Experten reagieren besorgt auf die Entwicklung der österreichischen Kriminalpolitik.
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Wien. Dass das Strafrecht und die Strafrechtspflege sorgfältig und mit ruhiger Hand weiterentwickelt werden, habe in Österreich Tradition - im Moment habe man sich jedoch davon entfernt, sagte der Kriminologe Wolfgang Gratz am Montag vor Journalisten. "Hüftschüsse" aus einer Anlassgesetzgebung heraus nähmen überhand.
Erst in der Vorwoche hatte sich auch der Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium, Christian Pilnacek, beim Forum der Staatsanwälte im Tiroler Walchsee gegenüber dem "Standard" kritisch über das neue "Schaffnergesetz", wie er es nannte, geäußert: Zwar seien Schaffner zuletzt erhöhten Angriffen ausgesetzt gewesen, meinte er - der neue Tatbestand, der sich auf tätliche Angriffe auf "Bedienstete einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt" bezieht, werde "die armen Schaffner" davor aber auch nicht schützen. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015 sei zwar versprochen worden, der Anlassgesetzgebung einen Riegel vorzuschieben - dieses Versprechen habe man aber nicht gehalten.
"Gute Kriminalpolitik ist rationale Kriminalpolitik"
Aus Sorge über diese Entwicklung haben Experten aus dem Justizbereich nun die "Zehn Gebote guter Kriminalpolitik" erstellt. Seit Februar habe man an diesen gearbeitet, sagte Gratz am Montag im Zuge der Präsentation. "Gute Kriminalpolitik ist rationale Kriminalpolitik", sagte er und formulierte damit gleich das erste Gebot: Kriminalpolitik schütze Menschen und Rechtsgüter und vermittle Verständnis für maßvolle und differenzierte Reaktionen sowie für die nötigen Kosten.
Alois Birklbauer vom Institut für Strafrechtswissenschaften der Johannes Kepler Universität Linz unterstrich das dritte Gebot: Die beste Kriminalpolitik liegt in einer guten Sozial- und Wirtschaftspolitik. "Die Versäumnisse der Migrationspolitik kann man nicht durch eine Verschärfung des Strafrechts wettmachen", sagte er dazu. Geduldete Fremde hätten zum Beispiel keinen Zugang zu Leistungen des Sozialsystems. "Dass die in die Drogenkriminalität abgleiten, ist aufgelegt", so Birklbauer. Bei straffällig gewordenen Asylwerbern sei dann eine Abschiebung durchzuführen, wenn diese vorgesehen ist. "Das Strafrecht muss sich in die Gesamtheit des Gesetzes einfügen."
Maßnahmenvollzug: Reformen wurden noch nicht umgesetzt
Vor allem, was den Maßnahmenvollzug betreffe, würden wiederum dringend benötigte Reformen nicht umgesetzt, kritisierte Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien. Zu diesem gebe es bereits ein von Experten erstelltes Papier. Justizminister Wolfgang Brandstetter habe noch wenige Tage vor der Bluttat am Wiener Brunnenmarkt im Mai 2016, als eine Frau mit einer Eisenstange erschlagen wurde und der Täter danach in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde, dem Papier zugestimmt, umgesetzt sei es aber noch immer nicht. Im Ministerium höre man: ",Man kann derzeit nicht damit an die Öffentlichkeit gehen.‘ Doch! Kann man! Muss man!", sagte Forsthuber. Als Primärmittel im Sanktionskatalog seien zudem gemeinnützige Leistungen anzudenken.
Die weiteren Gebote rücken unter anderem die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte, die Unabhängigkeit der Rechtssprechung sowie die Reintegration in den Fokus. Das Justizministerium war am Montag für eine Stellungnahme dazu nicht zu erreichen.
Ein funktionierender Rechtsstaat koste freilich Geld, wurden Birklbauer, Forsthuber und Gratz nicht müde zu betonen. Die aus dem Kartellrecht gewonnene Summe - etwa 100 Millionen Euro - habe aber das Finanzministerium der Justiz weggenommen.