Zum Hauptinhalt springen

Zartbitter am Züricher See

Von Claudia Peintner aus Zürich

Wirtschaft
Gute Schokolade zergeht auf der Zunge und darf nicht sauer schmecken.

Besuch in der Schokoladefabrik, wo Pralinen auf Bäumen wachsen und Kakao mit Meersalz verschmilzt. | „Schlechte Schokolade schmeckt wie Waschpulver.”


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Zürich. Zugreifen und Naschen ist erlaubt. Wenn die Schokokugeln nach einer Achterbahnfahrt durch die Fabrik auf dem Fließband ankommen. Fein herausgeputzt mit dunklem Überzug samt Mandel drauf, weißes Kleid mit Kakaoperle verziert, braun-orange gesprenkelte Herzen. 120.000 Stück die Minute spucken die Maschinen aus. So schnell, dass das Auge kaum folgen kann, hüllen sie sich in Verpackungsfolie.

Der Duft nach warmer Schokoladesauce breitet sich weit über das cremefarbene Backsteingebäude hinaus aus. Am noblen Ufer des Züricher Sees liegt die Lindt-Schokoladefabrik, umgeben von Bergen. Seit 1845 produzieren die Schweizer Tafeln, Pralinen und Saisonartikel. Sommerbeginn ist gleichzeitig Hochsaison für die Herstellung von Weihnachtsmännern, Adventkalendern und Konfekt mit Zimt und Koriandergeschmack. Als Erstes sind die Weihnachtsartikel für Exportländer wie Australien an der Reihe, die danach eine mehrwöchige Schiffsreise antreten. Bis Oktober muss auch hierzulande die Weihnachtsware in den Geschäften sein.

„Kochschokolade” aufErfolgskurs

Bei Vollauslastung arbeiten rund 1000 Mitarbeiter aus 45 Nationen im Betrieb. Im weißen Kittel und Plastikhaube versammeln sich einige von ihnen im Freien zur Mittagspause. Unter Bäumen, die mit Plastik-Schokokugeln im XL-Format geschmückt sind. Plötzlich ein schrilles Zug-Pfeifen. An der eigenen Bahnstation vor der Haustür machen die Zutaten halt: Kakao aus Ghana und Südamerika, Milchpulver, Fette aus der Schweiz.

Im Inneren der Produktionshallen rackern die Maschinen computergesteuert weiter. In grauen Kesseln brodeln Kakaobutter, flüssige Kakaomasse, Milchpulver und Zucker. Die pastenartige Schokoladenmasse wird durch Walzen in Tausendstelmillimeter zerkleinert. Um den herben, bitteren Geschmack loszuwerden, folgt das „Conchieren”, - die Krönung der Schokoladeproduktion. Die Masse wird auf 80 Grad erwärmt und verflüssigt - bis zu 24 Stunden lang. Lindt-Mitarbeiter Samuel Bernegger spricht von „belüften”, wodurch die bitter-sauren Duftaromen entweichen.

Schokolade hat ein empfindliches Innenleben. Wenn beim Auspacken plötzlich eine gräulich verfärbte Masse zum Vorschein komme, war sie zu lange der Sonne ausgesetzt, erklärt Bernegger. Die Kakaobutter ist an die Oberfläche getreten, die Kristalle sind weg. Schokolade sollte deshalb bei der Lagerung keinen Temperaturschwankungen ausgesetzt sein. Am besten sei die Aufbewahrung bei 18 Grad, vor Licht, Feuchtigkeit und Fremdgerüchen geschützt.

Eine Aktie oder 14.000 Schokoladetafeln

Vor der Verarbeitung zu Pralinen oder Tafeln erfolgt das Temperieren. Die Schokolademasse wird unter sanfter Bewegung auf 50 Grad erwärmt, abgekühlt und wieder erwärmt. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. „Schlechte Schokolade schmeckt bitter, sie fühlt sich im Mund bröselig wie Waschpulver an und sie zergeht nicht auf der Zunge”, berichtet Bernegger, ein gelernter Maschinenbauingenieur. Seine Kollegen an den anderen Geräten sind Lebensmitteltechnologen oder Mechaniker.

Die Confiseure befinden sich im Nebengebäude. An seinem Schreibtisch skizziere er die wildesten Kreaturen, erzählt Urs Liechtie, Leiter der Produktentwicklung. Schokolade mit Pistazien, Trockenfrüchten, Zitronen, Vanille, Honig, Chili und Meersalz als Zutaten - geröstet, karamellisiert oder in Alkohol getränkt. Von 2000 Entwürfen werden nur etwa sechs im Jahr umgesetzt. Um auf neue Kombinationen zu kommen, gehe er einfach nur mit offenen Augen durch das Leben, sagt der Schweizer.

Oft braucht es jedoch gar keine neuen Ideen, sondern nur kluges Marketing. Bestes Beispiel dafür ist die dunkle Schokolade. Lange Zeit als Kochschokolade unter Naschkatzen verpönt, erlebt sie nun Zuwachsraten in Österreich von 25 Prozent. Ohne die Rezeptur groß zu verändern. „Wir haben die Verpackung eleganter gestaltet und den Kakaoanteil draufgeschrieben”, sagt Adalbert Lechner, bei Lindt für Deutschland und Österreich zuständig.

Acht Kilogramm Schokolade vernascht ein Österreicher durchschnittlich im Jahr. Die Schweizer führen mit 11,7 Kilo pro Kopf die weltweite Rangliste an. Keine Süßmäuler sind die Japaner, mit 2,2 Kilo pro Person.

Lindt produziert an acht Standorten weltweit. Viele Fabriken kamen erst durch Übernahmen in den 90er Jahren hinzu: So gehört Hofbauer mit Sitz in Gloggnitz, wo Schokoschirme für den Christbaum hergestellt werden, seit 1994 zu Lindt; 1998 folgte die Übernahme der Ghirardelli Chocolate Company in San Francisco.

Gut im Geschäft liegen die Schweizer seit Jahren nicht nur mit ihrem Gold-Osterhasen. Gold wert ist auch die Lindt-Aktie: 26.000 Euro kostet eine der 140.000 Stück. Gleich viel wie etwa 14.000 hauseigene Schokoladetafeln.