Die EU hat 2004 die Teilung Europas in Ost und West überwunden. Davon hat auch Österreich enorm profitiert.
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Durch die vor genau zehn Jahren erfolgte bisher historisch größte Erweiterungsrunde der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedstaaten - Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta und Zypern - wurden diese früher großteils von der Sowjetunion beherrschten Länder in die EU eingegliedert. Die EU überwand damit die Teilung Europas in Ost und West.
Auch am Anfang der EU stand eigentlich die politische Integration. Politische Integration, Sicherung des Friedens und der Stabilität, das stand nach dem Zweiten Weltkrieg im Vordergrund, daher auch 1952 die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Die weitere politische Integration mit einer Europäischen Verteidigungsunion ist dann 1954 in Frankreich an der Ratifizierung gescheitert. Nachdem die politische Integration blockiert war, ging es mit der wirtschaftlichen Integration mit den Römer Verträgen 1957 (EWG, Euratom) weiter. In der Folge gab es drei Integrationsräume in Europa - die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit sechs Mitgliedern in Westeuropa, die Europäische Freihandelsassoziation (Efta) mit sieben Mitgliedern in Nord- und Mitteleuropa (darunter Österreich) sowie den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) mit sieben Mitgliedern in Osteuropa, der von der Sowjetunion dominiert wurde. Die Europäische Union hat sich als beste und effizienteste Integrationsform durchgesetzt.
Das Ziel der wirtschaftlichen Integration war die Sicherung und Vermehrung des Wohlstandes. Die EU ist hier den traditionellen Lehrbuchvorstellungen gefolgt: erst Freihandel, dann Zollunion. Die Zollunion wurde 1968 in der EU verwirklicht, dann folgten der Binnenmarkt, die Einheitliche Europäische Akte 1985 und der Maastrichter Vertrag 1991. Die Wirtschafts- und Währungsunion wurde 1999 verwirklicht. 2014 erfolgt der nächste große Schritt mit der EU-Bankenunion.
Die EU wurde heterogener
Dieser ständig weiterentwickelte EU-Rechtsbestand zeigt, dass die EU neben der Erweiterung gleichzeitig auch die Vertiefung der Integration umgesetzt hat. Die Befürchtung, dass die Erweiterung die Vertiefung verhindern würde, ist bisher nicht eingetreten. Einige der neuen EU Länder - Slowenien, Slowakei, Estland und Lettland - sind sogar schon in den Kern der EU-Integration vorgestoßen: in den Euroraum. Nach weiteren Erweiterungsschritten - Rumänien, Bulgarien und Kroatien - hat die EU jetzt 28 Mitglieder mit mehr als 500 Millionen Einwohnern und ist noch vor den USA der größte Wirtschaftsraum der Welt.
Die EU hat damit eine Zone der politischen und wirtschaftlichen Stabilität bis an die Grenzen Russlands geschaffen. Die EU dominiert wirtschaftlich in Europa und ist wirtschaftlich etwa 8 Mal und von der Bevölkerung her etwa 3,5 Mal größer als Russland.
Durch die Osterweiterung wurde die EU wirtschaftlich und damit politisch wesentlich heterogener. Die Einkommensniveaus der neuen Mitgliedsländer lagen zum Teil beträchtlich unter jenen der alten EU-Länder. Österreich öffnete daher seine Arbeitsmärkte erst nach langen Übergangsfristen für die neuen EU-Länder, wodurch eine starke Störung des Arbeitsmarktes vermieden wurde.
In den neuen EU Ländern kam es zu einem wirtschaftlichen Aufholprozess und einer hohen Wachstumsdynamik. Unternehmen aus den alten EU-Ländern, insbesondere auch österreichische Unternehmen, tätigten in den neuen EU-Ländern substanzielle Investitionen, von denen einerseits die Länder der Region profitierten, andererseits aber auch die österreichische Volkswirtschaft. Begleitet wurde diese Entwicklung in den meisten Ländern auch durch die österreichischen Banken. Die neuen EU-Länder wuchsen stärker als jene Länder, die nicht der EU beigetreten waren. So überholten Rumänien und Bulgarien zum Beispiel Serbien beim BIP pro Kopf.
