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"Zahnreinigung statt Wurzelbehandlung"

Von Georg Friesenbichler

Politik

Unzufriedenheit mit Reformpapier bei Israels Rebellen. | Sozialproteste sollen weitergehen.


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Tel Aviv. "Wir haben eine Wurzelbehandlung verlangt und eine Zahnreinigung bekommen", sagt Dafni Leef über das jüngste Reformpapier in Israel. Die 25-Jährige hatte am 14. Juli in Tel Aviv aus Protest gegen die stark gestiegenen Mieten ein Zelt auf einem zentralen Platz aufgeschlagen und damit eine Protestwelle ausgelöst, die hunderttausende Israelis erfasste.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte damals eine 14-köpfige Kommission, geleitet vom Ökonomieprofessor Manuel Trajtenberg, ins Leben gerufen, um Reformvorschläge auszuarbeiten. Nun liegt das 267 Seiten starke Papier vor. Und für die Führer des Protestes ist es eine "unverfrorene Beleidigung".

Der Mittelklasse seien ein paar Knochen hingeworfen worden, sagten sie am Dienstag, für die Armen, alleinerziehende Mütter, Ältere und Kranke stünde aber nichts in dem Papier. Sie wollen die Sozialproteste daher am 29. Oktober wieder aufnehmen.

Netanyahu hingegen lobte Trajtenberg, dass er in kurzer Zeit "Unglaubliches" geschafft habe. Ähnlich äußerte sich Finanzminister Yuval Steinitz, auch wenn er an einigen Empfehlungen Kritik übte, etwa an der Reduzierung des Militärbudgets.

Die Militärausgaben könnten ein wichtiger Streitpunkt werden. Schon wehrten sich die Armeechefs gegen Kürzungen, während Trajtenberg meinte: "Israels soziale Sicherheit ist genau so wichtig wie seine physische Sicherheit." Die Verteidigungsausgaben machen rund zehn Milliarden Euro jährlich aus, Trajtenberg schlägt eine Kürzung um rund 500 Millionen Euro, also rund fünf Prozent, vor.

Höhere Steuern für Wohlhabende

Wackelt diese, wackelt die ganze Reform - denn die Kommission hatte die Vorgabe, den Defizitrahmen nicht zu sprengen. Also muss es Einsparungen an anderer Stelle geben, um die geplanten 12 Milliarden Euro über die nächsten fünf Jahre aufzubringen, die mehr Gerechtigkeit in die israelische Gesellschaft bringen sollen. Ein Teil soll also vom Militär kommen, ein anderer durch einen höheren Spitzensteuersatz von 48 Prozent für jene, die mehr als 8000 Euro im Monat verdienen, höhere Abgaben für Unternehmen (26 statt 24 Prozent) und auf Kapitalerträge (25 statt 20 Prozent). Massensteuern sollen hingegen nicht erhöht werden.

Außerdem soll stärker gegen Monopolunternehmen vorgegangen werden, die für einen Teil der hohen Lebenshaltungskosten verantwortlich sind. Der Report ortet hier ein Versagen der bisherigen Regierungspolitik.

Ein großer Teil der Erlöse soll jungen Eltern helfen, etwa durch einen Gratiskindergartenplatz schon für Dreijährige (bisher gilt das für Fünfjährige), Ganztagsschule bis zum Alter von neun Jahren und billigere Wohnungen für junge Paare. 250.000 neue Wohnungen sollen in den nächsten fünf Jahren gebaut werden.

Ein weiterer Punkt könnte Netanyahus Koalition mit den strengreligiösen Parteien gefährden. Der Report fordert die Integration arabischer Frauen und der ultraorthodoxen Männer in den Arbeitsmarkt. Die Ultraorthodoxen, die sogenannten Haredim, stellen rund 10 Prozent der Bevölkerung, bis zu 60 Prozent der Männer gehen keiner Arbeit nach, sondern studieren nur die heiligen Schriften. Ihre finanzielle Unterstützung kostet den Staat Milliarden.

Will er die Trajtenberg-Empfehlungen umsetzen, warten auf Netanyahu daher nicht nur Schwierigkeiten mit den jungen Rebellen, sondern auch innerhalb seines Bündnisses. Die Durchsetzung ist aber ein Test für seine Führungsqualitäten, schreibt die Zeitung "Haaretz".