtschenko und Premier Wiktor Janukowitsch erwarteten die Kommentatoren. "Diesmal wird es heftig werden", urteilte noch kurz vor dem Beginn des Duells der ukrainische Parlamentspräsident Wolodimir Litwin. In Wirklichkeit fiel die Fernsehkonfrontation zwischen den ukrainischen Präsidentschaftskandidaten zahm aus. Wirklich heiß werden könnte es hingegen am Wahlsonntag - und in den Tagen danach.
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Wie zwei Schwergewichtsboxer, die vor allem damit beschäftigt sind, sich nicht aus der Deckung locken zu lassen, wirkten am Montag Abend die beiden Kandidaten. Seit Juli dauert in der Ukraine der Wahlkampf, seit der Wahlfälschung am 21. November wird er in Permanenz geführt, auf der Straße, in den Medien, auf der internationalen Bühne. Da sind Ermüdungserscheinungen unausweichlich, nicht nur bei den Kandidaten, sondern auch beim Wahlvolk.
Selbst am Kiewer Platz der Unabhängigkeit, dem Zentrum der orangen Revolution, gibt so mancher Aktivist zu, dass er eigentlich schon die Nase voll hat von kalten Kundgebungsnächten und gern in die Normalität zurück möchte. Normalität kann es allerdings - davon ist man hier überzeugt - nur mit Juschtschenko geben: "Ich habe genug, genug von dem Streit, genug von der Politik. Aber ich weiß, dass wir durchhalten müssen. Wenn Juschtschenko verliert, bekommen wir die nächste Chance auf ein normales Leben vielleicht in zwanzig Jahren wieder", sagt die dreißigjährige Anna, die trotz ihres Unmuts immer wieder in die Zeltstadt der Juschtschenko-Anhänger kommt. "Es ist wie bei der letzten Runde in einem Langstreckenrennen", bestätigt der Journalist Mikola Weresen vom oppositionellen Fernsehsender Kanal 5, "alle Beteiligten sind vollkommen erschöpft. Ich glaube aber, dass Juschtschenko mehr Kräfte für das Finish haben wird."
Wenn er tatsächlich noch Kräfte zum Angriff frei hat, so ist Juschtschenko beim Fernsehduell mit Janukowitsch damit sparsam umgegangen: Der Oppositionschef blieb meist strategisch zurückhaltend. Nur einmal brach es aus ihm heraus: "Sie sind ein Meister der Manipulation", zeigte Juschtschenko mit erhobenem Zeigefinger auf Janukowitsch. "Sie sind einer, der alles verspielt hat, und jetzt das Land zu spalten versucht."
Zuvor hatte der Premier Juschtschenko prophezeit, ein Sieg der Opposition würde das Land zerreißen, denn der Osten lehne die Opposition ab. Für Janukowitschs Verhältnisse war das ein sehr laues Statement. Bisher hat er die Opposition als "drogensüchtig" und "orange Ratten" bezeichnet. Am Montag entschuldigte er sich sogar dafür und behauptete, Verständnis für die Proteste zu haben. Doch nicht er, sondern Leonid Kutschma, der scheidende Präsident, habe die Wahlen gefälscht.
Dass Juschtschenko die Widerholung der zweiten Runde gewinnt, scheint sicher. Je nach Umfrage liegt er fünf bis zehn Prozentpunkte vor seinem Gegner. Da er den Westen der Ukraine nahezu geschlossen hinter sich weiß, hat Juschtschenko in den letzten Tagen vor allem den Osten bereist. Seine Hauptbotschaft dabei: Nach dem Sieg der orangen Revolution wird es keinen Riss zwischen einer ukrainischsprachigen und russischsprachigen Ukraine geben. "Wer russisch sprechen will, soll das tun."
Dass Juschtschenko inzwischen auf antirussische Rhetorik weitgehend verzichtet, hat einen simplen Grund: Der Oppositionskandidat weiß: Ist er erst einmal Präsident, muss er sich allein schon aus wirtschaftlichen und geopolitischen Gründen um eine Reparatur der Beziehungen zu Moskau bemühen.
Die Widersprüche zwischen dem eher russlandnahen Osten der Ukraine und dem europaorientierten Westen sind bislang aller Dramatik zum Trotz fast ausschließlich verbal ausgetragen worden. Ein wenig Angst vor Gewalt bleibt allerdings auch vor der Wiederholung der zweiten Runde. Janukowitsch hat in der vergangenen Woche angekündigt, dass Zigtausende seiner Anhänger in der Wahlnacht nach Kiew kommen werden, "um die Demokratie zu verteidigen". Um Zusammenstöße zu verhindern hat Noch-Präsident Kutschma, der Janukowitsch inzwischen völlig fallengelassen hat, 170.000 Polizisten dazu abkommandiert, in der Wahlnacht für Ruhe zu sorgen. Die Vollmachten, die die Kommandanten haben, sind weitreichend und reichen bis zum Gebrauch scharfer Munition.
Doch selbst wenn die Wahlnacht ausgestanden ist und Juschtschenko das Präsidentenamt in Ruhe übernehmen kann, die Probleme hören damit nicht auf. Noch ist die ukrainische Opposition geeint. Doch je näher der Sieg kommt, desto klarer wird, dass etliche von Juschtschenkos Kampfgefährten die Reduzierung oppositioneller Inhalte auf die Person des Chefs nicht wirklich goutieren. "Wir sollten nicht den Eindruck vermitteln, Janukowitsch war der böse Zar und Juschschtschenko wird der gute Zar sein. Die Ukraine sollte in Zukunft überhaupt keinen Zar mehr brauchen", sagt etwa der Sozialistenchef Oleksander Moroz, der im ersten Wahlgang Platz drei belegte und seitdem Juschtschenko unterstützt.