Erst Wachstum, dann Krise
Damit wiederholte sich eine Entwicklung aus den 1990er Jahren, als das damals neue EU-Mitgliedsland Österreich wesentlich schneller wuchs als die benachbarte Schweiz. Österreich profitierte durch stark steigende Exporte und ertragreiche Direktinvestitionen besonders von der EU-Osterweiterung. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts aus dem Jahr 2012 brachte sie Österreich ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von jährlich 0,4 Prozent. Ein internationaler Vergleich der Wachstumsraten von 2003 bis 2012 bestätigt diese Aussage. Österreich wuchs in diesem Zeitraum um durchschnittlich 1 Prozent jährlich, während Deutschland (0,4 Prozent), Frankreich (0,44 Prozent), Großbritannien (0,33 Prozent) oder die USA (0,4 Prozent) wesentlich darunter blieben.
Dieses rasche Wachstum der neuen EU-Länder war allerdings nicht nachhaltig. Sie entwickelten nach einem umfassenden Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungsprozess einen Boom-Bust-Zyklus. Auf den deregulierten Finanzmärkten entstanden Kreditbooms und spekulative Blasen, und eine restriktive Zinspolitik wurde durch Fremdwährungskredite und "Carry Trades" unterlaufen. Das Wachstum wurde durch hohe Kapitalzuflüsse, auch durch österreichische Banken, mit hohen Leistungsbilanzdefiziten finanziert. Die Risiken, zu rasches Kreditwachstum, Fremdwährungskredite und die Volatilität der Kapitalflüsse, wurden ignoriert.
Als im September 2008 Lehman Brothers und kurz darauf Island pleitegingen, kam es zu Ansteckungseffekten in den neuen EU-Ländern. Ungarn wurde unmittelbar nach Island im Oktober 2008 von der Finanzkrise erfasst und musste durch eine gemeinsame Aktion des Internationalen Währungsfonds (IWF), der EU und anderer internationaler Finanzinstitutionen gerettet werden. Ende 2008 und Anfang 2009 kam es zu heftigen spekulativen Attacken gegen praktisch alle neuen EU-Länder, auch jene mit guten Fundamentaldaten wie zum Beispiel Tschechien.
Auch Österreich unter Druck
Österreich mit dem hohen Exposure seiner Banken in dieser Region kam ebenfalls unter Druck. Die österreichischen Credit Default Swap (CDS) Spreads (Versicherungsprämien für den Fall von Zahlungsausfällen) stiegen kurzfristig auf das Niveau Griechenlands; ein klarer Fall von Marktversagen. Zusätzlich stiegen die Risikoprämien für österreichische Staatsanleihen. Damit stiegen auch die Spreads gegenüber deutschen Staatsanleihen stark an. Dies verteuerte die Finanzierung für Österreich. Der Nobelpreisträger Paul Krugman sprach sogar von der Gefahr eines österreichischen Staatsbankrotts.
Die Krisenbewältigungsstrategie, die in enger Zusammenarbeit von österreichischer Bundesregierung und Oesterreichischer Nationalbank verfolgt wurde, basierte vor allem auf zwei Elementen: Einerseits wurden die Finanzierungskapazitäten von EU und IWF erhöht, um möglichst alle neuen EU-Länder finanzieren zu können; andererseits wurden die Banken durch die sogenannte "Vienna Initiative" involviert, um Kapitalabflüsse aus den neuen EU-Ländern zu verhindern.
Es wäre nicht sinnvoll gewesen, wenn die EU und der IWF Mittel in die neuen EU-Länder gepumpt und die Banken diese, durch Verringerung ihres Exposure, wieder abgezogen hätten. Ich plädierte damals für eine Erhöhung der Beistandsfazilität der EU zur Zahlungsbilanzstützung für Nicht-Euroländer auf 100 Milliarden Euro, um ausreichende Mittel der EU zur Unterstützung der mittel- und osteuropäischen EU-Krisenländer zur Verfügung zu haben. Denn der Europäische Rat beschloss im März 2009 eine Erhöhung der Beistandsfazilität der EU für die Zahlungsbilanzstützung auf 50 Milliarden Euro. Zusätzlich wurde ein EU-Beitrag zur Finanzierung des IWF von 75 Milliarden Euro (damals etwa 100 Milliarden Dollar) beschlossen. Damit war dieser Europäische Rat für Österreich wahrscheinlich der erfolgreichste seiner gesamten EU-Mitgliedschaft.
