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Ausgang in Wien könnte spannend werden. | Heiß umworben: Kleinbetriebe und Migranten-Firmen. | Wien. Ein Herzschlagfinale zeichnet sich nicht ab, etwas Kammerflimmern dürfte aber sehr wohl aufkommen: Ab morgen, Samstag, sind Österreichs Unternehmer aufgerufen, ihre Interessensvertreter zu wählen. Experten gehen davon aus, dass sich auf Bundesebene wenig an der Dominanz des ÖVP-Wirtschaftsbundes innerhalb der Wirtschaftskammer ändern wird.
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In Wien könnte jedoch die absolute Mehrheit der Schwarzen wackeln - eine Folge des Strukturwandels, der sich seit einigen Jahren in der heimischen Wirtschaft vollzieht. Dieser Wandel zeigt sich in erster Linie an der zunehmenden Zahl der Kleinst- und Einpersonenunternehmen. Diese Selbständigen repräsentieren oft einen ganz anderen Unternehmer-Typus, als er sich in althergebrachten mittelständische Familienbetriebe findet. Mit Spannung wird nun beobachtet, wie sich diese Klientel bei der Kammer-Wahl verhält.
Als Testwahl ungeeignet
"Nur die Kleinstunternehmen könnten größere Verschiebungen verursachen", meint Karin Cvrtila, Meinungsforscherin beim OGM-Institut. Die entscheidende Frage sei jedoch, ob es den Fraktionen gelingt, diese Wählergruppe zu mobilisieren.
Letztlich würden eher jene zur Urne schreiten, die sich tatsächlich von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) vertreten fühlen. 2005 betrug die Wahlbeteiligung lediglich 48 Prozent. Es sei daher durchaus vernünftig, dass die einzelnen Fraktionen sich im Wahlkampf nicht nur selbst in Szene gesetzt, sondern teilweise auch Gemeinschaftswerbung durchgeführt haben, erklärt Cvrtila. Schließlich würde die Wirtschaftskammer von den Mitgliedern eher als Serviceeinrichtung betrachtet denn als politische Organisation. Es gehe darum, die WKO selbst bekannter zu machen.
Neben der wachsenden Zahl von Kleinstbetrieben beschäftigt noch ein zweiter Trend die wahlwerbenden Gruppen: die zunehmende Bedeutung von Unternehmern mit Migrationshintergrund. Österreichweit gibt es derer bereits mehr als 40.000. Vor allem in Wien kann es eine entscheidende Rolle spielen, diese Klientel für sich zu gewinnen.
Da verwundert es wenig, wenn etwa der Wirtschaftsbund Inserate in türkischer Sprache schaltet, oder der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband mit einem türkischstämmigen Vize-Präsidenten in die Wahlschlacht zieht. Dass sich auch die Grüne Wirtschaft als wählbare Option für Migranten versteht, liegt auf der Hand.
Auf eine andere Weise Stimmen dazugewinnen könnte der Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RfW), der einen Teil des sogenannten dritten Lagers repräsentiert. Dessen Chance wäre es, Proteststimmen einzuheimsen, meint OGM-Expertin Cvrtila. Allerdings könnte der RfW in Wien unter der Konkurrenz durch die Liste FPÖ pro Mittelstand zu leiden haben, die eine ähnliche Wählerschicht anspricht (siehe Wissen).
Als Testwahl für die heuer anstehenden Urnengänge auf Bundes- und Länderebene eignet sich laut Cvrtila die Wirtschaftskammer-Wahl jedoch nicht: Einerseits seien lediglich rund fünf bis sieben Prozent der Gesamtbevölkerung in der Kammer wahlberechtigt, andererseits würden hier klarerweise Wirtschaftsthemen dominieren und andere Bereiche ausgeblendet.
Anfechtung möglich
Darüber hinaus ist das Wahlsystem mit jenem bei Nationalrats- oder Landtagswahlen nicht vergleichbar. Die direkte Stimmabgabe gilt nur für die unterste Kammer-Ebene, jene der Branchen-Fachverbände. Die Vertretung auf Bundesebene wird dann in einem mehrstufigen Abstimmungsprozess ermittelt. Dazu kommt, dass einzelnen Sparten von vornherein eine bestimmte Mandatszahl im Wirtschaftsparlament zugewiesen wird - Stimmen von Industriellen, die hohe Kammerbeiträge zahlen, haben letztlich mehr Gewicht als jene einzelner Einpersonenunternehmer.
