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Zarte Hoffnung und zu wenig Geld

Von Ronald Schönhuber

Wissen

Weltweit warten rund elf Millionen HIV-Infizierte auf eine Therapie. | Aids-Konferenz sieht Osteuropa als neue Krisenregion. | Wien. Es gibt sie, diese Hoffnungsschimmer. Und es gibt sie sogar dort, wo man auf den ersten Blick gar nicht damit rechnen würden. Denn gemeinhin gelten die afrikanischen Staaten südlich der Sahara als hoffnungslosester Fall in Sachen Aids. 22,4 Millionen Menschen tragen hier das HI-Virus in sich, das sind 20 Mal so viele wie in ganz Europa. Und wirtschaftliche Not, mangelnde Aufklärung über die tödliche Immunschwächekrankheit und der oft noch nicht vorhandene Zugang zu Medikamenten machen die Situation nicht unbedingt leichter.


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In Namibia, Botswana, Kenia, Äthiopien, Malawi und einigen weiteren Ländern ist es in den vergangenen fünf Jahren aber gelungen, die HIV-Infektionsrate unter jungen Erwachsenen um durchschnittlich 25 Prozent zu senken. Verantwortlich dafür ist laut einem Unaids-Bericht, der im Vorfeld der am 18. Juli in Wien beginnenden Welt-Aids-Konferenz veröffentlicht wurde, eine Veränderung der sexuellen Gewohnheiten unter den jungen Menschen. Sie haben später ihre ersten sexuellen Kontakte und sie haben weniger häufig neue Partner. In 13 Staaten stieg zudem der Gebrauch von Kondomen signifikant an.

Und auch bei der Verhinderung der Übertragung des Virus auf Kinder gibt es Lichtblicke. So wurden in Botswana und Namibia 90 Prozent der infizierten Schwangeren mit antiretroviralen Medikamenten behandelt, die einen Übersprung der Aids-Erreger von der Mutter auf das Kind verhindern. Insgesamt konnte mit Hilfe derartiger Programme die Infektionsrate in den Länder südlich der Sahara seit 2001 um 15 Prozent gesenkt werden.

Aids als Tabuthema

Auch weltweit hat sich die Pandemie-Entwicklung verflacht. Laut dem Welt-Aids-Bericht 2009 ist die Zahl der Neuinfektionen seit 2001 um 17 Prozent zurückgegangen. Die Todesrate sank um mehr als 10 Prozent. Für Jubel ist es freilich dennoch zu früh. Mit weltweit 33,4 Millionen sind so viele Menschen wie nie zuvor mit HIV infiziert. 2008 steckten sich zudem 2,7 Millionen Menschen neu mit dem Virus an.

Sorgen bereiten dabei vor allem die ehemals schlafenden Riesen, die nun langsam, aber unaufhaltsam zu erwachen beginnen. China und Indien stehen laut Aids-Experten vor dem Beginn ein riesigen Epidemiewelle. In Indien, wo derzeit 2,3 Millionen Menschen mit dem Virus leben, macht vor allem die demografische Konstellation die Sache explosiv. "22 Prozent unserer Bevölkerung sind zwischen 10 und 19 Jahren. Und wir haben 200 Millionen Menschen, die als Wanderarbeiter Beschäftigung suchen. Sie haben Sex mit vielen Partnern und schleppen dann HIV in ihre Heimatdörfer", sagt Ellath Vinayakan, der für die Hilfsorganisation Plan India HIV-Projekte auf dem Subkontinent organisiert. Hinzu kommt laut Vinayakan, dass Aids vielerorts in Indien noch immer als Tabuthema gilt.

Über Aids gesprochen wurde lange Zeit auch in China nicht. Doch angesichts der steigenden Infektionsraten gibt es nun seitens der Regierung, die jetzt auch mit einer wöchentlichen Sendung im Staatsrundfunk Aufklärungsarbeit leistet, ein langsames Umdenken. Alarmierend ist für die Experten dabei vor allem die sich wandelnde Art der Ansteckung. Kam Aids in China früher nur bei Drogenabhängigen vor, sind heute heterosexuelle Kontakte für 40 Prozent der Ansteckungen verantwortlich, homosexuelle für 32 Prozent. Und wie groß das Problem tatsächlich ist, scheint nur schwer abschätzbar. Die Zahl der registrierten Infizierten liegt mit offiziell 700.000 Menschen zwar vergleichsweise niedrig, doch bei der UNO geht man von einer eklatant höheren Dunkelziffer aus. Zudem wird in China nur eine von drei HIV-Ansteckungen diagnostiziert.

Doch man muss gar nicht einmal bis nach China und Indien blicken, um die Problemfälle der nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, zu finden. In der Region Osteuropa/Zentralasien, die auch ein Schwerpunktthema der Wiener Konferenz bildet, leben derzeit 1,5 Millionen Menschen mit HIV, und hier sind die Neuansteckungsraten so hoch wie sonst kaum wo. So hat sich die Zahl der Menschen mit dem Virus im Blut in den vergangenen acht Jahren um 66 Prozent erhöht.

Kein Geld für Therapien

Besonders stark betroffen sind dabei Russland und die Ukraine, wo 90 Prozent der Infizierten der Region Osteuropa und Zentralasien leben. Die Ukraine hat mit einer Verbreitungsrate in der Bevölkerung von 1,6 Prozent den höchsten Wert in Europa überhaupt. Ebenso wie in Russland sind es hier vor allem Drogenkonsumenten, die - vom Staat kriminalisiert und allein gelassen - für die rasanten Verbreitung sorgen.

Zudem gibt es so gut wie keine Präventionsprogramme und kaum Zugang zu Medikamenten. "Die Versorgungslage bezüglich Therapie ist hier sogar noch viel schlechter als in vielen afrikanischen Ländern", sagt der Wiener HIV-Mediziner Florian Breitenecker, der sich auch bei "Ärzte ohne Grenzen" für den Kampf gegen Aids einsetzt, gegenüber der "Wiener Zeitung". "Nicht einmal ein Zehntel der Betroffenen bekommt hier eine Therapie."

Überhaupt erscheint die kontinuierliche Versorgung der Betroffenen mit Medikamenten in den kommenden Jahren als das Schlüsselthema im Kampf gegen Aids. So warten derzeit weltweit elf Millionen Menschen auf eine Behandlung. Doch die immer größer werdende Anzahl von sich bereits in Therapie befindlichen Menschen - derzeit sind es vier Millionen - und die steigenden Medikamentenpreise fordern immer mehr Finanzmittel. Geld, das aber oft nicht da ist. "Die Spendierfreudigkeit der Industrienationen hat in letzter Zeit deutlich abgenommen", sagt Breitenecker. "Wir werden uns daher über kurz oder lang mit der Situation konfrontiert sehen, dass wie nicht nur keine neuen Patienten annehmen können, sondern bestehende auch wieder ihre Therapie abbrechen müssen".