Österreich als Gewinner
Das intensive österreichische Lobbying war erfolgreich. Sehr effektiv war dabei eine österreichisch-französische Koalition zwischen Kanzler Werner Faymann und Präsident Nicolas Sarkozy, die sich gegen den Widerstand der deutschen Kanzlerin Angela Merkel durchsetzte. Damit brachte die EU gemeinsam mit Japan (das auch 100 Milliarden Dollar versprach) die USA unter Zugzwang, und auch diese versprachen 100 Milliarden Dollar, sodass die G20 Anfang April 2009 in London die Mittel des IWF von 250 auf 750 Milliarden Dollar erhöhen konnten. Zusätzlich wurden noch Sonderziehungsrechte (SZR) im Wert von 250 Milliarden Dollar durch den IWF an seine Mitgliedsländer ausgegeben.
Die großen Gewinner dieser Beschlüsse waren die mittel- und osteuropäischen Länder und damit auch Österreich. Die Finanzmärkte wussten nun, dass IWF und EU ausreichende Mittel besaßen, um die Region zu stabilisieren, und die CDS Spreads und Zinsaufschläge sanken umgehend. Zusätzlich wurde auf österreichische Initiative im Jänner 2009 die "Vienna Initiative" gegründet. Hier arbeiteten die Behörden der neuen EU-Länder mit den dort tätigen Banken und den Behörden der Heimatländer dieser Banken sowie der EU und den internationalen Finanzinstitutionen zusammen, um die Finanzierung der neuen EU-Länder zu sichern.
Die "Vienna Initiative" hat, durch die Aufrechterhaltung der Kredite der Banken in den neuen EU-Ländern, einen wichtigen Beitrag zur Involvierung des Privatsektors und der internationalen Finanzinstitutionen zur Finanzierung der neuen EU-Länder und damit zur Krisenbewältigung geleistet. Sie trug wesentlich dazu bei, dass die insbesondere von IWF und EU für die neuen EU-Länder zugesagten Kredite relativ niedrig bleiben konnten (19,5 Milliarden Euro für Ungarn, 7,4 Milliarden Euro für Lettland, knapp 22 Milliarden Euro für Rumänien). Diese wurden auch nur zum Teil ausbezahlt. Polen erhielt eine Vorsorgekreditlinie über 25 Milliarden Euro vom IWF, die bisher noch nicht genutzt werden musste. Zum Vergleich: Allein Griechenland benötigte bis Ende März 2014 Kreditlinien über 244,5 Milliarden Euro. Die EU, der IWF und die "Vienna Initiative" stabilisierten 2009 gemeinsam die neuen EU-Länder und damit indirekt auch die österreichischen Banken mit ihrem hohen Exposure in diesen Ländern.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Bilanz der EU-Osterweiterung seit 2004 sowohl politisch als auch wirtschaftlich positiv ausfällt. Allerdings wird es noch lange dauern, bis die neuen EU-Länder auch wirtschaftlich aufgeholt haben. Österreich ist wirtschaftlich zweifellos der Gewinner der EU-Osterweiterung und hat durch den Übergang von einer Randlage in der EU zu einer Zentrallage sowie durch stark steigende Exporte und höheres Wachstum profitiert.
Zur Person
Franz
Nauschnigg
1956 in der Steiermark geboren, war er in den 1980ern Mitarbeiter in Kabinetten im Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium, in den 1990ern wirtschaftspolitischer Berater mehrerer Finanzminister, danach Leiter der Abteilung für Europäische Integration und Internationale Finanzorganisationen in der Oesterreichischen Nationalbank.