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Zaubertinte und erpresste Stimmen

Von Aleksandar Vasovic, AP

Politik

Stifte, deren Tinte binnen Minuten wieder von den Stimmzetteln verschwand, Krankenhauspatienten, die unter Androhung eines Behandlungsabbruchs zur Wahl gezwungen wurden - die Beschwerdeliste der ukrainischen Opposition ist lang.


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Auch unabhängige Beobachter sprachen nach der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl am 21. November von groben Verstößen gegen ukrainisches Recht und internationale Standards.

Die schwersten Manipulationsvorwürfe haben die Anhänger des Oppositionsführers Viktor Juschtschenko dem Obersten Gerichtshof vorgelegt. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf acht Regionen im Süden und Osten des Landes. In diesen traditionell regierungstreuen Gebieten erreichte die Wahlbeteiligung an einigen Orten bis zu 127 Prozent. Beobachter beschuldigen Anhänger des offiziellen Wahlsiegers Viktor Janukowitsch, ihre Stimme mehrfach abgegeben zu haben. "Man kann 127 Prozent erreichen, wenn man mehrere gut organisierte Gruppen hat, die von Wahllokal zu Wahllokal fahren", meint Peter Novotny, Leiter der Delegation des Europäischen Wahlbeobachter-Netzwerks.

Die Opposition beschuldigt die Regierung, diesen Betrug systematisch organisiert zu haben. Als Beleg wurden Abschriften von behördeninternen Telefongesprächen veröffentlicht, die nach Oppositionsangaben vom ukrainischen Geheimdienst aufgezeichnet wurden. Ein Auszug:

Beamter 1: "Warum ist die Wahlbeteiligung in den Regionen Donetsk und Dnepropetrowsk so gering?" Beamter 2: "Wir sind gerade dabei, sie zu steigern."

Auf welche Weise dies geschah, beschreibt Serhij, ein Student aus Donezk. Er habe seinen Stimmzettel einem Professor vorlegen müssen, berichtet der junge Mann. "Wir mussten es tun, sonst hätten wir unsere Zimmer auf dem Campus verloren."

Neben Studenten wurden nach Angaben westlicher Beobachter noch hilflose Personen - Gefängnisinsassen und Krankenhauspatienten - zur Wahl eines bestimmten Kandidaten gezwungen.

Wer dagegen frei wählen durfte, kann nicht sicher sein, dass seine Stimme bei der Auszählung noch da war: In einigen Wahllokalen sei Tinte verwendet worden, die "binnen vier Minuten unsichtbar wurde", berichtet Stephen Sestanovitch, ein von dem US-amerikanischen Forschungsinstitut Council on Foreign Relations entsandter Beobachter. Der Trick ist ans Licht gekommen, weil die Wahlurnen durchsichtig waren - und irgendwann auffiel, dass sich darin verdächtig viele leere Stimmzettel befanden.

Zu ersten Unregelmäßigkeiten kam es bereits bei der Zusammenstellung der Wählerlisten: Allein in Donezk wurde bei der Stichwahl eine halbe Million Wahlberechtigte mehr registriert als für die erste Runde drei Wochen zuvor.