Für Aufregung sorgt freilich auch das Wahlprozedere an sich: Dass bei einer geheimen Wahl Wahlkarten bei den Fraktionen bestellt werden, welche dann auch noch für die Abholung der ausgefüllten Stimmzettel sorgen, wirkt eigentümlich. Eine Anfechtung scheint nicht ausgeschlossen.
Wissen
(mel) Bundesweit treten bei der Wirtschaftskammer-Wahl fünf Fraktionen gegeneinander an: Der ÖVP-Wirtschaftsbund wird vom derzeitigen Kammer-Präsidenten Christoph Leitl angeführt, der eine dritte Amtszeit anstrebt. 2005 erhielt der Wirtschaftsbund auf Bundesebene 70,6 Prozent der Stimmen. Die schwarze Kammer-Fraktion stellt zudem sämtliche Präsidenten in den Landeskammern.
Daran will heuer der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband rütteln: Dessen Chef, der ehemalige Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter, hofft darauf, die Negativ-Serie der SPÖ bei den Wahlen der vergangenen Monate umzudrehen. Bundesweit konnte der Wirtschaftsverband 2005 zwar nur 13,1 Prozent der Stimmen für sich verbuchen. In Wien waren es aber immerhin 30 Prozent. Der Wirtschaftsbund erhielt mit 50,5 Prozent nur eine hauchdünne absolute Mehrheit, die nun weiter angeknabbert werden soll.
Dabei dürfte wohl auch die Grüne Wirtschaft unter Führung des Grafik-Designers Volker Plass ein Wörtchen mitreden wollen. 2005 sind die Grünen zum ersten Mal bundesweit bei einer Wirtschaftskammer-Wahl angetreten und erhielten auf Anhieb 4,5 Prozent der Stimmen. In Wien waren es sogar 9,2 Prozent. Vor allem in der Stadt profitieren die Grünen von ihrer Kernklientel, den Einpersonenunternehmen.
Eine besondere Rolle könnte heuer das dritte Lager bei der Kammer-Wahl spielen. Einerseits sehen Experten für den Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RfW) unter dem Kärntner Hotelier Matthias Krenn die Chance, verstärkt Proteststimmen zu erhalten (siehe Artikel oben). Andererseits muss Krenn in Wien die Konkurrenz aus den eigenen Reihen fürchten.
Hier zeigen sich nämlich auch bei der Wirtschaftskammer-Wahl die Aufsplitterungstendenzen, die man im dritten Lager von Bundes- und Landesebene kennt: In der Bundeshauptstadt schickt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine eigene Liste gegen den RfW ins Rennen. Spitzenkandidatin von FPÖ pro Mittelstand ist die Projektmanagerin Barbara Kappel.
Wenig Wert auf Wahlkampftrubel legt offenbar die Industrieliste unter Ex-OMV-Chef Richard Schenz. Dieser ist in den vergangenen Wochen kaum in der breiten Öffentlichkeit in Erscheinung getreten, er vertritt allerdings auch eine zahlenmäßig relativ kleine Klientel. Um eine starke Rolle in der Kammer braucht er deshalb nicht zu fürchten: Die Sparte Industrie bekommt, da dort viele Großbetriebe vertreten sind, überproportional viele Mandate zugesprochen. So reichten der Industrieliste vor fünf Jahren 0,2 Prozent der Stimmen locker zum vierten Platz bei den Mandaten (siehe Grafik).
Ist die Kammer-Wahl erst geschlagen, dürfte wohl wieder rasch Ruhe in den Hallen der Interessensvertretung einkehren. Leitl hat es bis jetzt gut verstanden, die anderen Fraktionen einzubinden. Bis auf Grünen-Chef Plass waren alle anderen Spitzenvertreter der bundesweit antretenden Gruppierungen als Vize-Präsidenten in der Kammer-Spitze vertreten. In der vergangenen Amtsperiode hat es dort durchwegs einstimmige Beschlüsse gegeben. Solange dieses Konsens-Prinzip vorherrscht, braucht Leitl wohl nicht um seine Stellung an der Spitze der Interessensvertretung fürchten.