Morgen, Sonntag, beginnt die elfte Konferenz der Vereinten Nationen zu Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Sao Paulo, Brasilien. Die UNCTAD ist die ältere der beiden großen Institutionen für den Welthandel - und die bedeutungslosere: Rechtskräftig sind die Entscheidungen der Welthandelsorganisation (WTO). Vertreter von Entwicklungsländern erhoffen sich von der Konferenz, ihre Anliegen vorwärts bringen zu können.
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"Natürlich werden die Industrieländer die gleichen Positionen vertreten wie innerhalb der WTO-Verhandlungen." Judith Zimmermann von der Koordinationsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz ist dennoch optimistisch: "Es könnte viel passieren in Sao Paulo, wenn man bedenkt, wie das Auftreten der Entwicklungsländer in Cancún ausgesehen hat."
Die bei der WTO-Konferenz in Cancún, Mexiko, im Herbst 2003 gebildete Gruppe der "20+" (sogenannte Entwicklungs- und Schwellenländer unter der Führung Brasiliens und Indiens) habe "den Vormarsch der von den Industrieländern diktierten Pläne aufgehalten", erklärte etwa Brasiliens Präsident Luiz Inácio da Silva. Die Vorschläge der Industrieländer zur Marktöffnung für Agrarprodukte, Industriegüter, Dienstleistungen sowie Investitions- und Wettbewerbsregeln wurden zurückgewiesen, der Gipfel scheiterte.
Die Konferenz in Sao Paulo biete die Chance zu überlegen, wie die Entwicklungsländer von der Integration in die Weltwirtschaft profitieren könnten, sagte UNCTAD-Generalsekretär Rubens Ricupero. Klassische Marktkonzepte haben in vielen Entwicklungsländern keinen Erfolg gehabt. In Lateinamerika etwa gebe es "beachtliche Handelsentwicklungen" - und 20 Millionen Arme mehr als 1997. Die 50 ärmsten Länder der Welt hätten zwar eine Zunahme der Entwicklungshilfe und der Auslandsinvestitionen verzeichnet, nötig seien vor allem produktive Investitionen, heißt es in dem Jahresbericht zur Konferenz.
Im Rahmen der UNCTAD könne "ein Zeichen gesetzt" und die Institution könne als Gegenpol zur WTO gestärkt werden, meint Zimmermann, die Mitglied der offiziellen Österreichischen Delegation ist.
"Es wäre schön, wenn die UNCTAD aufgewertet würde, aber die Industrieländer halten sie machtlos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die UNCTAD tatsächlich etwas ausrichten kann", meint Kunibert Raffer vom Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Politisch sei es möglich, die WTO zu "vergessen" oder das Vertragswerk neu zu gestalten - die Realität sieht anders aus. n
Stichwort UNCTAD
Die erste Konferenz der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) fand 1964 auf Betreiben der Entwicklungsländer statt. Es sollte eine internationale Handelsorganisation unter dem UN-Dach geschaffen werden mit dem Ziel, die Entwicklungsländer in einer gerechten Weise in die Weltwirtschaft zu integrieren - Grundlage ist der Glaube an den Handel als Entwicklungsinstrument. Die UNCTAD war und ist keine selbständige Organisation, die den Welthandel regulieren könnte. Eine eigene Rechtspersönlichkeit (mit Streitbeilegungsverfahren und Sanktionsmacht) ist die Welthandelsorganisation (WTO). Die UNCTAD besteht heute aus 192 Ländern, deren Vertreter alle vier Jahre in einer Konferenz zusammenkommen. Dazwischen agiert der Welthandelsrat als ständiges Organ der UNCTAD mit Sitz in Genf. Generalsekretär ist seit 1995 Rubens Ricupero.